Hidschab hat sich von Assads Regime losgesagt. Er schließt sich Aufständischen an. Bundesregierung gegen Aufnahme von Flüchtlingen.

Amman/Beirut/Berlin. Syriens Ministerpräsident Rijad Hidschab hat sich ins Ausland abgesetzt und sich der Opposition im Kampf gegen Präsident Baschar al-Assad angeschlossen. „Ich erkläre heute, dass ich mich losgesagt habe von dem mörderischen und terroristischen Regime“, heißt es in einer Stellungnahme Hidschabs, die ein Sprecher in seinem Namen am Montag im arabischen Fernsehsender Al Dschasira verlas. „Ich erkläre, dass ich von heute an ein Soldat dieser gesegneten Revolution bin.“ Hidschab halte sich zusammen mit seiner Familie in Jordanien auf, hieß es in dortigen Regierungskreisen. Sein Sprecher sagte nur, Hidschab befinde sich an einem sicheren Ort.

Gemeinsam mit Hidschab seien zwei Minister und drei Brigadegeneräle nach Jordanien geflohen, teilte der oppositionelle Syrische Nationalrat mit. Mit Hidschab hat sich nach mehreren führenden Offizieren und Diplomaten der ranghöchste Politiker von Assad losgesagt. Erst im Juni hatte der Präsident Hidschab nach der Parlamentswahl zum Regierungschef ernannt. Die Wahl im Mai hatte die Führung als Schritt hin zu politischen Reformen bezeichnet. Die Opposition sprach von einer Farce.

Das syrische Staatsfernsehen bemühte sich um Schadensbegrenzung und berichtete, Assad habe Hidschab entlassen und eine Übergangsregierung unter Omar Ghalawandschi eingesetzt. Mit Ghalawandschi kommt ein früherer stellvertretender Regierungschef ins Amt.

Assad versucht seit 17 Monaten einen Aufstand gegen seine Herrschaft niederzuschlagen. Während die Armee die Hauptstadt Damaskus wieder weitgehend unter ihrer Kontrolle hat, tobten in der Millionenstadt Aleppo im Norden schwere Gefechte. Am heftigsten umkämpft ist der Stadtteil Salaheddine, der noch von den Rebellen gehalten wird. Assads Soldaten feuerten mit Panzern in die schmalen Gassen, in denen die Rebellen Zuflucht vor dem Beschuss aus Hubschraubern suchten. Die meist nur mit leichten Waffen ausgerüsteten Aufständischen haben der Armee wenig entgegenzusetzen. Von den Dächern machten Scharfschützen Jagd auf die Rebellen. Frauen und Kinder flohen aus der Stadt – in überfüllten Autos, zu Fuß.

In Aleppo bedienen sich die Soldaten offenbar derselben Methode wie in anderen Städten: Tagelang nehmen sie die von Rebellen gehaltenen Viertel unter schweren Beschuss. So schwächen sie die Aufständischen erheblich, bevor sie am Boden vorrücken und Haus um Haus erobern.

Rebellenkommandeure erwarteten schon bald eine große Offensive in Aleppo. Einer berichtete, seine Kämpfer hätten sich bereits aus einigen Straßen zurückgezogen, nachdem am Samstag Scharfschützen unter dem Schutz von Panzern und Hubschraubern vorgerückt seien. „Die syrische Armee durchdringt unsere Linien“, sagte Mohammed Salifi. „Daher waren wir gezwungen, uns aus strategischen Gründen zurückzuziehen, bis die Bombardierung endet.“

Salaheddine, einst ein lebendiges Viertel mit vielen Geschäften und Restaurants, ist eine einzige Ruinenlandschaft. Weißer Staub bedeckt die zerstörten Häuser. In den Straßen klaffen Krater. Betonbrocken türmen sich. Dort, wo einst die Familien lebten, liegen nun die Schützen auf der Lauer.

