Nur wenige Wochen nach dem Massaker von Hula berichten Aktivisten nun über ein neues Blutbad in der syrischen Provinz Hama.

Frankfurt/Main. „Komm schon, Papa. Herrgott noch mal, steh auf“, schluchzt der Mann. Er kauert auf der Straße über der Leiche eines älteren Mannes mit grauen Haaren. In der Ferne ist ein Knall zu hören. Die Leiche soll eine von mehr als 200 sein. Aktivisten berichten nur wenige Wochen nach dem Massaker von Hula über ein neues Blutbad in der syrischen Provinz Hama. Sollten sich die Berichte bestätigen, wäre es das folgenschwerste Massaker seit Beginn der Proteste gegen den syrischen Präsidenten Baschar Assad im März vergangenen Jahres.

Mehr als 200 Menschen sollen getötet, Leichen verbrannt, Frauen und Kinder abgestochen, ganze Familien regelrecht abgeschlachtet worden sein. Die in London ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte stellte ein Video ins Netz, das 15 Leichen von Männern zeigt, die bei den Gräueltaten am Donnerstag in der Ortschaft Tremse, nur 15 Kilometer von der Stadt Hama entfernt, getötet worden sein sollen. Die Leichen der Männer, alle jung bis mittleren Alters, liegen nebeneinandergereiht auf dem Lehmboden, teilweise sind recht deutlich Schusswunden zu sehen. Einige Gesichter sind blutüberströmt, andere unversehrt, mit ins Leere blickenden Augen. Blut klebt auf und neben den leblosen Körpern, eine Stimme kommentiert auf Arabisch die Leichen von Tremse, immer wieder sagt der Mann: „Allahu Akbar, Allahu Akbar“, Gott ist größer.

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Ein Augenzeuge berichtete bereits am Donnerstagmittag telefonisch über mehr als 60 Tote. Regierungstruppen bombardierten Tremse mit Panzern, viele Menschen seien bereits geflohen, sagte Laith al Hamwi. Er selbst war nach eigenen Angaben einer von ihnen. Keiner könne ins Dorf wegen des andauernden Bombardements. „Es gibt keine Möglichkeit, die Verletzten ins Krankenhaus zu bringen, weil alle Straßen blockiert sind“, fügte er hinzu. Die Beobachtungsstelle revidierte ursprüngliche Angaben vom Vortag am Freitagmorgen auf mehr als 150. Namentlich identifiziert seien bislang 30 der Opfer. Ein anderes Aktivistennetzwerk, die Örtlichen Koordinationskomitees, sprachen von mehr als 200 Opfern.

Ein Aktivist sagte dem Fernsehsender Sky News, es gebe 220 Tote. „Die meisten von ihnen wurden erstochen, darunter Frauen und Kinder. Verbrannte Leichen wurden gefunden“, berichtete Rami Abo Adnan aus der Provinz Hama. Auch Soldaten der Freien Syrischen Armee seien unter den Opfern. Sie hätten versucht, die etwa 7.000 Einwohner von Tremse zu schützen, und seien dabei selbst ums Leben gekommen. Seinen Angaben zufolge dauerte der Artilleriebeschuss von Tremse rund zwei Stunden, danach seien regierungstreue Schabiha-Milizionäre in die Ortschaft eingefallen und hätten die Menschen wahllos niedergemetzelt. Drei Familien seien regelrecht abgeschlachtet worden. Die Regierungstruppen hätten neben Panzern auch Hubschrauber eingesetzt.

Die Berichte erinnern an die vom Massaker in Hula Ende Mai, bei dem mehr als 100 Menschen getötet wurden. Damals hieß es auch, dass Regierungstruppen zunächst das Feuer eröffnet und später Schabiha-Milizionäre von Haus zu Haus gegangen seien und Männer, Frauen und Kinder getötet hätten. Angaben über Todesopfer in Syrien lassen sich kaum unabhängig bestätigen, da die Regierung in Damaskus die Berichterstattung ausländischer Journalisten seit Beginn der Unruhen vor mehr als einem Jahr weitgehend unterbindet. Wer inwieweit Propaganda macht, ist kaum festzustellen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wirft beiden Seiten, Regierung und Opposition, Gräueltaten vor. Die meisten würden allerdings von den Regierungstruppen begangen, hieß es vor kurzem in einem Bericht.

Der UN-Menschenrechtsrat folgt dieser Auffassung. 41 der 47 Mitglieder des Gremiums stimmten jüngst für eine Resolution, in der „Pro-Regime-Elemente“ und Regierungstruppen für das Blutbad von Hula verantwortlich gemacht werden. Ohne eine eingehendere Untersuchung des Massakers sei allerdings kein eindeutiges Urteil möglich. Die Bewohner von Hula sind wie die in Tremse mehrheitlich Anhänger der Opposition. Die umliegenden Dörfer werden von Alawiten bewohnt, einer Konfession innerhalb der Schiiten, der auch Assad und die Schabiha-Miliz angehören.

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Das Regime weist indes die Vorwürfe zurück, für das Massaker in Hula verantwortlich zu sein. Stattdessen macht es bewaffnete Terroristengruppen für die Gewalt verantwortlich. Selbst wenn die Schabiha die Gräueltaten in Hula begangen haben sollte, gibt es keine eindeutigen Beweise, dass Assad sie direkt mit den Tötungen beauftragt hat.

Auch für das mutmaßliche Massaker in Tremse macht die syrische Regierung bewaffnete Terrorgruppen verantwortlich. Dutzende Mitglieder dieser Gruppen hätten die Ortschaft gestürmt und wahllos auf die Einwohner gefeuert, meldete die amtliche syrische Nachrichtenagentur. Es habe Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und den Bewaffneten gegeben. Viele der Terroristen seien getötet oder gefangen genommen worden, hieß es. Drei Soldaten und etwa 50 Einwohner seien ums Leben gekommen.

Wenige Tage vor dem mutmaßlichen Massaker in Tremse gingen Bilder um die Welt, die Assad mit dem internationalen Sondergesandten für Syrien, Kofi Annan, zeigen. Nach dem Treffen in Damaskus hatte Annan erklärt, das zweistündige Gespräch sei „offen und konstruktiv“ verlaufen. Er habe mit Assad ein Rahmenabkommen erzielt, später erklärte er gar, Assad schließe eine Übergangsregierung nicht aus.

Am Freitag erklärte Annan, er sei „schockiert und entsetzt“ über die Massentötungen in Tremse. Die Gewalt verletze die Verpflichtung der syrischen Regierung, schwere Waffen aus Wohngebieten zurückzuziehen.

Schätzungen von Aktivisten zufolge sind seit März vergangenen Jahres 17.000 Menschen in Syrien ums Leben gekommen, die meisten von ihnen Zivilisten. Der syrischen Regierung zufolge wurden seither mehr als 4.000 Mitglieder der Streitkräfte getötet, Angaben über die Zahl der getöteten Zivilpersonen macht sie keine.

( dapd/abendblatt.de )