Nach Pannen und Wassereinbrüchen in der Asse sollen 126.000 Fässer mit Atommüll geborgen werden – Bergwerk droht einzustürzen.

Remlingen. Den Mikrofonen im Bergwerk entgeht praktisch nichts. Und was sie hier in 750 Metern Tiefe aufnehmen, gibt Anlass zur Sorge. "Wir wissen, dass wir eine Aktivität haben, die nicht beruhigt“, sagt der Präsident des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS), Wolfram König. Was die Aktivität durch das drückende Gebirge, eindringendes Wasser und das fließende Salz im maroden Atommüll-Lager Asse anrichtet, zeigt sich im nuklearen Gefahrenbereich vor Kammer acht. Tausende Atommüllfässer liegen hier. Eine vor zwei Jahren gebaute Schutzwand zerbröselt, dutzende Steine sind herausgedrückt worden. Radioaktive Salzlösung dringt hier nach draußen.

Bis 1978 wurden in dem früheren Salzbergwerk bei Wolfenbüttel 126.000 Fässer mit schwach- und mittelradioaktivem Müll abgekippt. Nach Pannen und Wassereinbräuchen wurde dem Münchener Helmholtz-Zentrum 2009 die Verantwortung entzogen und dem BfS übertragen. "Wir können nicht einfach zusehen, wie das Lager absäuft“, betont König.

Noch 2006 posierten beim Tag der Offenen Tür in der Asse Mädchen in Sandalen vor gelben Atommüllfässern. "Es gab kein Risikobewusstsein“, sagt König. Die Asse ist Sinnbild geworden für einen zu laxen Umgang mit den Hinterlassenschaften der Kernenergie - auch wenn es sich hier nicht um hochradioaktiven Müll handelt.

Aufnahme auch von schwach- und mittelradioaktiven Abfällen?

Das BfS würde gerne zeigen, dass eine Rückholung des Mülls möglich ist. Dafür soll in 500 Metern Entfernung ein neuer Schacht gebaut werden, zudem muss ein 250 Fußballfelder großes Zwischenlager her - später muss der Müll dann in ein Endlager transportiert werden. Die Kosten sind immens. König sagt: "In zehn Jahren werden wir eine Rückholung nicht abgeschlossen haben“.

Vor Kammer sieben ist ein großer Bohrer in Stellung. TÜV-geprüfte Bodenplatten mussten hier ausgelegt werden, damit diese schnell dekontaminiert werden können, falls beim Bohren durch die 27 Meter dicke Betonabdichtung Radioaktivität austritt. In einem Sachstandsbericht an den Bundestags-Umweltausschuss drückt die Parlamentarische Staatssekretärin im Umweltministerium, Ursula Heinen-Esser, aber Zweifel an der Rückholvariante aus: „Auch bei der Rückholung gibt es offene Punkte, die die Realisierbarkeit schwieriger als geplant gestalten und sogar in Frage stellen könnten.“ Während das BfS lieber heute als morgen mit dem Anbohren und Filmen des Inneren der Kammern starten würde, müssen erst 32 Auflagen des niedersächsischen Umweltministeriums erfüllt werden. Bürger kritisieren, dem BfS würden Steine in den Weg gelegt.

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Die Strahlenschützer sehen in der Bergung die beste Gewähr für dauerhaften Schutz vor Strahlung. Andere Optionen zur sicheren Schließung sind die Schachtverfüllung oder eine tiefere Lagerung. Ob die Bergung machbar ist, dürfte nach dem Anbohren klarer sein.

Das Problem: Man weiß nicht, woher die täglich eindringenden 12.000 Liter Wasser kommen. Und durch den Gebirgsdruck könnte sich ein Teil des Mülls nicht mehr in Fässern befinden. Somit müsste auch kontaminiertes Salz geborgen werden. Das könnte die Bergungsmasse auf 100.000 Kubikmeter anwachsen lassen. Zum Vergleich: Der gesamte hochradioaktive Müll Deutschlands beträgt etwa 29.000 Kubikmeter.

In dem einzigen Aufzug, der binnen zwei Minuten in 750 Meter Tiefe rauschen kann, wurden allein im letzten Betriebsjahr 1978 noch rund 30.000 Atommüllfässer befördert, bevor die Einlagerung untersagt wurde. Um mittelschwachen Atommüll als schwach strahlenden Abfall zu deklarieren, wurden Fässer zum Teil mit Beton und Blei abgeschirmt.

Castoren-Strahlung bis ins Dorf - Wer misst hier richtig?

"Unsere Scheinwerfer reichen für zehn Jahre“, betont der Chef der weltweit einmaligen Rettungsaktion, die mehrere Milliarden Euro kosten könnte. Er hofft aber, dass die Asse auch länger gesichert werden kann. In einer Wasserauffangstelle auf 658 Metern werden täglich rund 10.000 Liter Wasser über eine Kiesdrainage aufgefangen und nach oben gepumpt. Da das Wasser aus dem Nebengebirge kommt, hat es keinen Kontakt zu den radioaktiven Abfällen. Aber bei einigen hundert Litern weiter unten, die täglich eindringen, kann das nicht ausgeschlossen werden. Deshalb wird dieses Wasser eingedampft, später sollen die Rückstände in das Endlager Schacht Konrad kommen.

Während die Behörden noch diskutieren, ob sich der Aufwand für die Rückholung angesichts der Unwägbarkeiten lohnt und das Risiko für die im Bergwerk arbeitenden Menschen zu vertreten ist, fordern die Menschen in der Region die rasche Bergung: "Der größte Ärger ist, dass die Leute alle nur belogen und betrogen worden sind“, sagt ein Taxifahrer, der früher für eine Starkstromfirma in den Atomkraftwerken Brokdorf und Grohnde gearbeitet hat. Es gebe einen massiven Wertverlust bei Grundstücken, sagt der 53-Jährige. "Wer will denn mit der Asse vor der Tür hier noch ein Haus kaufen?“