Akupunktur - Wenn Dauerschmerz den Alltag verdüstert, können kleine Stiche eine große Wirkung haben. Die Naturheilkunde kennt aber auch noch andere Therapien, die den Weg in ein schmerzfreies Leben ermöglichen.
Das Kind, das auf die heiße Herdplatte fasst, erlebt am eigenen Leib, dass der Schmerz ein lebenswichtiges Warnsignal des gesunden Körpers ist: Er macht uns sehr direkt und unignorierbar auf Gefahren aufmerksam und sorgt dafür, dass wir blitzschnell reagieren, um weiteren Schaden zu vermeiden. Wenn sich aber das Warnsignal nicht mehr abschaltet, wenn Schmerzen chronisch werden, wenn wir jeden Tag unter dumpfen diffusen Schmerzattacken leiden, dann dann wird der Schmerz zur eigenständigen Krankheit. Solche chronischen Schmerzen sind oft Spannungskopfschmerzen, Rücken-, Muskel- oder Gelenkschmerzen.
"Sucht man nach den organischen Ursachen, findet man bei vielen dieser Patienten zwar körperliche Störungen, die aber nicht erklären können, warum die Schmerzen so lange andauern", sagt Jörg Galler, Stationsarzt in der Abteilung für Naturheilverfahren, Physikalische und Rehabilitative Medizin am Klinikum Nord, Ochsenzoll. Häufig sind psychosomatische Ursachen mit im Spiel. Die Patienten leben in einem Teufelskreis. Durch die ständigen Schmerzen stark gehandicapt, müssen sie ihre Arbeit aufgeben oder können den Alltag nicht mehr bewältigen. Das macht neue Probleme, die dazu beitragen, dass die Schmerzen bleiben. In die Abteilung für Naturheilkunde kommen viele Patienten, wenn sie schon eine jahrelange Odyssee durch Arztpraxen hinter sich haben, ohne dass ihnen jemand wirklich helfen konnte. "Wir erheben nicht den Anspruch, dass wir die Schmerzen beseitigen können. Aber wir haben vielleicht den Vorteil, dass wir nicht nur ein einzelnes Organ betrachten, sondern den Menschen in seiner Gesamtheit", sagt Galler. Denn die psychischen Belastungen durch die dauernde Qual sind enorm. "Die Patienten werden unzufrieden, depressiv bis hin zur Verzweiflung und zu Selbstmordversuchen. Bis zu 20 Prozent der chronischen Schmerzpatienten versuchen, sich das Leben zu nehmen", so der Mediziner. Um den verhängnisvollen Kreislauf zu durchbrechen, müsse man das gesamte psychosoziale Umfeld betrachten, Probleme im Beruf oder in der Familie. "Wenn die Patienten kommen, machen wir eine umfassende Diagnostik, bei der auch psychische Probleme unter die Lupe genommen werden", so Galler. Die Mediziner setzen auf ein breit gefächertes Therapieprogramm, das Körper und Seele gleichermaßen im Blick hat. "Es gibt nicht ein Wundermedikament; die Behandlung von chronischen Schmerzen ist eine multidisziplinäre Angelegenheit", betont Galler. Dazu gehören Krankengymnastik, Hydro- und Elektrotherapie sowie Entspannungstechniken und Psychotherapie. Ziel all dessen ist es, den Patienten wieder zu mehr Entspannung zu verhelfen und sie dahin zu bringen, dass sie trotz ihrer Schmerzen wieder aktiv werden. "Deswegen verordnen wir dem Patienten zum Beispiel auch Bewegungstherapie und Ausdauertraining." Gute Erfolge lassen sich auch mit dem "Bio-Feedback" erreichen. Ein Beispiel ist das Atem-Feedback: " Der Patient legt sich auf eine Liege. Ein Sensor misst die Bewegungen der Bauchdecke und meldet dem Patienten seine Atmung optisch und durch Kopfhörer zurück. Das führt zu mehr Ruhe und Entspannung", so Galler. Eine wichtige Rolle spielt die Akupunktur, die uralte chinesische Behandlungsmethode. Für die Wirkung der kleinen Nadelstiche haben westliche Forscher mittlerweile eine Erklärung gefunden. "Diese Theorie geht davon aus, dass durch einen Akupunkturstich die Weiterleitung des Schmerzes ins Gehirn gehemmt wird. Denn erst dort wird der Schmerz dem Patienten bewusst", erklärt Galler. Diese Weiterleitung wird auf zwei Ebenen gehemmt: Durch den Stich der Akupunkturnadel wird ein Reiz ausgelöst, der zum Rückenmark weitergeleitet wird und dort die Weiterleitung des Reizes hemmt, der aus der von dem Schmerz betroffenen Körperregion gemeldet wird. Dadurch wird der Schmerz dem Patienten nicht bewusst. Außerdem hemmt die Nadel die Weiterleitung des Schmerzes direkt über das Gehirn. Zusätzlich sorgt die Nadel für die Freisetzung körpereigener Schmerzmittel: Durch den sensiblen Reiz wird eine bestimmte Region im Gehirn aktiviert. Dort werden morphium-ähnliche Substanzen, Endorphine, freigesetzt. Die chinesische Betrachtungsweise geht allerdings von einem ganz anderen Körperverständnis aus. "Man sucht nach einer Dysharmonie im Körper, die zu den Schmerzen führen kann. Das kann unterschiedliche Ursachen haben, zum Beispiel, dass der Fluss der Lebensenergie, des Qi, durch den Körper blockiert ist. Mit den Akupunkturnadeln soll das Qi wieder in Fluss gebracht werden, was zur Reduktion des Schmerzes führt", erklärt Galler. Das Qi hat zwei Seiten, Yin und Yang. Yang hieß ursprünglich "sonnige Seite eines kleinen Hügels" und steht für Aktivität, männlich, Tag, warm. Yin, "die schattige Seite des Hügels" ist das Symbol für Erholung, weiblich, Nacht, kalt. Nur wenn diese beiden Seiten im Gleichgewicht sind, kann die Lebensenergie ungehindert durch unseren Körper strömen.