Herausfordererin Künast und Fraktionschef Ratzmann pochen auf Rot-Grün. CDU-Spitzenkandidat Henkel bietet Wowereit “ernsthafte Sondierungsgespräche“ an.

Berlin. Klaus Wowereit hat es wieder einmal gepackt. Berlins Regierender Bürgermeister und SPD-Spitzenkandidat führte seine Partei am Sonntag erwartungsgemäß zum dritten Sieg in Folge. Er bezwang die Herausforderin von den Grünen, Renate Künast, deutlich, auch wenn er sein selbst gestecktes Wahlziel von 30 Prozent + x knapp verfehlte. Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis standen für die Sozialdemokraten 28,3 Prozent zu Buche. Den Koalitionspartner kann sich Wowereit aussuchen. Nach den Zahlen vom Montagvormittag sind rechnerisch ein rot-grünes und ein rot-schwarzes Bündnis möglich.

Eine Neuauflage der rot-roten Koalition ist wegen erneuter Verluste der Linken, die in den vergangenen Monaten mit Führungsquerelen in der Bundespartei heftigen Gegenwind bekam, ausgeschlossen. Sie muss nach zehn Jahren wieder die Oppositionsbank drücken. Dort nimmt erstmals auch die Piratenpartei Platz, die sozusagen auf der Zielgeraden noch fleißig gepunktet und völlig überraschend die Fünf-Prozent-Hürde übersprungen hat. Dafür ist die FDP nicht mehr im Parlament vertreten.

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Koalitionspoker hat begonnen

Die SPD als Wahlsieger steht vor der schwierigen Entscheidung, ob sie mit den Grünen oder der CDU zusammengeht. Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann forderte am Montag die Sozialdemokraten auf: "Es gibt eine stabile Mehrheit, und die SPD hat jetzt den Auftrag, aus dieser Mehrheit etwas zu machen.“ Die Grünen seien ein zuverlässiger Partner. Auch Spitzenkandidatin Renate Künast sagte: "Ich hoffe auf eine rot-grüne Regierung, die den Dornröschenschlaf ablöst und endlich was in Berlin bewegt.“

Der SPD-Landesvorstand wollte am Nachmittag festlegen, mit wem die Sozialdemokraten zuerst über eine Koalition sprechen. Regierungschef Klaus Wowereit hatte am Wahlabend bekräftigt, dass er größte Schnittmenge mit den Grünen sieht. Die Mehrheit für das Bündnis wäre aber sehr knapp. Wowereit sagte, es müsse auch berücksichtigt werden, wie komfortabel eine Mehrheit wäre. "Man muss fünf Jahre regieren können, da darf es keine Wackelei geben.“

CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel sagte, seine Partei stehe für "ernsthafte Sondierungsgespräche“ bereit. Der Berliner Landesvorsitzende der Piratenpartei, Gerhard Anger, wollte sich am Wahlabend nicht zu der Frage äußern, ob der Parlaments-Neuling eine rot-grüne Minderheitsregierung tolerieren würde. Spitzenkandidat Andreas Baum schloss allgemein eine Unterstützung nicht aus.

Nach dem vorläufigen Endergebnis der Landeswahlleiterin erhält die SPD 48 Sitze, die Grünen 30. Gemeinsam hätten sie einen Sitz mehr als die absolute Mehrheit von 77 Sitzen. In einer Koalition mit der CDU, die 39 Sitze erhält, hätte Wowereit eine komfortablere Mehrheit.

Wowereit spürt "Rückenwind" für Bundes-SPD

Nach dem Wahlerfolg spürt Wowereit auch "Rückenwind“ für die SPD im Bund. Die SPD, die in den Ländern "sehr stark“ sei, "kann gewinnen und sie gewinnt“, sagte der stellvertretende SPD-Vorsitzende am Montag vor einer Präsidiumssitzung in Berlin. Die Sozialdemokraten seien die "eindeutige Alternative“ zur desolaten schwarz-gelben Bundesregierung. Das desaströse Abschneiden der Liberalen bei der Abgeordnetenhauswahl kommentierte Wowereit mit den Worten: "Die Bürger lassen sich nicht mit Populismus vor den Karren der FDP spannen.“

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Zur Frage, ob er 2013 als Kanzlerkandidat der SPD bereitstehe, sagte Wowereit am Sonntagabend, er habe soeben einen Regierungsauftrag von den Berliner Bürgern erhalten, den er erfüllen wolle. CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel sagte in der ARD: "Heute ist ein erfolgreicher Tag für die CDU." Mit der Abwahl von Rot-Rot habe die Partei ihr wichtigstes Wahlziel erreicht. Grünen-Spitzenkandidatin Künast zog eine gemischte Bilanz. "Wir haben noch mehr gewollt und nicht alle Ziele erreicht, aber wir bleiben dran." FDP-Generalsekretär Christian Lindner verordnete seiner Partei nach der bitteren Niederlage eine "Phase der Nachdenklichkeit". Er empfehle, "das Ergebnis in Demut aufzunehmen". Lindner räumte ein, dass das Wahlergebnis nicht nur für die Berliner Liberalen, sondern für die FDP insgesamt eine Niederlage sei. FDP-Chef Philipp Rösler äußerte sich am späten Abend in der ARD-Sendung "Günther Jauch". "Da ist noch deutlich Spielraum nach oben", sagte er.

