Die Kanzlerin habe auf die Verpflichtung der deutschen Behörden hingewiesen, die Bürger zu informieren und die Ergebnisse der Untersuchungen zu übermitteln.
Hamburg/Berlin. Im Streit mit Spanien über die Folgen der EHEC-Krise für die Gemüsebauern hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) das Vorgehen der deutschen Behörden verteidigt. In einem Telefongespräch mit Ministerpräsident José Luis Rodríguez habe die Kanzlerin Verständnis für die wirtschaftliche Notlage des spanischen Gemüsesektors gezeigt, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert am Donnerstagabend mit. Gleichzeitig habe Merkel aber auf die Verpflichtung der deutschen Behörden hingewiesen, die Bürger zu informieren und die Ergebnisse der Untersuchungen an das europäische Schnellwarnsystem zu übermitteln.
Zapatero habe in dem Gespräch sein Mitgefühl für die Angehörigen der Opfer ausgedrückt. Merkel und er seien sich einig, dass es jetzt vorrangig darum gehen müsse, die Infektionsquelle des EHEC-Erregers zu identifizieren, um weitere Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung ergreifen zu können. Beide vereinbarten laut Seibert, sich auf uropäischer Ebene um Hilfen für die betroffenen Bauern zu bemühen.
Spanien sieht sich besonders von den deutschen Stellen zu Unrecht als Quelle der Verunreinigung durch den gefährlichen Darmkeim an den Pranger gestellt und erwägt Schadensersatzforderungen.
Spanische Bauern schütten Gemüse vor deutschem Konsulat aus
Aus Protest gegen das deutsche Krisenmanagement im Kampf gegen den EHEC-Erreger haben spanische Bauern 300 Kilogramm Obst und Gemüse vor dem Konsulat der Bundesrepublik in Valencia ausgeschüttet. Etwa 50 Landwirte warfen am Donnerstag in der ostspanischen Hafenstadt Gurken, Tomaten, Kartoffeln, Paprikas, Aprikosen und Pflaumen auf die Straße.
Wie der Bauernverband La Unió de Llauradors mitteilte, hatte das Obst und Gemüse in Deutschland keine Abnehmer gefunden. Allein in der Region Valencia seien den Landwirten Verluste von mehr als zwei Millionen Euro entstanden. In Hamburg waren EHEC-Erreger auf spanischen Gurken entdeckt worden. Später stellte sich jedoch heraus, dass die Keime zu einem anderen Typ gehörten und nicht die Welle von Infektionen ausgelöst haben.
Hamburger Bakteriologen entschlüsseln EHEC-Erbsubstanz
Wissenschaftler des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE) ist es in der Nacht zu Donnerstag gelungen, das Genom (Erbsubstanz) des gefährlichen EHEC-Erregerstamms zu identifizieren. Damit gebe es Hoffnung auf bessere Theapie- und Diagnoseformen, sagte der UKE-Mikrobiologe, Dr. Holger Rohde.
Bei dem Stamm, der für die oft schweren und komplikationsreichen EHEC-Fälle verantwortlich ist, handele es sich um einen besonderen Typ, der so wissenschaftlich noch nicht beschrieben wurde. Es sei eine Art genetische Neukombination, der es dem Bakterium beispielsweise erlaube, länger im Darm zu bleiben und dort mehr Schaden anzurichten als andere Unterarten des EHEC-Erregers.
Bei der Untersuchung hatten auch Wissenschaftler aus China mitgewirkt. Mit dem Abschluss dieser Arbeit sei ein weiterer Schritt zur Identifikation des aggressiven Darmkeims gelungen. "Es handelt sich um einen besonderen Typ eines EHEC-Erregers“, sagte Bakteriologe Rohde.
Die Forscher hätten in dem Erbgut des Keims Anteile zweier ganz unterschiedlicher Bakterienstämmen gefunden. "Dieser Stamm ist nur ein ganz entfernter Verwandter der üblichen EHEC-Bakterien“, ergänzte Rohde. In dem untersuchten Genom seien Teile des klassischen Erregers sowie von einem weiter entfernten Erreger gefunden worden.
