Noch lässt das syrische Regime massenhaft Soldaten gegen die Aufständischen aufmarschieren. Doch Assads Machtgefüge bröckelt.
Damaskus/Berlin. Die Luft um den syrischen Machthaber Baschar al-Assad wird dünner: Nach hohen Militärs und Diplomaten hat sich nun auch sein Ministerpräsident Riad Hidschab ins Ausland abgesetzt und den Aufständischen angeschlossen. „Ich gebe hiermit bekannt, dass ich mich vom mörderischen und terroristischen Regime abgewandt und mich der Revolution der Freiheit und Würde angeschlossen habe“, hieß es in einer Erklärung, die Hidschabs Sprecher Mohammed al-Ottri am Montag im arabischen Fernsehsender Al-Dschasira verlas. Zuvor hatten jordanische Sicherheitskreise dem Sender bestätigt, dass Hidschab über die grüne Grenze nach Jordanien geflohen ist. Als mögliches Ziel wurde das Golfemirat Katar genannt.
Bundesaußenminister Guido Westerwelle sprach von einem Wendepunkt und einem Zerfall des syrischen Regimes. „Die Zeit von Assad ist vorüber“, sagte er am Abend in London. Ähnlich äußerte sich das Weiße Haus in Washington. Die Tatsache, dass sich immer mehr hochrangige Vertreter absetzten, sei ein Zeichen, dass Assads Macht zunehmend bröckele, sagte Sprecher Jay Carney. Nun sei das syrische Volk am Zug. „Assad kann seine Kontrolle (über das Land) nicht wiederherstellen, weil es das syrische Volk nicht erlauben wird.“
Al-Ottris Erklärung zufolge plante Hidschab seine Flucht bereits seit mehr als zwei Monaten. Bewerkstelligt wurde sie mit Hilfe der aufständischen Freien Syrischen Armee. Zu seinem Nachfolger wurde der bisherige Vize-Ministerpräsident Omar Galawandschi bestimmt.
Hidschab war erst im Juni zum Ministerpräsidenten ernannt worden. Davor hatte der 46-Jährige sein ganzes Leben treu dem Assad-Regime gedient. Er bekleidete hohe Funktionen in der herrschenden Baath-Partei. Als im Frühjahr 2011 die Proteste gegen Assad begannen, war er Gouverneur der Mittelmeer-Provinz Latakia, aus der die Assad-Familie stammt.
Nach Angaben von Oppositionellen setzte sich auch Syriens erster und einziger Kosmonaut Mohammed Achmed Faris in die Türkei ab. Der aus Aleppo stammende Luftwaffenpilot habe sich den Oppositionskräften angeschlossen, hieß es. Faris war 1987 mit den Sowjets ins All geflogen.
Assad verliert einem Regimekenner zufolge in Armee und Sicherheitsapparat vor allem den Rückhalt der Sunniten. Die sunnitischen Muslime stellen mehr als 60 Prozent der Bevölkerung, im Militärapparat allerdings nur 4000 der insgesamt 33 000 Offiziere. Der Assad-Clan und die Spitzen des Regimes gehören der schiitischen Gemeinschaft der Alawiten an, während die meisten Aufständischen Sunniten sind.
Mit Blick auf die nördliche Geschäftsmetropole Aleppo sprachen die Staatsmedien von einer bevorstehenden Entscheidungsschlacht. Angeblich sollen 25 000 Soldaten Stellung bezogen haben, wie der Rebellenkommandeur Abu Omar al-Halebi der Deutschen Presse-Agentur am Telefon sagte.
Die Aufständischen meldeten schweren Artilleriebeschuss des südwestlichen Bezirks Salaheddin durch Regimetruppen. Die Aufständischen selbst wollen einen Armeehubschrauber nahe einem Militärflughafen in Aleppo abgeschossen haben. Die Angaben beider Seiten lassen sich nicht überprüfen, da Journalisten in den Bürgerkriegsregionen kaum arbeiten können.
+++ Die Schlacht um Aleppo lässt Bewohner verzweifeln +++
+++Syrien-Vermittler Annan gibt auf – Kritik an UN-Sicherheitsrat+++
Kurz vor Bekanntwerden der Flucht Hidschabs wurden bei einem Anschlag auf das Staatsfernsehen in Damaskus mehrere Angestellte leicht verletzt, wie Informationsminister Omran al-Subi mitteilte. Das staatliche Syrische Fernsehen gilt als wichtigstes Propagandainstrument des Assad-Regimes.
Der Syrien-Konflikt hat mehrere hunderttausend Menschen in die Flucht getrieben. Die Bundesregierung sieht derzeit jedoch keinen Grund für die Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien. Ihr Menschenrechtsbeauftragter Markus Löning (FDP) sprach sich dafür aus, den Flüchtlingen besser direkt vor Ort zu helfen – entweder in Syrien selbst oder in Nachbarländern wie dem Libanon oder Jordanien.
Nach Angaben der Syrischen Menschenrechtsbeobachter in London starben am Montag innerhalb weniger Stunden 28 Menschen in Syrien. Zehntausende Syrer brachten sich bereits in Nachbarländern in Sicherheit. In Syrien selbst sollen mehr als 1,5 Millionen Menschen auf der Flucht sein.
Der Iran plant für kommenden Donnerstag ein internationales Treffen über die Lage in Syrien. An den Beratungen in Teheran sollen Vertreter von Ländern teilnehmen, „die bezüglich Syrien eine realistische Einstellung haben“, sagte der iranische Vizeaußenminister Hussein-Amir Abdollahian laut Nachrichtenagentur IRNA. Der Iran ist ein wichtiger Verbündeter Assads
(reuters/epd/abendblatt.de)