Mit provokanter Politik könnte die Piratenpartei in Berlin erstmals ins Abgeordnetenhaus einziehen
Berlin/Hamburg. Es müssen ja nicht immer Turnschuhe sein, wie sie einst Joschka Fischer trug bei seiner Vereidigung zum hessischen Umweltminister. Andreas Baum trägt Kapuzenpullover, manchmal auch nur ein T-Shirt. Bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus ist Baum Spitzenkandidat der Piratenpartei. Seine Botschaft ist die gleiche wie Fischers 1985: Frech will er sein, unangepasst, anders eben als die üblichen Parlamentspolitiker.
Man kann das gewollt cool finden. Oder auch kindisch. Andreas Baum jedenfalls kommt an. Sonntag könnte die Partei zum ersten Mal den Einzug in ein deutsches Landesparlament schaffen. Die Meinungsforscher sagen den Piraten 6,5 Prozent der Stimmen voraus. Vielleicht sogar neun Prozent.
Der Auftritt der Piraten ist lässig, die Botschaften auf den Wahlplakaten verrätselt. "Mindestlohn ist eine Brückentechnologie" steht dort in weißer und oranger Schrift - der Mindestlohn als Brücke in den Arbeitsmarkt. Die Partei ist jung und politisch wenig erfahren. Erst vor fünf Jahren gründete sich der Berliner Landesverband, heute zählt er gut 1000 Mitglieder. Entstanden sind die Piraten aus der Netzgemeinschaft. Sie verstehen sich daher auch ausdrücklich als Partei der Informationsgesellschaft.
Der Kampf gegen Vorratsdatenspeicherung und das Sperren von Kinderporno-Seiten im Netz machte sie bekannt. Ihren Namen hat die Partei von der Musikindustrie abgeleitet, die Raubkopien als Piraterie ächtet. Deshalb fordern sie in ihrem Wahlprogramm auch kostenlosen Zugang zum Internet in allen öffentlichen Einrichtungen. Bei der Bildung wollen die Piraten die traditionellen Klassen auflösen und stattdessen jedem Schüler ermöglichen, in eigener Geschwindigkeit zu lernen. Der Konsum von Haschisch soll legalisiert werden. An den Universitäten wollen die Piraten die Regelstudienzeit streichen. Schwarzfahrer im Nahverkehr sollen nicht mehr verfolgt werden, der Transport kostenlos. Wer die Piraten wählt, wählt auch Protest.
Von radikal über links bis liberal ist die Politik der Piraten. Vor allem für die Grünen in Berlin werden sie zur Konkurrenz. Im Herbst 2010 hatten die Grünen in Umfragen noch 30 Prozent der Stimmen, mittlerweile sind es nur noch knapp 20. Viele jüngere Wähler wenden sich den Piraten zu, weil die Grünen für sie ein weiteres trockenes Politik-Angebot neben den anderen Etablierten sind. Deren Spitzenkandidatin, Renate Künast, trägt oft einen Hosenanzug. Mal weiß, mal grau.