Belastung im Atommüll-Zwischenlager angeblich noch unter dem Grenzwert. Nächster Castor-Transport für Anfang Dezember geplant
Hannover. Die Strahlenbelastung im Umfeld des atomaren Zwischenlagers Gorleben liegt deutlich unter dem zugelassenen Grenzwert. Mit diesem Ergebnis neuer Messungen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB), die am Montag veröffentlicht wurden, steigt auch wieder die Wahrscheinlichkeit, dass im Ende November trotz aller Widerstände der nächste Castor-Transport aus Frankreich ins Wendland rollt.
Der niedersächsische Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) schränkte aber ein, die Entscheidung werde erst Ende Oktober fallen. Im Auftrag seines Ministeriums berechnet der TÜV noch, mit welcher Steigerung der Neutronenstrahlung gerechnet werden muss, wenn zu den gegenwärtig 102 im "Transportbehälterlager Gorleben" stehenden Castoren wie geplant elf hinzukommen.
Die Parteien der niedersächsischen Regierungskoalition von CDU und FDP in Hannover reagierten wortgleich: "Der für dieses Jahr geplante Transport kann stattfinden." Eine Gefährdung der Menschen im Wendland könne ausgeschlossen werden. Die Oppositionsparteien bezweifeln die Ergebnisse der Bundesanstalt und bleiben bei ihrer Forderung, den um den 1. Adventsonntag geplanten Transport abzusagen.
Unmittelbar neben dem Zwischenlager liegt der Gorlebener Salzstock, der auf seine Eignung als Endlager für den hoch radioaktiven Müll erkundet wird. Umweltminister Sander sprach sich gestern zwar dafür aus, den Salzstock weiter auf Tauglichkeit zu untersuchen. Er erinnerte aber zugleich an die Forderung des niedersächsischen Ministerpräsidenten David McAllister (CDU), den strahlenden Müll mindestens für Jahrhunderte rückholbar zu lagern, also oberirdisch oder direkt unter der Erdoberfläche. Für die Lagerung kann sich Sander eine Unterbringung in ehemaligen Militäreinrichtungen oder in einem stillgelegten Kernkraftwerk vorstellen: "So eine Art Bunkerlösung."
Im vergangenen Jahr haben mehrere Zehntausend Menschen gegen den Castor-Transport protestiert, mehr als je zuvor seit 1995, als das Lager die Arbeit aufnahm. Die Menschen im Wendland fürchten, mit jedem weiteren Transport werde auch die Entscheidung für den Salzstock als Endlager zementiert. Ihr Misstrauen ist noch gestiegen, seit vor einem Monat bei den regelmäßigen Strahlenmessungen des zuständigen Landesamtes eine Strahlenbelastung von 0,27 Millisievert Jahresdosisleistung direkt am Zaun des Zwischenlagers festgestellt worden ist. Wenn man diese Zahlen aus dem ersten Halbjahr auf das ganze Jahr hochrechnet und die elf zusätzlichen Castoren einbezieht, so warnte das Landesamt, könnte die in der Betriebsgenehmigung festgeschriebene Höchstbelastung von 0,3 Millisievert überschritten werden. Auf der Basis der Zahlen des ersten Halbjahres und eigener Messungen in den vergangenen Wochen kommt jetzt aber die Physikalisch-Technische Bundesanstalt auf einen Jahresmittelwert für 2011 von nur 0,233 Millisievert.
Die Einschätzung von Umweltminister Sander: "Wir als Genehmigungsbehörde können zum jetzigen Zeitpunkt keinen Grund finden, die Einlagerung zu untersagen." Die Fachleute warnten vor zu einfachen Rechnungen. "Zehn Prozent mehr radioaktives Inventar heißt nicht automatisch auch zehn Prozent mehr Strahlung." Das Gebäude ist nicht hermetisch abgeschlossen, hat im Deckenbereich Lüftungsschlitze, um die Wärme abzuleiten.
Grünen-Fraktionschef Stefan Wenzel dagegen nennt das Ergebnis der PTB "abenteuerlich". Die Bundesanstalt habe die Rahmenbedingungen der Messungen verändert: "Es riecht nach Manipulation." Auch der umweltpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Detlef Tanke, pocht auf die deutlich höheren Messungen des Landesamtes: "Ohne den PTB-Fachleuten zu nahe treten zu wollen, kann man aber feststellen, dass deren Ergebnisse ganz vorzüglich ins Konzept der Landesregierung passen."
Im Zusammenhang mit den vom Landesamt festgestellten erhöhten Strahlenwerten war auch öffentlich geworden, dass die Gesellschaft für Nuklear-Service (GNS) als Betreiber des Zwischenlagers die 102 Castoren im Sommer in der Halle umgruppiert hat - weg von den Wänden, hin zur Mitte der Halle. Angeordnet hatte dies das Bundesamt für Strahlenschutz als Vorsichtsmaßnahme für den Fall von Terroranschlägen. Gestern von der Umweltorganisation Greenpeace vorgelegte Thermografie-Aufnahmen kommentierte die GNS so: "Das sind reine Wärmebilder der Zwischenlagerhalle, die keinerlei Aussagen oder Rückschlüsse auf radioaktive Strahlung zulassen." Weil die Castor-Behälter die radioaktiven Stoffe hermetisch einschlössen, sei eine Verbreitung über die Lüftung "sicher ausgeschlossen".