Allein im Universitätsklinikum Rostock wurden am Donnerstag 24 Patienten mit EHEC behandelt. Die EU verschärft ihren Ton gegen Russland.
Rostock/Hamburg. Keine Entspannung beim EHEC-Erreger in Sicht. Die schweren Darm-Infektionen bringen Ärzte und Pflegekräfte in den Krankenhäusern auch in Mecklenburg-Vorpommern an ihre Belastungsgrenze. Allein im Universitätsklinikum Rostock wurden am Donnerstag 24 Patienten mit EHEC behandelt, wie ein Sprecher mitteilte. Davon waren 13 schwer erkrankt. Sie erhalten den Angaben zufolge neues Blutplasma von Spendern oder bekommen Dialyse. Betroffen sind auch vier Kinder. Weil beim Plasmaaustausch je behandeltem Erwachsenen drei Liter pro Tag benötigt würden, gingen die Vorräte langsam zur Neige, hieß es. Der Blutspendedienst der Uni-Klinik Rostock bat deshalb um Blutspenden.
In erster Linie sind Menschen aufgerufen zu spenden, deren letzte Spende vier bis sechs Monate zurückliegt. „Plasma muss nach der Spende mindestens vier Monate in Quarantäne gelagert werden. Es darf erst freigegeben werden, wenn der Blutspender erneut gespendet hat“, erklärte der Direktor der Klinik für Transfusionsmedizin, Volker Kiefel. Am Mittwoch hatte auch der Landesverband der Ersatzkassen zu Blutspenden aufgerufen. Erste Unternehmen im Land organisieren spezielle Blutspendetermine wegen EHEC.
In Mecklenburg-Vorpommern waren am Mittwoch 92 Menschen mit dem gefährlichen Darmkeim infiziert. Erstmals hatte es keinen Anstieg im Vergleich zum Vortag gegeben. Von den Infizierten litten 31 an der schweren Komplikation HUS. HUS (Hämolytisch-Urämisches Syndrom) kann zu akutem Nierenversagen oder Blutarmut durch den Zerfall roter Blutkörperchen und Mangel an Blutplättchen führen. Am Donnerstag meldete das Landesamt für Gesundheit und Soziales wegen des Feiertags keine aktuellen Zahlen.
Die Mitarbeiter des Labors der Uni-Klinik Rostock müssen den Angaben zufolge Sonderschichten leisten und Überstunden einlegen, um die Vielzahl von EHEC-Tests durchführen zu können. Das Institut habe rechtzeitig vorgesorgt und sich mit Tests für den Nachweis des EHEC-Keims ausgestattet. Allerdings drohe nun ein Engpass für den Toxinnachweis seitens des Herstellers.
Nach Worten des Rostocker Epidemiologen Emil Reisinger gibt es keinen Grund zur Entwarnung. Zudem sei die EHEC-Quelle noch nicht entdeckt. Die Menschen sollten sich weiter an die Vorsichtsmaßnahmen beispielsweise bei der Zubereitung von Speisen halten.
Importverbot für Gemüse: EU verschärft Ton gegen Russland
Im Streit mit Russland um das Importverbot für Gemüse aus der Europäischen Union hat die EU-Kommission den Ton verschärft. Die EU-Behörde verlangte am Donnerstag von Moskau die sofortige Aufhebung dieser „unverhältnismäßigen“ Maßnahme. In einem Brief an Russland habe EU-Verbraucherkommissar John Dalli seine Sorgen über das Einfuhrverbot zum Ausdruck gebracht, teilte die Kommission in Brüssel mit. Russland hatte wegen des Darmkeims EHEC das Importverbot für frisches Gemüse auf alle 27 EU-Länder ausgeweitet.
„Testergebnisse der zuständigen Behörden haben gezeigt, dass Gurken nicht für Infektionen mit Darmbakterien EHEC verantwortlich sind“, schrieb die EU-Kommission. Sie erinnerte daran, dass die Seuche auf ein eng umrissenes Gebiet in Norddeutschland begrenzt sei. Die EU habe bereits reagiert und die europaweite Warnung für Gurken aus Spanien aufgehoben. Zudem betonte die Behörde, sie habe alle Handelspartner - auch Russland - stets vollständig und transparent über die neuesten Erkenntnisse informiert.
Erbsubstanz entschlüsselt
Wissenschaftler des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE) ist es in der Nacht zu Donnerstag gelungen, das Genom (Erbsubstanz) des gefährlichen EHEC-Erregerstamms zu identifizieren. Damit gebe es Hoffnung auf bessere Theapie- und Diagnoseformen, sagte der UKE-Mikrobiologe, Dr. Holger Rohde.
Bei dem Stamm, der für die oft schweren und komplikationsreichen EHEC-Fälle verantwortlich ist, handele es sich um einen besonderen Typ, der so wissenschaftlich noch nicht beschrieben wurde. Es sei eine Art genetische Neukombination, der es dem Bakterium beispielsweise erlaube, länger im Darm zu bleiben und dort mehr Schaden anzurichten als andere Unterarten des EHEC-Erregers.
Bei der Untersuchung hatten auch Wissenschaftler aus China mitgewirkt. Mit dem Abschluss dieser Arbeit sei ein weiterer Schritt zur Identifikation des aggressiven Darmkeims gelungen. "Es handelt sich um einen besonderen Typ eines EHEC-Erregers“, sagte Bakteriologe Rohde.
Die Forscher hätten in dem Erbgut des Keims Anteile zweier ganz unterschiedlicher Bakterienstämmen gefunden. "Dieser Stamm ist nur ein ganz entfernter Verwandter der üblichen EHEC-Bakterien“, ergänzte Rohde. In dem untersuchten Genom seien Teile des klassischen Erregers sowie von einem weiter entfernten Erreger gefunden worden.
Diese genetische Neukombination begünstige zum Beispiel das Anheften der Bakterien an die Darmzellen. Damit bleiben die Keime länger im Darm – und können dort auch länger Schaden anrichten. Der Keim weise zudem ein ganz besonderes Resistenzprofil auf. Die Arbeit gelang gemeinsam mit Kollegen des chinesischen Beijing Genomic Institute.
Die neuen Erkenntnisse über das Genom des Bakteriums helfen den betroffenen Patienten nach Erkenntnissen der Experten allerdings nicht unmittelbar, sondern müssen in den nächsten Wochen erst interpretiert werden.
Zuvor schon hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am Donnerstag mitgeteilt, dass für die zahlreichen Darminfektionen durch den EHEC-Erreger in Europa ein neuer, noch nie zuvor entdeckter Stamm von E. coli verantwortlich sei. Die WHO erklärte, vorläufige genetische Untersuchungen hätten ergeben, dass der Stamm eine mutierte Form aus zwei E.-coli-Bakterien ist.
Die WHO-Expertin für Lebensmittelsicherheit, Hilde Kruse, sagte, ein solcher Stamm sei noch nie bei Patienten isoliert worden. Der neue Stamm weise Merkmale auf, die ihn mehr Giftstoffe produzieren ließen.