Diese genetische Neukombination begünstige zum Beispiel das Anheften der Bakterien an die Darmzellen. Damit bleiben die Keime länger im Darm – und können dort auch länger Schaden anrichten. Der Keim weise zudem ein ganz besonderes Resistenzprofil auf. Die Arbeit gelang gemeinsam mit Kollegen des chinesischen Beijing Genomic Institute.
Die neuen Erkenntnisse über das Genom des Bakteriums helfen den betroffenen Patienten nach Erkenntnissen der Experten allerdings nicht unmittelbar, sondern müssen in den nächsten Wochen erst interpretiert werden.
Zuvor schon hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am Donnerstag mitgeteilt, dass für die zahlreichen Darminfektionen durch den EHEC-Erreger in Europa ein neuer, noch nie zuvor entdeckter Stamm von E. coli verantwortlich sei. Die WHO erklärte, vorläufige genetische Untersuchungen hätten ergeben, dass der Stamm eine mutierte Form aus zwei E.-coli-Bakterien ist.
Die WHO-Expertin für Lebensmittelsicherheit, Hilde Kruse, sagte, ein solcher Stamm sei noch nie bei Patienten isoliert worden. Der neue Stamm weise Merkmale auf, die ihn mehr Giftstoffe produzieren ließen.
Austausch über eine Art primiviten Sex
Auch am federführenden deutschen Labor für das Hämolytisch-Urämische Syndrom (HUS) – einer schweren Komplikation einer EHEC-Infektion – wird weiter mit Hochdruck daran gearbeitet, das Erbgut des Erregers zu sequenzieren und zu deuten. Mit Ergebnissen sei in Kürze zu rechnen, sagte ein Sprecher am Donnerstag. Bereits zu Beginn der Woche hatten auch diese Experten darauf hingewiesen, dass es sich bei dem in Deutschland grassierenden Stamm um ein Hybrid handelt. Dieser vereint Eigenschaften mehrerer Erreger in sich.
Bakterien können untereinander genetisches Material austauschen - über eine Art primitiven Sex. Damit gehen Eigenschaften eines Keimes auf andere über – es kommt zu Mischformen. Diese wurden in Münster auch als Chimären bezeichnet.
Schon zuvor hatte das für die Krankheitsüberwachung zuständige Robert-Koch-Institut (RKI) im Bundestag ein ernüchterndes Fazit zum Stand der EHEC-Krise gezogen. Es gebe "keinen Anlass für Entwarnung“, sagte RIK-Leiter Reinhard Burger am Mittwoch. Zwei Stunden lang hatten sich Experten aus den Instituten und dem Verbraucherministerium den Fragen der Abgeordneten im Ernährungsausschuss gestellt.
"Es geht hier um schwere Erkrankungen bis hin zu Todesfällen“, sagte Ministerin Ilse Aigner (CSU). Doch leider sei die Botschaft weiterhin, dass "die genaue Ursache des Geschehens noch nicht eingegrenzt werden konnte“. Bei Patientenbefragungen seien Tomaten, Gurken und Blattsalate, die in Norddeutschland verzehrt wurden, "auffällig in der Schnittmenge“ gewesen.
Bislang 17 Todesfälle in Deutschland
Und die Zahl der EHEC-Infizierten steigt wieder rapide. Innerhalb eines Tages stieg die Zahl gemeldeter EHEC-Infektionen und -Verdachtsfälle bundesweit von rund 1500 auf 2000. Zugleich tappen die Experten auf der Suche nach der EHEC-Quelle völlig im Dunkeln.
