Sigmar Gabriel warnt vor einer Staatskrise, sollte der Bundespräsident zurücktreten. Die Opposition fordert weitere Aufklärung Wulffs.
Berlin. Die Zuschauer wussten, dass er dieses eine Thema nicht ansprechen würde. Dass er es nicht tun würde, war schon Mitte vergangener Woche direkt nach der Aufzeichnung der Weihnachtsansprache im Schloss Bellevue kolportiert worden. Ohne einen einzigen Satz zu seiner Kreditaffäre vollzog also Bundespräsident Christian Wulff die traditionelle Ansprache zum Fest. Aber das Interesse an seinen Worten war dennoch groß. Mehr als sieben Millionen Menschen schauten sich Wulffs Rede in ARD und ZDF am ersten Weihnachtstag an. Gegen Fremdenhass und Extremismus wandte er sich darin und erhielt dafür ausdrückliches Lob vom Zentralrat der Juden.
Nachdem Wulff am Donnerstag eine Erklärung abgegeben und sich darin auch für seine fehlende Gradlinigkeit entschuldigt hatte, scheinen sich allmählich die politischen Lager in der Causa Wulff zu beruhigen: Einen Rücktritt will ausdrücklich keine Partei. Doch die Kritik am Staatsoberhaupt bleibt. "Verheerend" und "nahe an einer echten Staatskrise" wäre es nach Ansicht von SPD-Chef Sigmar Gabriel, "wenn innerhalb von zwei Jahren zum zweiten Mal ein Bundespräsident zurückträte". Im Gespräch mit der "Welt" fügte er hinzu, dass rückhaltlose Aufklärung nicht zum Rücktritt, sondern zu einer Rückkehr in eine angemessene und glaubwürdige Amtsführung führen solle. Laut Gabriel dürften Träger öffentlicher Ämter Fehler machen, sie müssten aber "besonders klar, eindeutig und glaubwürdig" damit umgehen.
Wulffs Erklärung reichten dem SPD-Chef demnach offenbar noch nicht aus. Er kritisierte auch die Entlassung des Sprechers des Bundespräsidenten, Olaf Glaeseker. "Taktisches Verhalten und Bauernopfer wie die Entlassung seines Pressesprechers sind fehl am Platz." Es gehe um die Frage, ob Wulff sich als Ministerpräsident an Recht und Gesetz gehalten habe. Dies müsse vor allem im Landtag in Hannover geklärt werden.
Die CSU-Landesgruppe im Bundestag forderte dagegen die Opposition auf, die Debatte um Christian Wulff endlich zu beenden. Die parteipolitischen Angriffe müssten jetzt eingestellt werden, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe Stefan Müller dem Abendblatt. "Sie schaden nicht nur der Person Christian Wulff, sondern auch dem Amt des Bundespräsidenten", betonte der CSU-Politiker. Mit der Offenlegung von Unterlagen und seiner Erklärung in der vergangenen Woche sei der Bundespräsident der Verantwortung gerecht geworden, die mit seinem Amt einhergehe, sagte Müller weiter. "Das ist das Maß an Transparenz, das die Bürger von ihm erwarten und das die Glaubwürdigkeit in seine Person erfordert."
Wulff müsse sich wieder auf das konzentrieren können, was sein Amt erfordere. "Gerade in schwierigen Zeiten den Bürgern Orientierung geben und für Vertrauen in die Politik werben", sagte der CSU-Politiker.
Die Linkspartei ist allerdings noch nicht mit Wulffs bisherigen Einlassungen zufrieden: "Ich bezweifle, dass sich die Debatte erledigt, nur weil die großen Parteien einen Schlussstrich wollen", sagte Parteichef Klaus Ernst dem Abendblatt. Er kritisierte damit auch indirekt die Äußerungen Gabriels. Er bedauere es außerordentlich, so der Parteichef der Linken, "dass wir ausgerechnet jetzt diese Debatte führen müssen". Europa stehe am Rand einer tiefen Krise. "Wir brauchen einen Präsidenten, der unbelastet im Interesse der Bürger mit den Banken ins Gericht gehen kann", so Ernst.
Selbst der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Nikolaus Schneider, mischte sich in die Diskussion ein und sprach sich für ein Verbleiben Wulffs im höchsten Staatsamt aus. In der "Passauer Neuen Presse" betonte Schneider, er würde es "als einen Verlust empfinden", wenn Wulff von seinem Amt zurückträte: "Ich finde, dass er zunehmend gut ins Amt gefunden hat. In persönlichen Begegnungen habe ich ihn als sehr überzeugend empfunden." Es dürfe zwar nicht der Eindruck entstehen, "dass private Freundschaften mit Wirtschaftsleuten zu Klüngel und Vorteilsnahme" führten. Doch müssten Menschen in politischen Ämtern "frei bleiben, ihren Freundeskreis selbst zu wählen und zu pflegen".
Ob es als Ministerpräsident redlich war, sich von Freunden einen Hauskredit geben zu lassen und den Landtag im Unklaren darüber zu lassen, darüber sind die Deutschen gespaltener Meinung. Nach einer Emnid-Umfrage für die "Bild am Sonntag" haben 51 Prozent der Bundesbürger großes oder sehr großes Vertrauen in das Staatsoberhaupt, 48 Prozent dagegen nur noch geringes oder gar kein Vertrauen. 50 Prozent sind davon überzeugt, dass Wulff seine Ämter dazu nutzte, um Freunden behilflich zu sein, 45 Prozent glauben das nicht, 63 Prozent der Deutschen nehmen Wulffs Entschuldigung für seinen Umgang mit der Affäre um den Privatkredit in Höhe von 500 000 Euro an - 30 Prozent tun dies nicht. Einen Rücktritt lehnen 73 Prozent ab.