Das griechische Volk soll über die Beschlüsse des letzten Euro-Gipfel abstimmen. Rainer Brüderle befürchtet einen Staatsbankrott.

Athen. Die griechische Tragödie könnte ihren finalen Akt erreichen. Zwar galt das europäische Sorgenkind noch lange nicht als geheilt, aber zumindest mit den Beschlüssen des vergangenen Euro-Gipfels schien Griechenland zumindest vorläufig versorgt. Dem Land wurde die Hälfte seiner Schulden erlassen - die Finanzmärkte waren beruhigt und der Euro schien gerettet. Doch nur wenige Tage nach dem Gipfel schockiert Ministerpräsident Giorgos Papandreou Europa mit der Ankündigung, die griechische Bevölkerung selbst über die Zukunft des Landes entscheiden zu lassen. Das Volk soll über die Beschlüsse des Euro-Gipfel abstimmen. „Der Bürger wird aufgerufen sein, zu der neuen Schuldenvereinbarung laut ’Ja’ oder ’Nein’ zu sagen“, sagte der Regierungschef.

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Problematisch ist dieser Schritt vor dem Hintergrund der großen Euro-Skepsis der Griechen, die sich in den letzten Monaten vermehrt in Streiks und Ausschreitungen zeigte. Einen Zeitpunkt für das Referendum oder weitere Details nannte Papandreou bislang nicht. Er bezeichnete die Entscheidung als einen "höchst demokratischer und höchst patriotischer Schritt" und beruft sich auf Griechenland als Keimzelle der Demokratie. Dennoch: Es dürfte vielmehr handfeste politische Gründe für die Entscheidung geben.

Papandreous wackelige Mehrheit

So auch etwa Papandreous wackelige Regierungsmehrheit im Parlament. Sie ist auf mittlerweile drei Sitze geschrumpft. Seine Umfragewerte sind nach etlichen Sparankündigungen im Keller. Aufgrund der umfassenden Pakete wird Griechenland auch 2012 vermutlich kein Wirtschaftswachstum verzeichnen. Die EU-Statistikbehörde Eurostat schätzt die griechische Arbeitslosenquote laut einem neuen Bericht auf 17,6 Prozent im Juli, höher als die griechische Schätzung, die bei 16,5 Prozent lag.

Die griechischen Oppositionsparteien warfen der Regierung vor, mit der Volksabstimmung nur ihre Macht retten zu wollen. „Der Ministerpräsident versucht, Zeit zu kaufen“, sagte Costas Gioulekas von der konservativen Partei Neue Demokratie. „Wir wollen klare Lösungen. Und eine klare Lösung ist offensichtlich: Wahlen.“ Laut der griechischen Verfassung muss das Parlament einer Volksabstimmung zustimmen, bevor sie vom Präsidenten ausgerufen wird. Ob seine Partei dem Referendum zustimmen werde, sagte Gioulekas nicht.

Eine Abstimmung als demokratische Notwendigkeit

„Es ist für das Volk ein, seine eigene Entscheidung zu fällen“, sagte Papandreou. „Wir haben die Pflicht, die Rolle und die Verantwortung der Bürger zu fördern.“ Es wäre das erste Referendum in Griechenland seit 1974, als die Monarchie nur Monate nach dem Ende der Diktatur abgeschafft wurde. Vergangene Woche hatten sich die Staats- und Regierungschefs der Euro-Länder nach monatelangen Verhandlungen auf einen Schuldenschnitt für Griechenland geeinigt. Finanzminister Evangelos Venizelos sagte, die Entscheidung für ein Referendum sei gefallen, nachdem die Oppositionsparteien sich ein ums andere Mal geweigert hätten, sich bei den Verhandlungen mit den anderen Eurostaaten auf die Seite der Regierung zu stellen.

„Griechenland durchlebt ein Drama, von dem es erlöst werden muss, indem das Volk aufgefordert wird, seinen Willen kundzutun“, sagte Venizelos im Parlament. „Jeder Bürger wird seine eigene Entscheidung fällen, mit Verantwortung, in einem Prozess, der zu einem nationalen Gefühl von Erleichterung und Erholung führen wird.“

Reaktionen aus Deutschland

Die Bundesregierung wollte zunächst nicht zu dem geplanten Referendum Stellung nehmen. Es handele sich um eine innenpolitische Angelegenheit Griechenlands, über die der Bundesregierung noch keine Informationen vorlägen, hieß es am Montagabend aus dem Finanzministerium in Berlin. Allerdings äußerte sich der FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle zu der Abstimmung. Er schließt einen Staatsbankrott Griechenlands bei einem Nein der Bevölkerung zum Rettungspaket nicht aus. „Wenn Griechenland Nein sagt zur Bekämpfung seiner Strukturschwächen, zur Anpassung in der Wettbewerbsfrage, zum Reformprozess, dann wird es meines Erachtens zu einem Staatsbankrott kommen“, sagte Brüderle am Dienstag im Deutschlandfunk. In diesem Fall werde es kaum noch Spielraum geben.

Den Schritt des griechischen Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou bezeichnete Brüderle als „merkwürdiges Vorgehen“. „Über Jahrzehnte ist das Land schlecht regiert worden und hat Fehlentscheidungen getroffen und sich in diese Krise hinein manövriert“, sagte Brüderle. Der jetzige Schritt klinge danach, „dass man sich irgendwie daraus winden will.“

SPD-Chef Sigmar Gabriel nimmt den griechischen Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou in Schutz. Papandreou und die Sozialdemokraten Griechenlands seien dabei, „die notwendigen und schmerzhaften Reformschritte, die mit der EU vereinbart sind, durchzusetzen. Sie verdienen dafür unseren vollen Respekt“, sagte Gabriel am Dienstag in Berlin. Papandreou räume auf „mit der Erblast der konservativen Vorgängerregierungen“. Die konservative Opposition in Athen versuche nun, die Reformen zu blockieren. Hier sei die Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel gefragt: „Wenn sie ihre Parteifreunde in Griechenland von der Notwendigkeit der eingeleiteten Reformschritte überzeugt, braucht Europa weder eine Volksabstimmung noch die Vertrauensfrage von Herrn Papandreou zu fürchten“, betonte Gabriel.

Der FDP-Finanzpolitiker und Euro-Skeptiker Frank Schäffler hat sich für einen Euro-Austritt Griechenlands ausgesprochen. Das vom griechischen Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou angekündigte Referendum sei ein Beleg dafür, „dass die Schuldenschirmpolitik nicht mehr funktioniert“, sagte Schäffler dem „Tagesspiegel“. Griechenland könne im Euro nicht wettbewerbsfähig werden und brauche jetzt einen harten Schuldenschnitt. Ein Euro-Austritt Griechenlands sollte mit einem Hilfsprogramm begleitet werden.

(dapd/abendblatt.de)