Hamburg meldete einen weiteren EHEC-Todesfall durch das von EHEC ausgelöste hämolytisch-urämische Syndrom (HUS). Eine 81 Jahre alte Frau starb in der Nacht zum Donnerstag im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) an den Folgen der Infektion, sagte der Nierenspezialist Prof. Rolf Stahl am Donnerstag. Damit ist die Zahl der Todesfälle in Hamburg auf drei und bundesweit auf mindestens 17 gestiegen, 14 davon waren Frauen. Bis Mittwochmittag waren in Hamburg 668 EHEC-Fälle beziehungsweise Verdachtsfälle gemeldet worden, darunter 124 mit HUS. Es kann zu lebensgefährlichen Nieren- und Nervensystemschäden führen.
"Bei uns ist die Lage nach wie vor angespannt“, sagte UKE-Chef Prof. Jörg Debatin am Donnerstag. Zur Zeit würden in der Klinik 102 HUS-Patienten behandelt. Darunter seien 27 Kinder und fünf schwangere Frauen. "Der Trend, den wir Anfang der Woche erhofft hatten, dass die Anzahl der Neuinfektionen zurückgeht, hat sich leider nicht bestätigt“, sagte Debatin.
+++ Wissenschaftler haben EHEC-Schnelltest entwickelt +++
Vor allem in Norddeutschland nahmen die bestätigten Erkrankungen und der Verdachtsfälle sprunghaft zu. Niedersachsen meldete am Mittwoch 344 Verdachtsfälle - 80 mehr als am Vortag. In Hamburg kletterte die Zahl um 119 auf 668 bestätigte oder Verdachtsfälle.
In Schleswig-Holstein bereitet den Ärzten ein starker Anstieg neurologischer Komplikationen Sorgen. "Wir haben Patienten, die überhaupt keinen Durchfall haben, aber schwere neurologische Symptome“, schilderte der Kieler Klinikdirektor Prof. Ulrich Kunzendorf. Ein Beispiel seien etwa epileptische Anfälle.
Auch im Ausland breitet sich der tödliche Keim weiter aus: In Tschechien gibt es einen ersten nachgewiesenen EHEC-Fall. Laut EU-Kommission gibt es zudem in Schweden, Dänemark, Frankreich, Österreich, Großbritannien und den Niederlanden EHEC-Fälle. Meistens seien die Erkrankten kurz zuvor in Deutschland gewesen.
Warnung vor spanischen Gurken europaweit aufgehoben
Unterdessen ist nach den neuen Testergebnissen aus Deutschland und Spanien die europaweite Warnung vor spanischen Gurken im Zusammenhang mit EHEC-Erkrankungen aufgehoben worden. Man habe den Warnhinweis im europäischen Schnellwarnsystem entfernt, teilte die EU-Kommission am Mittwochabend in Brüssel mit: "Die jüngsten Ergebnisse haben gezeigt, dass das spanische Gemüse nicht verantwortlich für den Ausbruch von EHEC in Deutschland und anderen Mitgliedsstaaten ist.“
Falls ein Staat kontaminierte Lebensmittel entdeckt, kann er über das europäische Schnellwarnsystem für Nahrungs- und Futtermittel (RASSF) eine entsprechende Mitteilung an die anderen EU-Länder geben. Deutschland hatte vor wenigen Tagen die EU-Länder vor den Ursachen der Infektion offiziell gewarnt. Zuvor waren in Hamburg auf Salatgurken aus Spanien EHEC-Erreger entdeckt worden. Laboranalysen ergaben mittlerweile jedoch, dass die Keime nicht zu der Art gehören, die die Welle von Infektionen ausgelöst hatten.
Zapatero kritisiert Deutschland und EU
Der spanische Ministerpräsident José Luis Rodriguez Zapatero übte scharfe Kritik an Deutschland und der Europäischen Kommission. Zapatero erklärte am Donnerstag, die EU-Kommission habe die Warnung vor spanischen Gurken nicht schnell genug zurückgezogen, nachdem sie von den deutschen Behörden über die negativen Tests informiert worden sei.
Die Kommission "hätte schneller und entschiedener reagieren sollen“, sagte Zapatero einem Radiosender. Verantwortlich seien allerdings die deutschen Behörden, die fälschlicherweise spanische Gurken als den Auslöser der Erkrankungen ausgemacht hatten. Der Ministerpräsident erklärte, Spanien werde sich um eine Klärung und "angemessene Entschädigung“ bemühen.
