Welle der Erleichterung nach Gipfel. Aber 17 Euro-Länder koppeln sich zum Teil von Gemeinschaft ab
Brüssel/Berlin. Der britische Premierminister David Cameron hat schon vor Tagen einen Vorgeschmack auf die Konsequenzen der Euro-Rettung erhalten. Vor versammelter Runde und im Beisein aller Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Länder hatte ihn Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy angeherrscht: "Sie haben eine gute Gelegenheit verpasst, den Mund zu halten. Wir haben es satt, dass Sie uns ständig kritisieren und sagen, was wir tun sollen." Dieser rüden Beschimpfung war die letzten Endes erfolgreiche Forderung Camerons vorangegangen, dass alle EU-Länder, die nicht Mitglieder der Euro-Zone sind, an dem entscheidenden Treffen zur Euro-Rettung in der Nacht zu gestern teilnehmen dürfen. Der britische Premier wollte seinen Einfluss auf die EU-Politik in der Schuldenkrise gewahrt wissen, denn auch wenn ein EU-Land nicht den Euro als Zahlungsmittel hat, wird es von den Entscheidungen betroffen.
Künftig dürfte ihm genau das jedoch weitaus schwerer fallen. Denn neben den Beschlüssen, Griechenland die Hälfte seiner Schulden bei den Banken zu erlassen und den Euro-Rettungsschirm EFSF auf eine Billion Euro zu hebeln, wird auch ein Schritt gegangen, in dem Beobachter den Boden für eine Spaltung Europas sehen, für ein Europa der zwei Geschwindigkeiten. Denn die 17 Staaten der Euro-Zone haben sich nicht nur zur immer stärkeren Koordinierung ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik bereit erklärt. Sie schaffen auch eine eigene Struktur: Mindestens zwei eigene Euro-Zonen-Gipfel, einen eigenen "Euro-Gipfel-Präsidenten" und eine feste Arbeitsgruppe mit hauptamtlichem Chef in Brüssel soll es künftig geben. Die EU-Kommission soll bei Bedarf zuarbeiten.
Damit folgen die 17 Regierungen jetzt den deutsch-französischen Vorschlägen, die die Grundlage für ein Kerneuropa legen. "Wir brauchen die Spaltung zwischen EU und Euro-Zone in einzelnen Bereichen einfach", hatte der stellvertretende Direktor des Bruegel-Instituts in Brüssel, Guntram Wolff, schon vor dem Gipfel gefordert. Denn aus seiner Sicht gehört die politische Union zwangsläufig zu einem Währungsverbund. Die EU wird somit zum Zwitter: Auf Ebene der 27 EU-Staaten bleibt sie ein Staatenbund. Auf Ebene der 17 Euro-Staaten ähnelt sie wegen der stärkeren Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie der teilweisen Aufgabe nationaler Budgethoheit bei Defizitsündern immer stärker einem Bundesstaat. Cameron würdigte die Gipfel-Ergebnisse trotzdem: "Sie haben den richtigen Weg eingeschlagen und nun müssen Sie den Job zu Ende bringen", sagte er.
In vielen Teilen der Welt hat das geschnürte Paket eine Welle der Erleichterung ausgelöst: "Ich bin sehr zufrieden mit den Ergebnissen", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach dem Verhandlungsmarathon. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy sagte, die Tragödie einer Pleite Griechenlands sei abgewendet worden. Der griechische Regierungschef Giorgos Papandreou zeigte sich erleichtert. Die Probleme könnten nun ein für allemal gelöst werden. Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, der dem Banken-Weltverband vorsteht, sprach von einem "befriedigenden Kompromiss". China als großer Investor im Euro-Raum begrüßte das Maßnahmenpaket. Das Außenministerium in Peking äußerte die Hoffnung, dass der Gipfel das Vertrauen an den Finanzmärkten stärke.
Auch in Berlin wurden die Ergebnisse überwiegend positiv aufgenommen. Für Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) sind sie eine "gute Grundlage", um kurzfristig die europäischen Probleme zu lösen. Er lobte auch den Schuldenschnitt: Dieser bringe möglichen Investoren Klarheit und sei daher ein "gutes Signal für die deutsche Wirtschaft". CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach, der sich mehrfach gegen die europapolitische Linie der Regierung gestellt hatte, sagte dem Sender n-tv, die wichtigsten Entscheidungen würden jetzt in Athen getroffen. Dort werde sich entscheiden, ob das Land aus eigener Kraft an die Finanzmärkte zurückkehren könne. "Im Moment sieht es danach nicht aus, deswegen wird ja wieder ein neues Hilfspaket geschnürt werden müssen."
Die Opposition forderte weitere Schritte, unter anderem zur Regulierung des Bankensektors. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel sagte im Deutschlandfunk: "Das war in allerletzter Sekunde eine Wendung um 180 Grad." Eine Besteuerung des Finanzmarktes müsse jedoch weiter angestrebt werden.