+++ Die Schlacht um Aleppo lässt Bewohner verzweifeln +++

Ein symbolisch wichtiger Schlag gelang den Aufständischen mit einem Bombenattentat auf ein Gebäude des staatlichen Rundfunks in Damaskus – des Mediums, das unaufhörlich berichtet, die Assad ergebenen Soldaten befreiten das Land von „terroristischem Dreck“.

Bei dem Anschlag wurden nach Angaben von Informationsminister Omran al-Soabi mehrere Menschen leicht verletzt. Zum Beweis, dass der Sendebetrieb nicht unterbrochen sei, wurden die Äußerungen des Ministers im Staatsfernsehen ausgestrahlt. Der Betrieb gehe wie gewohnt weiter, sagte Soabi. „Wir haben viele Studios und viel Ausrüstung.“

Bundesregierung gegen Aufnahme von Syrien-Flüchtlingen

. In der Diskussion um die Aufnahme syrischer Flüchtlinge in Deutschland sieht die Bundesregierung derzeit keinen Handlungsbedarf. Im Moment gehe es darum, den Menschen in Syrien selbst sowie den Flüchtlingen in den Nachbarländern Libanon und Jordanien zu helfen, sagte der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP): „Die Leute wollen dort nicht weg, weil sie die Hoffnung haben, dass die Kämpfe bald vorbei sind und dass sie wieder nach Hause können.“ Ein Sprecher des Auswärtigen Amts sagte in Berlin, das sei auch die Haltung von Außenminister Guido Westerwelle (FDP).

Die Forderung des Grünen-Politikers Volker Beck, Syrien-Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen, sei „völlig fehl am Platze zurzeit“, sagte Löning am Montag im Radiosender SWR2. Auch Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) forderte die Aufnahme vor allem von Christen aus dem Land. Sie gerieten in dem Konflikt zwischen alle Fronten, sagte Kauder. Löning entgegnete, den Menschen müsse unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit geholfen werden.

Auch der Sprecher des Uno-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Berlin, Stefan Telöken, sieht derzeit keinen Anlass für einen Aufruf zur Aufnahme von Flüchtlingen. Das sei schon angesichts der Zahl der Flüchtlinge schwierig. Nach UN-Angaben sind rund 1,5 Millionen Syrer im Land selbst auf der Flucht. Zehntausende sind in die Nachbarländer geflüchtet.

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Wichtig sei, dass die Asylanträge von Syrern, die Deutschland erreichen, „zügig und großzügig“ behandelt werden, sagte Telöken dem EPD. Rund 4.000 syrische Flüchtlinge hätten in den vergangenen Monaten Europa erreicht. Laut Bundesinnenministerium stellten im ersten Halbjahr mehr als 1.600 Syrer einen Asylantrag in Deutschland. Ihre Zahl wächst seit den Kämpfen in Syrien monatlich.

Telöken betonte, dass das UNHCR und die Hilfsorganisationen momentan alle Kräfte vor Ort bündelten, um die Situation für die Flüchtlinge zu verbessern. Von den international zugesagten 193 Millionen Dollar für Hilfen sei erst ein Drittel finanziert, kritisierte er. Die Bundesregierung hatte ihre Nothilfe vor kurzem auf elf Millionen Euro aufgestockt.

Die Geflüchteten benötigten Wasser, Lebensmittel, Kleidung und medizinische Hilfe, sagte Telöken. Über die Grenze kämen immer mehr Menschen, die dringend auf Hilfe angewiesen seien, weil sie nichts bei sich hätten. Drei Viertel der Flüchtlinge seien Frauen und Kinder, oftmals traumatisiert.

Derweil wird die Lage im Land immer bedrohlicher. Für die Helfer sei es immer schwieriger, Flüchtlinge und Vertriebene zu versorgen, sagte Fredrik Barkenhammar von Deutschen Roten Kreuz, das über die Partnerorganisation Roter Halbmond Menschen in Syrien hilft. Es seien wiederholt Krankenwagen beschossen worden. Für die Freiwilligen sei die Arbeit auch psychisch schwierig, sagte Barkenhammer. Sie wüssten teilweise selbst nicht, wie es ihren Angehörigen geht.

(reuters/epd/abendblatt.de)