Nach der Gurken-Warnung hatte Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) auf eine mögliche Schadenersatzklage Spaniens gegen die Hansestadt gelassen reagiert. EHEC gehöre nicht auf Gurken und sonstige Gemüse, und deshalb seien die in Hamburg eingeleiteten Schritte absolut in Ordnung, sagte Scholz am Mittwoch beim Blutspenden und wies damit die Kritik der spanischen Agrarministerin Rosa Aguilar zurück. Aguilar hatte am Dienstag bei einem Treffen mit EU-Kollegen im ungarischen Debrecen gesagt, dass Spanien auf EU-Ebene Entschädigungen für alle europäischen Landwirte verlangen wolle, die wegen der tödlichen EHEC-Seuche Verluste hätten.
Die Suche nach der Quelle der Ansteckung geht unterdessen weiter. EU-Gesundheitskommissar John Dalli hatte Deutschland zuvor aufgerufen, seine Bemühungen zu verstärken, um rasch die Infektionsquelle zu finden.
Russland weitet Gemüse-Importverbot auf ganze EU aus
Russland hat wegen der Gefahr durch den Darmkeim EHEC das Importverbot für Gemüse auf die gesamte Europäischen Union ausgeweitet. Bisher galt das Einfuhrverbot nur für frisches Gemüse aus Deutschland und Spanien. Grund für die Verschärfung sei die andauernde Ausbreitung des Darmkeims, sagte Russlands oberster Amtsarzt Gennadi Onischtschenko nach Angaben der Agentur Interfax am Donnerstag. Der Zoll sei angewiesen, kein frisches Gemüse mehr über die Grenzen zu lassen. Alle verdächtigen Waren seien zudem aus dem Handel zu nehmen, sagte Onischtschenko.
Zuvor hatte Russland bereits Gemüse aus Deutschland und Spanien aus den Lebensmittelmärkten entfernen lassen. Das eingeschränkte Importverbot galt seit 30. Mai. Die Behörden in Moskau hatten die Bevölkerung schon vor Tagen vor dem Verzehr gewarnt und besondere Hygienehinweise erlassen.
Das größte Land der Erde importiert wegen der mangelnden Eigenversorgung viele Lebensmittel aus der EU. Russische Experten forderten vor dem Hintergrund des Importverbots eine Stärkung der Gemüseproduktion im eigenen Land.
Brüssel nennt Einfuhrverbot unverhältnismäßig
Die EU bezeichnete das von Russland verhängte Verbot von Gemüseimporten als unverhältnismäßig. Ein Sprecher von EU-Gesundheitskommissar John Dalli kündigte am Donnerstag in Brüssel ein Schreiben der EU-Kommission an die zuständige russische Behörde für die Überwachung von Verbraucherrechten an. Darin werde sie eine Erläuterung des Verbots fordern. Außerdem seien in den kommenden Tagen Treffen mit russischen Behördenvertretern geplant. Russland bezieht 30 bis 40 Prozent seines Obst und Gemüses aus der EU.
Ungarische Zeitung: Lebensmittel so gefährlich wie Waffen
Zu den wirtschaftlichen Folgen der vielen tödlichen EHEC-Erkrankungen in Europa schreibt die rechtskonservative, regierungsnahe ungarische Tageszeitung "Magyar Nemzet" am Donnerstag: "Obwohl wichtig, ist der freie Warenstrom in der EU kein überall gültiges Prinzip. Für Medikamente und Waffen gilt es zum Beispiel nicht, denn dieser Handel unterliegt besonderen Kontrollen. Die regelmäßigen Lebensmittelskandale zeigen, dass auch in diesem Sektor erhöhte Aufmerksamkeit gelten sollte. Denn hier hat die Profitgier die Spielregeln vorgeschrieben, so dass wir aus jedem Land mit gesundheitsschädlichen Produkten überrascht werden können. (...) Da es um Menschenleben und um tausende Arbeitsplätze geht, wäre es an der Zeit, dass die Verantwortlichen in der EU sich überlegen, welchen Schaden sie dadurch anrichten, dass sie weiterhin die freie Bewegung der Waren als unantastbares Prinzip behandeln."
