Überraschungssieger mit 15 Mandaten. Häme gegen Grüne: Eine App reicht nicht. Wird die Piratenpartei im Abgeordnetenhaus entzaubert?

Berlin/Hamburg. Die Piratenpartei will sich nach ihrem Sensationserfolg in Berlin für mehr Mitspracherechte der Bürger einsetzen. Spitzenkandidat Andreas Baum sagte in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa: „Das drängendste Thema für uns ist die Beteiligung. Wie schafft man es, diesen Wunsch der Berliner, sich aktiv in die Politik einzubringen, auch stärker ins Abgeordnetenhaus mitzunehmen?“ Baum räumte ein, dass die früher vor allem auf Internet-Themen spezialisierte Partei inhaltlich noch einigen Nachholbedarf hat. „Natürlich haben wir an manchen Stellen noch Wissenslücken und müssen uns noch weiterentwickeln. Das ist ja kein Wunder bei einer Partei, die bisher keinen einzigen Festangestellten hatte“, sagte der 33-Jährige. „Wir werden uns in alle Themen einarbeiten. Wir sagen nicht, dass wir keine Meinung haben zu Dingen, die bisher noch nicht in unserem Wahlprogramm vorgekommen sind. Aber wir werden uns diese Meinung gemeinsam mit unseren Mitgliedern bilden.“

+++ SO HABEN DIE BERLINER IN IHREN WAHLLOKALEN GEWÄHLT +++

Die Piratenpartei kann nach den Hochrechnungen alle ihre 15 Kandidaten ins Landesparlament entsenden. Eine zu dünne Personaldecke fürchtet Baum gleichwohl nicht. „Wir arbeiten natürlich als Team. Wir haben nicht nur die 15 Kandidaten auf der Liste, sondern wir haben 12.000 Mitglieder bundesweit und allein in Berlin mehr als 1000“, sagte der Spitzenkandidat. „Unsere Mitglieder werden uns ganz aktiv unterstützen, wie sie das auch bei der Entwicklung des Wahlprogramms getan haben. Darauf setzen wir, und das wird auch eine unserer Stärken sein.“ Dass die Piratenpartei großen Zulauf von Grünen-Wählern bekam, sieht Baum als Beleg für das besondere Interesse der Bürger an Mitsprache. „Das ist ein klarer Hinweis an die Grünen, dass es nicht reicht, nur im Wahlkampf eine Beteiligungs-App und ähnliches zu starten“, sagte er. „Wir sind da breiter aufgestellt. Uns geht es nicht nur im Wahlkampf um Beteiligung, sondern um ein grundlegendes Angebot.“

Für das bundesweite Auftreten seiner Partei sieht Baum zunächst keine Konsequenzen. „Da hat sich jetzt noch nichts verändert“, sagte er. „Wir treten weiterhin zu allen Wahlen an, so wie wir das bisher immer getan haben. Vor fünf Jahren gab es unsere Partei noch gar nicht. Man sieht also, in fünf Jahren lässt sich extrem viel verändern und bewegen.“

Der Berliner Politikwissenschaftler Gero Neugebauer hält den Erfolg der Piratenpartei bei der Abgeordnetenhauswahl für ein „spezifisches Berliner Produkt“. Bereits bei der Bundestagswahl 2009 habe die Partei in der Hauptstadt gute Ergebnisse erzielt. „Sie ist eine großstädtische Gruppierung“, sagte Neugebauer der Nachrichtenagentur dapd. Bei der Arbeit im Parlament werde die Piratenpartei voraussichtlich Probleme bekommen, da sie sich bisher nur einzelnen Themen angenommen habe. „Es kann aber auch sein, dass sie die Sache aussitzen und sich auf ihre Außenseiterrolle konzentrieren“, fügte Neugebauer hinzu. Es sei nicht sicher, ob die Partei durch die politische Praxis entzaubert werde.

Die Bundes-FDP sieht er nach der Wahlschlappe am Scheideweg. „Sie muss sich jetzt entscheiden, ob sie sich regierungskonform verhält oder aus der Regierung aussteigt.“ Neuwahlen sollte sie jedoch vermeiden. „In diesem Fall ist die FDP weg vom Fenster“, sagte Neugebauer. Den Wahlsieg habe die SPD vor allem ihrem Spitzenkandidaten Klaus Wowereit zu verdanken. „Wowereit hat sich mit der Herausforderung durch Renate Künast darauf besonnen, dass er ein guter Wahlkämpfer ist.“ Dennoch sei das Konzept der Berliner SPD nicht ganz aufgegangen. Es sei nicht deutlich geworden, wie die Partei die Probleme in der Stadt wirklich lösen wolle. (dpa/dapd/abendblatt.de)