Armee macht Jagd auf Widerstandskämpfer. Bei Angriffen werden auch Zivilisten massakriert. Kommt doch noch die Militärintervention?
Damaskus/Istanbul. Ein fürchterliches Blutbad in einem syrischen Dorf gibt der Forderung nach einer militärischen Intervention neuen Auftrieb. Bis zu 250 Menschen sollen in Tremseh den Tod gefunden haben. Der Angriff auf das Dorf in der Nähe der Stadt Hama könnte, wenn sich die Angaben der Opposition bestätigen, das bislang schlimmste Massaker seit Beginn des Aufstandes vor 16 Monaten sein. Einige Oppositionsgruppen erklärten am Sonnabend, in dem Dorf seien am Freitag bis zu 250 Menschen getötet worden. In anderen Berichten war von rund 160 Toten die Rede. Die Berichte lösten international Entsetzen aus.
Die Lokalen Koordinierungskomitees der Revolution sprachen von 74 Toten, Dutzenden Vermissten und über 200 Verwundeten. Etwa 100 Menschen hätten die Regimetruppen bei ihrem Angriff auf das Dorf gefangen genommen. Aktivisten berichteten, die Armee habe Tremseh erst mit Artillerie bombardiert und dann Truppen in den Ort geschickt. Die Soldaten hätten Kämpfer der Opposition erschossen und Zivilisten massakriert. Außerhalb des Dorfes seien Menschen getötet worden, die versucht hätten zu fliehen.
+++ Resolutionsentwurf setzt Assad Zehn-Tages-Frist +++
„Wir können bestätigen, dass es gestern in dem Gebiet von Tremseh länger andauernde Gefechte gab“, sagte der Leiter der UN-Beobachtermission, General Robert Mood, vor der Presse in Damaskus. Dabei seien unter anderem Militärhubschrauber und Geschütze eingesetzt worden. Er betonte, sein Team sei bereit, vor Ort zur Aufklärung der Vorfälle in Tremseh beizutragen, „sobald es eine glaubwürdige Waffenruhe gibt“.
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zeigte sich erschüttert. „Der Generalsekretär ist zutiefst besorgt über die jüngsten Meldungen aus der Provinz Hama“, sagte sein Sprecher Martin Nesirky der Nachrichtenagentur dpa. Auch der Syrien-Sondergesandte Kofi Annan erklärte in Genf, er sei „schockiert und entsetzt“ über die hohe Zahl von Toten sowie „die bestätigte Anwendung schwerer Waffen wie Artillerie, Panzer und Helikopter“.
Die Bundesregierung fordere Syrien „sehr nachdrücklich“ auf, den UN-Beobachtern unverzüglich Zugang zum „Ort des Verbrechens“ zu gewähren, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Die notwendigen Untersuchungen müssten ungehindert durchgeführt werden.
Mit dem erneuten Zwischenfall wächst nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes (AA) auch der Druck auf die internationale Staatengemeinschaft, eine diplomatische Lösung zu finden. Die Verhandlungen über eine UN-Resolution seien aber weiterhin sehr kompliziert, sagte ein AA-Sprecher.
Der oppositionelle Syrische Nationalrat (SNC) appellierte an den Weltsicherheitsrat, ein Eingreifen nach Kapitel VII der UN-Charta zu beschließen, um die Zivilisten in Syrien zu schützen. Sollte eine UN-Resolution erneut am Veto Russlands scheitern, müsse die Kontaktgruppe der Freunde Syriens alleine handeln, sagte der SNC-Vorsitzende Abdelbaset Seida in Istanbul. Die arabischen Staaten rief er auf, die Deserteure der Freien Syrischen Armee „mit allem, was sie benötigen“ zu unterstützen.
+++ Aktivisten: Über 200 Tote bei Massaker in Syrien +++
Trotz immer neuer Gräueltaten ist der UN-Sicherheitsrat noch weit von einer Resolution zum Syrien-Konflikt entfernt. Das mächtigste Gremium der Vereinten Nationen verhandelte zwar am Donnerstag (Ortszeit) über einen Entwurf. Nach wie vor gibt es aber Widerstand Russlands, weil das Papier die Drohung von Sanktionen enthält, wenn sich die Parteien nicht an Beschlüsse des Sicherheitsrates halten.
Das syrische Regime hat nach einem Zeitungsbericht damit begonnen, Chemiewaffen aus den Lagern zu holen. Die US-Regierung sei deswegen alarmiert, berichtete das „Wall Street Journal“ am Freitag. Unklar sei, ob die Waffen vor Aufständischen in Sicherheit gebracht oder einsatzbereit gemacht werden, womöglich auch nur als Drohgebärde, zitiert das Blatt Regierungsvertreter in Washington. Syrien besitze größere Mengen des Nervenkampfstoffes Sarin und Senfgas.
Die humanitäre Lage in Syrien hat sich nach Einschätzung des Deutschen Roten Kreuzes in den vergangenen Wochen deutlich verschlechtert. Mittlerweile sind von den Auseinandersetzungen 1,5 Millionen Zivilisten direkt betroffen, die dringend auf Hilfe angewiesen sind, sagte DRK-Präsident Rudolf Seiters.
Am Freitag gingen landesweit Tausende Regimegegner auf die Straße, um gegen Präsident Baschar al-Assad zu protestieren. Teilweise richteten sich die Slogans der Demonstranten auch gegen den Syrien-Sondergesandten Annan.
Nach Angaben von Aktivisten wurden am Freitag 58 Menschen von den Regierungstruppen getötet, darunter auch drei Teilnehmer einer Kundgebung im Palästinenserlager Jarmuk in Damaskus. Der Nachrichtensender Al-Arabija meldet am Nachmittag Gefechte zwischen den Regierungstruppen und Deserteuren der Freien Syrischen Armee in dem Viertel. In der Nähe der iranischen Botschaft detonierte nach Angaben von Augenzeugen eine Bombe, die in einer Limousine versteckt gewesen war. Anwohner sprachen von mehreren Toten. Offiziell hieß es jedoch, es sei nur Sachschaden entstanden. (dpa)