Bauernverband fordert finanzielle Kompensationen
Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner, fordert vor dem Hintergrund der EHEC-Krise Hilfen für die Gemüsebauer. Viele Betriebe stünden wegen der Angst der Verbraucher vor dem EHEC-Erreger vor dem Ruin, sagte Sonnleitner der "Passauer Neuen Presse“ (Donnerstagausgabe). Er kritisierte das Krisenmanagement einiger Behörden: "Man hat sich viel zu früh, ohne abgesicherte Faktengrundlage, auf Gurken als Ursache festgelegt. Jetzt musste man wieder zurückrudern, weil die Gurken den gefährlichen Erreger nachweislich nicht übertragen haben.“ Das habe die Verbraucher zusätzlich verunsichert. Sonnleitner forderte Hilfe für die Gemüsebauern in Form kurzfristiger finanzieller Kompensationen – von der Bundesregierung wie von der EU. 30 Millionen Euro an Einbußen seien nicht verkraftbar.
Nach Ansicht der Branche hat die neue Ungewissheit die Lage der Gemüsebauern verschärft. Der Bundesvereinigung der Erzeugerorganisationen Obst und Gemüse (BVEO) zufolge trägt die Kaufzurückhaltung – auch bei anderem Gemüse – zu Umsatzeinbußen von ungefähr vier Millionen Euro pro Tag bei.
Millionenausfall für Frankreichs Gurkenzüchter
Auch in Frankreich beklagen die Gurkenzüchter einen Verdienstausfall von rund 1,5 Millionen Euro innerhalb von einer Woche. Das wurde am Mittwoch am Rande eines Krisentreffens von Branchenvertretern und Vertretern des Landwirtschaftsministeriums in Paris bekannt.
Die Angst vor der gefährlichen Seuche habe den Gurkenabsatz beeinträchtigt. Betroffen seien aber auch andere Gemüsesorten wie Salat oder Tomaten, bei denen die Preise angesichts der sinkenden Nachfrage verfielen.
EU-Kommissar Dalli hält Entschädigungen generell für denkbar. Auch EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos hat angekündigt, rechtliche Möglichkeiten für Kompensationen betroffener Landwirte auszuloten.
Erreger kann auch durch Verpackung auf Ware gelangt sein
EHEC ist eine Infektion mit dem enterohämorrhagischen Escherichia-coli-Bakterium. Von dem Darmkeim betroffene Patienten erkranken an dem sogenannten hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS), das unter anderem mit Nierenschädigungen einhergeht.
Aigner sagte, dass die spanischen Gurken "nicht den eigentlichen Erreger tragen“, nämlich das Bakterium vom Stamm O104:H4. Nach Hunderten von Proben seien sich die Experten noch nicht einmal sicher, ob überhaupt ein Agrarprodukt für die Infektionen verantwortlich gemacht werden könne. Denn der Erreger kann auch bei Transport, Verladung und Verpackung auf die Ware gelangt sein.
Erreger wird meist nicht gefunden
Andreas Samann vom Institut für Hygiene und Umwelt in Hamburg machte den Abgeordneten wenig Hoffnung, dass die Quelle des Darmkeims rasch entdeckt wird. In fast 80 Prozent aller Fälle weltweit finde man den Erreger nicht. Ähnlich sieht das auch Andeas Hensel, Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR). "In der Mehrzahl aller Ausbruchsgeschehen wird das Agens nicht isoliert“, sagte er.
