CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe nimmt im Abendblatt-Interview Kanzlerin Angela Merkel in Schutz. Zudem schließt er höhere Steuern nicht aus.
Berlin. Es sind dramatische Tage in der Hauptstadt: erst der Rücktritt von Bundespräsident Köhler, dann die überraschende Kür von Christian Wulff zum Kandidaten für Schloss Bellevue. Und am Sonntag trifft sich das Kabinett zur Sparklausur im Kanzleramt. Im Abendblatt-Interview schließt CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe höhere Steuern nicht aus - und wendet sich gegen den Eindruck, Kanzlerin Merkel habe einen Machtkampf verloren.
Hamburger Abendblatt:
Christian Wulff soll Bundespräsident werden. Ein Befreiungsschlag für Schwarz-Gelb?
Hermann Gröhe:
Das ist ein klarer Beleg für unsere Handlungsfähigkeit. Der Rücktritt von Horst Köhler kam für uns alle überraschend, die Koalition hat schnell und zügig reagiert. Wobei der Rücktritt an sich nichts mit der Arbeit der Regierung zu tun hatte.
Der Rücktritt hat die taumelnde Koalition dem Abgrund ein Stück näher gebracht ...
Die Koalition taumelt nicht. Den Rücktritt des Bundespräsidenten habe ich mit großem Bedauern zur Kenntnis genommen. Für erforderlich hielt ich ihn nicht.
Köhler begründete seinen Rücktritt mit mangelndem Respekt vor dem Amt des Bundespräsidenten. Überzeugt Sie das?
Die Kritik an Köhler hat eindeutig den nötigen Respekt vermissen lassen. Da ist eine Stildebatte durchaus angebracht. Die billigen Attacken von SPD und Grünen auf Christian Wulff zeigen allerdings bereits, dass die Opposition nichts dazugelernt hat.
Die Bundeskanzlerin hatte sich Ursula von der Leyen für das höchste Staatsamt gewünscht. Kommt Angela Merkel die Durchsetzungskraft abhanden?
Nein. Christian Wulff war der Erste von mehreren exzellenten denkbaren Kandidaten, die die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende gefragt hat. Alles andere sind Falschmeldungen.
Frau Merkel hat sich Frau von der Leyen nicht gewünscht?
Angela Merkel hat sich aus vollem Herzen dafür entschieden, Christian Wulff zu fragen. Das ändert nichts an der großen Wertschätzung für andere Persönlichkeiten.
Sie wollen den Eindruck verwischen, dass Frau Merkel eine Machtprobe mit Ministerpräsidenten der Union verloren hat.
Das gehört in die Abteilung Verschwörungstheorien und hat nichts mit der Realität zu tun.
Wäre Deutschland - oder vielmehr die CDU - überhaupt schon reif für zwei protestantische Frauen an der Spitze?
Wir haben in Deutschland immer noch ein stabiles Übergewicht des männlichen Geschlechts in allen Leitungsetagen unserer Gesellschaft. Ein solcher Punkt kann also nun wirklich kein Argument sein.
SPD und Grüne haben Joachim Gauck nominiert. Sind Sie sicher, dass Wulff die Wahl gewinnt?
Ich empfinde persönlich großen Respekt und Wertschätzung für Joachim Gauck. Allerdings zweifle ich nicht daran, dass CDU, CSU und FDP in der Bundesversammlung geschlossen für Christian Wulff stimmen.
Was ist Ursula von der Leyen jetzt - Reservekanzlerin?
Sie ist eine überaus erfolgreiche Bundesarbeitsministerin und zu Recht eine der beliebtesten Politikerinnen Deutschlands, kurzum ...
... Reservekanzlerin.
Ich bin sehr froh, sie in unseren Reihen zu haben, sie ist ein Trumpf für die Union! Im Übrigen stellt sich die Frage nach einer Reservekanzlerin nicht.
Roland Koch geht in die Wirtschaft, Christian Wulff zieht wohl ins Schloss Bellevue. Wie werden Sie die CDU-Spitze umbauen?
Wir haben aus gutem Grund vier Stellvertreter. Von einer Verkleinerung der Führungsspitze halte ich nichts. Und wir haben jetzt auch die Möglichkeit, uns Zeit zu lassen mit der Entscheidung über neue Stellvertreter. Mir ist da nicht bange. In der Partei gibt es viele gute Talente.
Die Ministerpräsidenten Mappus und Tillich haben schon abgewinkt ...
Warten wir es ab.
Im Bundeskabinett jedenfalls bleiben alle Plätze besetzt. Was wird aus Jürgen Rüttgers?
Die Sondierungsgespräche in Nordrhein-Westfalen zwischen CDU und SPD haben in menschlich guter Atmosphäre stattgefunden. Es würde sich lohnen, in Koalitionsgespräche einzutreten.
Im Augenblick sieht es eher nach einer Ampelkoalition aus.
