Die große Koalition in Berlin steht. Beide Parteitage stimmten der Liaison zu. Eine Liebesehe ist es nicht. In der SPD gibt es Bauchschmerzen.
Berlin. Die große Koalition in Berlin steht. Neun Wochen nach der Abgeordnetenhauswahl stimmten SPD und CDU am Montagabend dem ausgehandelten Koalitionsvertrag zu. Auf dem Landesparteitag der SPD ging der geheimen Abstimmung eine zweistündige Debatte voraus. Das Ergebnis fiel klar, aber nicht überwältigend aus: Von 222 Delegierten stimmten 176 mit Ja, 39 dagegen und sieben enthielten sich. Die 300 Delegierten der CDU stimmten hingegen unmittelbar nach der Rede ihres Landeschefs Frank Henkel einstimmig zu – ohne Wortmeldung oder Kritik.
Zuvor hatten die Führungen beider Parteien mit Nachdruck für den fast hundertseitigen Vertrag geworben . SPD und CDU wollen Wowereit an diesem Donnerstag erneut zum Regierenden Bürgermeister wählen. Es wäre die dritte Amtszeit des 58-Jährigen. Der Koalitionsvertrag soll am Mittwoch im Festsaal des Abgeordnetenhauses unterzeichnet werden.
Nach zehn Jahren Rot-Rot besiegelten die Mitglieder von SPD und CDU damit erneut eine große Koalition. Rot-grüne Koalitionsgespräche waren zuvor am strikten Nein der Grünen zum Weiterbau der Stadtautobahn A100 gescheitert. Von 1991 bis 2001 hatten SPD und CDU schon einmal knapp zehn Jahre das Land Berlin geführt. Das damalige rot-schwarze Bündnis war 2001 an der CDU-Parteispenden- und Bankenaffäre zerbrochen.
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Obwohl die SPD mit ihrem Parteitag in einem Hotel nahe dem Alexanderplatz eine Stunde früher begonnen hatte als die CDU, zogen die Debatte und die namentliche Abstimmung den Parteitag in die Länge. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und der SPD-Landes- und Fraktionschef Michael Müller beteuerten, das Bündnis mit der CDU biete die Gewähr für eine stabile und verlässliche Regierung. Nur eine solche könne die Probleme wie die hohe Verschuldung des Landes und die Wirtschaftsschwäche anpacken.
Wowereit wies auf das nicht vorhandene Vertrauen zu den Grünen hin, mit denen die Verhandlungen gescheitert waren. „Knappe Mehrheiten zu haben und kein Vertrauen, das war tödlich.“ Er warf den Grünen vor, nur für sich und ihre Politik Glaubwürdigkeit eingefordert zu haben. „Zugleich haben die Grünen vom größeren Koalitionspartner erwartet, dass er seine Glaubwürdigkeit an der Garderobe abgibt.“
Wowereit und Müller traten vehement der Darstellung entgegen, die SPD habe insgeheim wegen der größeren Mehrheiten immer eine Koalition mit der CDU gewollt. „Wir wollten Rot-Grün“, betonte Müller. „Die Koalition ist nicht an einem Stück Autobahn gescheitert.“ Doch die Grünen hätten weder gewusst, wo sie hinwollten, noch wie sie mit dem Koalitionspartner umgehen sollten.
Müller sagte zum Koalitionsvertrag: „Diese 100 Seiten sind mit roter Tinte geschrieben.“ Die SPD habe ganz viele ihrer Inhalte durchsetzen können. Dazu gehörten die Gebührenfreiheit in der Bildung, das Pflichtfach Ethik ebenso wie ein Mindestlohn von 8,50 Euro für öffentliche Aufträge oder die Namensschilder für Polizisten.
Unter den mehr als 30 Rednern gab es relativ wenige Stimmen, die sich ablehnend zu dem Bündnis mit der CDU äußerten. Ein Delegierter brachte die Stimmung auf den Punkt: „Das ist keine Traumhochzeit, aber letztlich unvermeidlich.“ Der Alt-Linke Hans-Georg Lorenz sagte: „Die CDU hat erreicht, was sie erreichen konnte – eine große Koalition.“ Er warnte seine Partei davor, die Koalition als „freundschaftliches Bündnis“ zu betrachten. „Wir müssen klar machen: Das ist eine Zwangsehe.“
Henkel griff das Thema Vertrauen auf. „Wir haben gemerkt, dass es viel mehr Dinge gibt, die uns einen statt zu trennen“, sagte er in der CDU-Bundesgeschäftsstelle. „Es ist auch Vertrauen zwischen den beiden Verhandlungspartnern gewachsen.“
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Innerhalb der CDU war die Einigkeit und Begeisterung über die Regierungsbeteiligung so groß, dass es nach der 40 Minuten langen Rede von Henkel in der CDU-Bundesgeschäftsstelle nur minutenlangen Applaus und keine Wortmeldung gab. Henkel betonte zum Schluss seiner Rede: „Diese Koalitionsvereinbarung ist von Pragmatismus geprägt. Sie ist aber auch und vor allem eine Liebeserklärung an unsere Stadt.“
Henkel räumte aber auch ein, seine Partei habe für den Koalitionsvertrag große Zugeständnisse gemacht. Henkel sprach von einigen „schmerzlichen Punkten“. Konkret nannte er die weiterhin ausbleibende Verbeamtung von Lehrern und den Religionsunterricht, der nur freiwilliges Zusatzfach bleibt. „Hier war einfach nichts zu machen“, sagte Henkel. „Ich bedaure das außerordentlich.“
Allerdings habe sich die CDU in dem Vertrag in einer ganzen Reihe von Punkten durchsetzen können, sagte Henkel: Wirtschaftsfreundliche Politik, bezahlbarer Wohnraum, eine Stärkung der Gymnasien, mehr Polizei und Sicherheit auf den Straßen. Angesichts des rechtsextremen Terrors kündigte er an: „Diese Koalition wird weder auf dem rechten noch auf dem linken Auge blind sein.“