RKI-Chef Burger berichtete, inzwischen seien alle Bundesländer betroffen, besonders schwer Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Hamburg. Gebe es sonst bundesweit etwa 1.000 EHEC-Ausbrüche pro Jahr mit 50 bis 60 HUS-Fällen, seien derzeit so viele allein in Hamburger Krankenhäuser zu finden. Die Quelle sei weiterhin unbekannt: "Man kann da nur spekulieren.“
Sicher sei, dass sie weiter zu Infektionen führe und dass mit 70 Prozent weit mehr Frauen als Männer betroffen seien, sagte Burger. Mögliche Erklärungen dafür seien, dass Frauen mehr Rohkost essen und öfter die Speisen vorbereiten. Erste Hinweise gebe es auch darauf, dass sich Personen angesteckt haben, die Kranke pflegen.
Wenn nicht Gemüse - was dann?
Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung tappt weiter im Dunkeln. BfR-Präsident Henseler meinte, noch sei man mitten drin in der Klärung des Ausbruchsgeschehens: "Wir wissen derzeit nicht, ob es die Gemüse sind.“ Es gebe aber noch keinen Hinweis darauf, dass der Erreger aus der Tierhaltung komme.
Bis Dienstagnachmittag habe man 1.115 Proben gezogen, berichtete Helmut Tschiersky-Schöneburg, Präsident des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. 188 Gurken, 148 Tomaten und 184 Blattsalate seien aufwendig getestet worden. Hinzu kamen 45 Mal Erdbeeren, 13 Mal Spargel und 2 Mal Champignon plus Gewürze und Kräuter. Zur Sicherheit wurden darüber hinaus neun Mal Rohmilch getest, 38 Mal Käse und 19 Mal Fleisch.
Für Forderungen des spanischen Bauernverbands nach Schadenersatz wegen angeblich unzutreffender Warnung vor Gemüse aus Spanien hat man im Verbraucherministerium kein Verständnis. Zwar sei nicht der Stamm O104:H4 gefunden worden, sagte ein Vertreter. Aber EHEC-Erreger seien entdeckt worden, und die seien meldepflichtig, ohne Wenn und Aber.
Experte Samann sagte, es gebe "viele, viele Spekulationen“ über den Erreger. Sie reichten hin bis zur Verbreitung über Flugasche und Sandsturm. Wie dies aber damit in Verbindung gebracht werden könne, dass sie meisten Infizierten in der Altersgruppe 20 bis 40 Jahre und weiblich seien, erschließe sich ihm nicht, sagte Samann.
Hamburger Blutspendedienst verzeichnet großer Andrang
Nach mehreren Aufrufen zum Blutspenden wegen der schweren EHEC-Fälle verzeichnet der Blutspendedienst Hamburg einen großen Andrang an Hilfsbereiten. "Wir haben zur Zeit einen Ansturm von Spendern“, sagte der ärztliche Leiter des Hamburger Blutspendediensts, Lutz Schmidt, am Mittwoch. Am Vortag sind den Angaben zufolge 30 bis 40 Prozent mehr Menschen als durchschnittlich gekommen. An den sechs Standorten des Dienstes in der Stadt sei insgesamt 725 Mal Blut gespendet worden.
Schmidt erklärte indes, dass Plasma von derzeit gespendetem Blut wegen weiterer Tests frühestens in vier Monaten verwendet werden könne. Dennoch gebe es einen Regelbedarf an Blut in Hamburg. "Wir brauchen Blut, wir brauchen auch Plasma, die leeren Reserven müssen aufgefüllt werden“, sagte er. Derzeit würden täglich zehnmal so viele Plasmen wie normal verbraucht. Wegen des derzeit hohen Andrangs an Spendern empfahl er allerdings, nicht zwischen Himmelfahrt und Pfingsten zu spenden.
Vergangene Woche hatte das Hamburger Universitätsklinikum-Eppendorf (UKE), das über eine eigene Blutspendeeinrichtung verfügt, wegen der vielen schweren EHEC-Fälle zum Blutspenden aufgerufen. Dort reicht der Vorrat nach eigenen Angaben zwar noch für die kommenden Wochen. Anschließend sei allerdings mit einem deutlichen Engpass zu rechnen. Das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) hatte am Montag mitgeteilt, dass die Plasma-Lager mittlerweile leer seien.
Mit Material von dpa/rtr/dapd