Noch ist nichts entschieden. Die Grünen haben die FDP noch kurz vor der Wahl als extremistische Partei bezeichnet. Nun ist es an diesen drei Parteien, zu entscheiden, ob man sich die Bildung einer stabilen Regierung zutraut. Die Union ist bereit, weiter Verantwortung für Nordrhein-Westfalen zu übernehmen und dafür Kompromisse einzugehen. Allerdings muss es in einer Großen Koalition bei dem Grundsatz bleiben, dass die stärkste Partei den Regierungschef stellt und die Partner selbstständig über ihr Personal entscheiden. Und es gibt keinen Zweifel, dass die CDU zu Jürgen Rüttgers steht.
Das Kabinett trifft sich zu einer Sparklausur im Kanzleramt. Sind Steuererhöhungen zur Sanierung des Haushalts ausgeschlossen?
Wir stehen vor der Herausforderung, den Haushalt zu konsolidieren und zugleich die Zukunftsfähigkeit unseres Landes zu stärken. Eine Erhöhung allgemeiner Steuern wie der Einkommen- oder der Mehrwertsteuer steht nicht auf dem Programm. Aber manche steuerliche Vergünstigung gehört auf den Prüfstand. Da darf es keine Denkverbote geben.
Was bedeutet das für den ermäßigten Mehrwertsteuersatz?
Wir sollten genau hinschauen, ob die Aufteilung in vollen und ermäßigten Mehrwertsteuersatz immer gerecht ist. Weshalb auf Babynahrung 19 Prozent und auf Tierfutter sieben Prozent erhoben werden, ist nicht nachvollziehbar. Ob solche Veränderungen schon an diesem Wochenende beschlossen werden, lässt sich nicht vorhersagen.
Über welche Einnahmequellen denken Sie noch nach?
Wir reden in erster Linie übers Sparen, darauf müssen wir unser Augenmerk vor allem richten. Denn damit wird der Großteil des Kraftakts bewältigt, um die Vorgaben der Schuldenbremse zu erreichen. Dennoch werden wir auch manche Einnahmeverbesserung in Erwägung ziehen müssen, zum Beispiel bei der Tabaksteuer.
Werden Sie brutalstmöglich sparen, wie Roland Koch das im Abendblatt-Interview gefordert hat?
Unsere Politik setzt Schwerpunkte in den Bereichen Bildung, Forschung und Familie. Und wir haben die soziale Balance im Blick - auch beim Sparen.
Sparen Sie bei Hartz IV?
Wir wollen Arbeitslosigkeit abbauen, nicht Arbeitslose bestrafen. Ziel muss sein, die Vermittlung weiter so zu verbessern, dass weniger Menschen auf diese Leistung angewiesen sind. Wenn ich mir das Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts anschaue, kann ich mir nicht vorstellen, dass die Umsetzung zu geringeren Ausgaben führt. Offen prüfen sollten wir allerdings, eine Mietpauschale für Hartz-IV-Empfänger einzuführen. Das könnte auch die Kommunen von Bürokratie entlasten.
Verteidigungsminister zu Guttenberg würde sich am liebsten die Wehrpflicht sparen. Ist das mit der CDU zu machen?
Die Bundeswehr muss die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gewährleisten können. Danach richten sich die Ausgaben. Rüstungsprojekte, die aus einer anderen Bedrohungslage stammen, gehören auf den Prüfstand. Zudem sollte man auch ehrlich prüfen, ob jede Kaserne wirklich nötig ist. Außerdem sollten wir darüber sprechen, welche Gestalt eine Wehrpflicht heutzutage haben kann und muss.
Soll heißen?
Die Wehrpflicht hat in der Union sehr großen Rückhalt. Eine kurzfristige Abschaffung oder Aussetzung steht nicht auf dem Programm. Aber bei der Planung für die nächsten Jahrzehnte darf es keine Tabus geben.
Die Union ist in Umfragen auf 30 Prozent gesunken. Haben Sie eine Vorstellung, wie Sie aus dem Tal kommen?
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass wir Vertrauen verloren haben in den ersten Monaten der christlich-liberalen Koalition. Dieses Vertrauen müssen wir durch überzeugende Arbeit zurückgewinnen.
Auf Popularität kommt es jetzt nicht an - sagt Roland Koch.
Popularität ist in der Tat kein Selbstzweck. Es geht darum, das zu tun, was wir für richtig halten. Das Vertrauen wird wachsen, wenn wir beim Sparen ein überzeugendes Konzept vorlegen. Dieser Herausforderung stellt sich das Kabinett an diesem Wochenende.
Muss die CDU wieder konservativer werden, um die Wähler zu überzeugen?
Der Zuspruch wächst, wenn wir es schaffen, in einer bunter werdenden Gesellschaft ein klares Profil mit ausreichender Integrationskraft zu verbinden.
Ist die CDU noch eine konservative Partei?
Die CDU ist eine auch konservative Partei. Unser Leitbild sind christliche Wertvorstellungen, wir handeln aus Liebe zu unserem Land. Uns prägen konservative Überzeugungen genauso wie christlich-soziale und liberale Vorstellungen.