Piratenpartei neu im Abgeordnetenhaus

Trotz leichter Verluste blieben die Sozialdemokraten nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis mit 28,3 (2006: 30,8) Prozent stärkste Kraft in Berlin - gefolgt von der CDU, die zulegen konnte und mit 23,4 Prozent (+ 2,1 Prozent) einen versöhnlichen Schlusspunkt unter das von vielen Pleiten geprägte Superwahljahr setzen konnte. Die Grünen mit Spitzenkandidatin Renate Künast erzielten mit 17,6 Prozent (+ 4,5 Prozent) zwar ihr bisher bestes Berlin-Ergebnis, blieben aber dennoch hinter den Erwartungen zurück. Zu den Verlierern zählt neben der FDP (1,8 Prozent) die bisher an der Regierung beteiligte Linke, für die sich nur noch 11,7 (2006: 13,4) der stimmberechtigten Berliner entschieden. Die FDP scheiterte mit einem Minus von 5,8 Punkten klar an der Fünf-Prozent-Hürde. Die Linke dagegen entsendet 20 Kandidaten in das neue Abgeordnetenhaus.

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Neu im Parlament ist die Piratenpartei , die auf Anhieb 8,9 Prozent erreichte. Sie erhält 15 Sitze - genau so viele Kandidaten hatte die Partei auf ihrer Liste. Die Wahlbeteiligung verbesserte sich leicht auf 60,2 Prozent (+2,2 Prozentpunkte). Die künftigen Piraten-Abgeordneten bereiten sich bereits auf ihren ersten Einzug in ein Parlament vor. Sie wollen sich für mehr Mitspracherechte einsetzen, wie Spitzenkandidat Andreas Baum der Nachrichtenagentur dpa sagte.: "Wie schafft man es, diesen Wunsch der Berliner, sich aktiv in die Politik einzubringen, auch stärker ins Abgeordnetenhaus mitzunehmen?“ Baum räumte ein, dass die Partei inhaltlich noch Nachholbedarf hat. "Natürlich haben wir an manchen Stellen noch Wissenslücken und müssen uns noch weiterentwickeln.“

Der Blogger Sascha Lobo sieht für ihren Erfolg zwei Gründe: "Die Unzufriedenheit vieler Bürger mit der ritualhaften, für das 21. Jahrhundert lebensfernen Politik. Und die Hoffnung, dass eine Politik der digitalen Vernetzung das ändert“, wie Lobo der dpa sagte.

Künast verliert Kampf ums Rathaus

Die Grünen, die mit Künast im Herbst 2010 sehr aussichtsreich gestartet waren, mussten am Ende trotz Zugewinnen ihren Traum vom Posten des Regierenden Bürgermeisters begraben. Zum Schrecken der ehrgeizigen Spitzenpolitiker fiel die Partei zuletzt sogar noch auf den dritten Platz hinter der CDU zurück. Auch wenn die Partei ihr bestes Ergebnis bei einer Berliner Landtagswahl einfuhr, hat Künast den Kampf mit Wowereit um das Rote Rathaus verloren und wird wie angekündigt Chefin der Grünen-Bundestagsfraktion bleiben.

Welchen Anteil sie selbst an ihrem Scheitern trägt, ist schwer zu beurteilen. Ein Problem war möglicherweise, dass Künast sich lange gegen den Widerstand des linken Parteiflügels auch eine Koalitionsoption mit der CDU offen hielt. Erst wenige Tage vor der Wahl und damit vielleicht zu spät schloss sie ein solches Bündnis aus und legte sich fest, dass die Grünen Juniorpartner der SPD werden wollen.

Welchen politischen Partner sich Wowereit ins Boot holt, lässt er offiziell noch offen. Der 57-Jährige will zunächst sondieren, mit wem am besten sozialdemokratische Programmatik möglich sei. Am wahrscheinlichsten dürfte jedoch eine Koalition mit den Grünen sein - die bei den Berlinern ohnehin beliebteste politische Konstellation. Beide Parteien haben die größten Schnittmengen und die Grünen lechzen danach, endlich auch in der Hauptstadt politisch den Ton mit angeben zu können. Immerhin haben sie bisher in Berlin nur zweimal kurz an der Macht geschnuppert: 1989/90 und 2001.

Keine leichten Koalitionsverhandlungen

Leicht werden die Koalitionsverhandlungen sicher nicht. Die Grünen gelten als streitlustiger und unbequemer Partner. Und mit der Verlängerung der Autobahn A 100 von Neukölln nach Treptow muss ein harter Brocken aus dem Weg geräumt werden. Wowereit will das Projekt, die Grünen lehnen es ab. Künast und andere Spitzenpolitiker hatten getönt, die A 100 müsse die SPD mit der CDU bauen. Ob das am Ende noch zählt, bleibt allerdings abzuwarten.

Die CDU, die mit dem Bruch der großen Koalition 2001 in der Opposition landete und jetzt mit Zugewinnen möglicherweise die Trendwende eingeleitet hat, steht zum Autobahnbau. Schwierig könnte es für die SPD aber möglicherweise bei der inneren Sicherheit, der Verkehrs- und Bildungspolitik werden. Die Begeisterung für ein solches Bündnis hält sich bei Wowereit jedoch ohnehin in Grenzen.

Die Konkurrenz von Grünen und CDU um den Platz an seiner Seite dürfte dem gewieften Taktiker aber sehr entgegenkommen, denn so lässt sich eher das eine oder andere Zugeständnis abringen. Wichtig wäre eine stabile Regierung, denn die künftigen Koalitionäre müssen große Probleme schultern. Trotz einiger Fortschritte gehört Berlin nach wie vor bei Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskraft zu den bundesweiten Schlusslichtern. Und zu verteilen gibt es nichts. Vielmehr muss weiter gespart werden, denn die Hauptstadt sitzt bereits jetzt auf einem Schuldenberg von rund 63 Milliarden Euro.

Mit Material von dpa und dapd