“In Zeiten wie diesen“, hat die hessische CDU plakatiert, brauche das Land “Roland Koch“. Das klingt elegant und entfernt literarisch nach García...

Wiesbaden. "In Zeiten wie diesen", hat die hessische CDU plakatiert, brauche das Land "Roland Koch". Das klingt elegant und entfernt literarisch nach García Marquez und seinem Roman "Die Liebe in den Zeiten der Cholera". Nur dass statt der Cholera gerade die Wirtschaftskrise grassiert. Und diese Krise ist für Roland Koch ein Geschenk des Himmels. Denn von Wirtschaft und Finanzen versteht er was, das müssen sogar seine erbittertsten Gegner zugeben, die sich schwer damit tun, mit ihren Themen - Bildungsgerechtigkeit, Energiewende - beim Wähler die nötige Durchschlagskraft zu entwickeln, und die sich deshalb auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt haben: Koch muss weg!

Die Umfragen sagen dem 50-Jährigen allerdings eine dritte Amtszeit voraus: CDU und FDP kommen aktuell zusammen auf 54 Prozent. Und Koch selbst räumt in diesem Wahlkampf sogar schon öffentlich ein, dass es gut läuft. "Es wäre ja auch blöd, das zu bestreiten", sagt er beim "Politischen Unternehmer-Frühstück" im Autobahnrasthaus bei Hessisch-Lichtenau, da, wo die A 44 im Nichts endet. Zum Stand gebracht durch das Große Mausohr, eine Fledermausart, und den Bund für Natur- und Umweltschutz. Hier zeigt sich der neue Roland Koch. Hier sagt er, die A 44 sei zwar "existenziell" für das strukturarme Nordhessen, aber er sagt auch, dass er es aufgegeben habe, darüber zu diskutieren, wie man die Gesetze bequemer machen könne. "Heute sage ich meinen Beamten: 'Arbeitet es ab! Jedes neue Gutachten, jede neue Auflage des Bundesverwaltungsgerichts.'"

"Weichgespült" nennen SPD und Grüne diesen neuen Koch. Die ihm nicht über den Weg trauen. Nicht mehr nach der harschen Wahlkampagne vom vergangenen Jahr, in der Koch die Kriminalität von Ausländerkindern thematisierte, nachdem ein junger Türke und ein junger Grieche einen Rentner in einem Münchner U-Bahnhof zusammengeschlagen hatten. Diese Kampagne sei der CDU entglitten, sagt Roland Koch rückblickend. Und wenn die Frage gestellt werde, ob der Wahlkämpfer Koch einen Fehler gemacht habe, dann müsse er sagen: "Ja, der Wahlkämpfer Koch hat einen Fehler gemacht."

Er sitzt wieder in dem schwarzen Bus, mit dem er Hessen abklappert. In einer Maschinenfabrik wird er an diesem Tag symbolisch eine 5,4 Millionen Euro teure Anlage in Betrieb nehmen, mit der sich Turbinenhalterungen für große Offshore-Windanlagen fräsen lassen. Von einem anderen Unternehmer wird er sich erklären lassen, was ein Schweißkappenwechsler ist, und von einem Bauern, warum es mit den Milchpreisen so nicht weitergehen kann. Außerdem stehen noch eine Wahlkampfveranstaltung in Rüsselsheim auf dem Programm und ein Auftritt im lieblichen Rheingau. Sechzehn Stunden dauern diese Wahlkampftage, aber der als Aktenfresser bekannte Spitzenkandidat ist jederzeit in der Lage, eine neue Zahl aus dem Hut zu zaubern. Und während die Mitarbeiter allmählich physisch an ihre Grenzen geraten, redet Koch immer noch schwungvoll über das Volumen der hessischen Bauindustrie und über das gewaltige Bürgschaftspaket, das er für Opel geschnürt hat. "Wir organisieren nicht den Abstieg", ruft er seinen Zuhörern dann zu, "sondern wir wollen den Wohlstand verteidigen!" Inzwischen gehören sogar SPD-Bürgermeister und Opel-Betriebsräte zu seinen Sympathisanten. In der Krise scheint alles möglich.

Und Roland Koch, der vor einem Jahr politisch vor dem Ende stand, könnte der erste große Krisengewinner des Superwahljahrs werden. Er fühlt es selbst. In Zeiten wie diesen springt er mit seinen Widersachern nicht mehr so ruppig um wie früher, seine Seitenhiebe auf die hessische SPD, der die Demoskopen gerade noch 25 Prozent voraussagen, sind spöttisch - "Schäfer-Gümbel ist nur die Kühlerfigur, am Steuer sitzt weiter Andrea Ypsilanti" -, aber nicht verletzend. Mit zunehmendem Lebens- und Amtsalter gelinge es ihm vielleicht, die Dinge verbindlicher zu machen, hat er morgens in kleiner Runde erklärt. Und abends im Bus, auf der vorletzten Etappe nach Oestrich-Winkel, kann man dann tatsächlich einen anderen Roland Koch erleben. Einen Roland Koch, dem es zusetzt, dass viele bis heute glauben, er habe vor acht Jahren im CDU-Parteispendenskandal die "jüdischen Vermächtnisse" erfunden, obwohl es nachweislich nicht stimmt. Einen Roland Koch, der zugibt, zu Hause vom Hochdeutschen in ein weicheres Idiom zurückzufallen. Nicht richtig ins Hessische, das beherrsche er nicht, aber so schöne Sätze wie "Mach disch hame, mach ins Bett", die könne er schon herausbringen. Das ist er eben auch. Nicht nur der Bürokrat, der von sich sagt: "Ich fühle mich sehr wohl in der Regelung von abstrakten Problemen und Details." Nicht nur der Machtmensch, der einerseits sagt, die hessische CDU arbeite mit drei Spitzen - "Innenminister Volker Bouffier, Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung und Roland Koch" -, der aber andererseits auch zugibt: "So lange einer wie ich da ist, entwickelt sich kein anderer."

Vielleicht ist er ja demnächst doch irgendwann in Berlin. Als Bundeswirtschafts- oder Bundesfinanzminister. Vorausgesetzt, er erhält am Sonntag die komfortable schwarz-gelbe Mehrheit, die ihm die Demoskopen voraussagen. Dann stünden ihm, den vor einem Jahr die meisten abgeschrieben hatten, wieder alle Möglichkeiten offen.


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