Maschen/Paris. Historischer Erfolg für deutsche Männer in Paris. Mittendrin: Alexander Budde. Der lange Weg des 24-Jährigen zu den ersten Paralympics.
Es ist der größte Erfolg einer deutschen Herren-Nationalmannschaft im Rollstuhl-Basketball seit 32 Jahren – und ein Junge aus Maschen (Gemeinde Seevetal) hat mit viel Spielzeit dazu beigetragen. Das Nationalteam um Alexander Budde hat am Dienstagnachmittag den Einzug in das Halbfinale der Paralympischen Spiele 2024 geschafft.
Voraussetzung war der 57:49 (26:19)-Erfolg im Viertelfinale gegen Spanien. Nach der Schlusssirene lagen sich die deutschen Spieler und Bundestrainer Michael Engel in der Bercy Arena glücklich in den Armen, auch Tränen flossen. Im Halbfinale am Donnerstag trifft Deutschland auf Großbritannien, das gegen Australien gewann (84:64).
Rollstuhl-Basketballer kamen zuletzt nicht über das Viertelfinale hinaus
Nur 1992 bei den Paralympics in Barcelona hatten die deutschen Herren mit Silber besser abgeschnitten. Zuletzt waren sie meist im Viertelfinale ausgeschieden. Besonders süß: bei den Spielen von Rio 2016 und Tokio 2021 kam das Aus in der Runde der letzten Acht jeweils gegen Spanien.
Ein Junge aus Maschen in Paris? Das klingt zunächst nach einer schönen Urlaubsreise. Doch es ist nicht irgendein junger Mann und kein x-beliebiger Zeitpunkt, zu dem sich Alexander Budde in der Stadt der Liebe aufhält. Es sind die Paralympischen Spiele 2024 und der 24-Jährige, aufgewachsen in der Gemeinde Seevetal, ist Mitglied der deutschen Nationalmannschaft im Rollstuhlbasketball.
Paralympics 2024: Eröffnungsfeier auf dem Place de la Concorde mitten in Paris
Am vergangenen Mittwoch sind die Paralympics 2024 mit einer großen Eröffnungsfeier eröffnet worden. Wie die Olympischen Spiele wurden auch die Paralympischen Spiele nicht im Stadion, sondern mitten in der Stadt eröffnet. „Ich freue mich schon sehr, über die Champs-Élysées zu gehen“, hatte Alexander Budde im Vorfeld im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt gesagt.
Bewusst sagt er „gehen“, obwohl der 1,98 Meter lange Sportler fast seinen gesamten Alltag im Rollstuhl verbringt. Die Aussage passt zu seinem Ziel, in der öffentlichen Wahrnehmung vermehrt die sportliche Leistung der Athletinnen und Athleten zu würdigen, anstatt den Fokus auf die Behinderung zu richten.
Für Alexander Budde sind die Spiele von Paris seine ersten Paralympics. „Das ist das Allergrößte, was man im Para-Sport erreichen kann. Als die Nachricht kam, war ich erleichtert und stolz“, sagt er. „Langfristig war dieses Ziel immer da. Es ist schon verrückt, wie sich alles entwickelt hat.“
Vor Tokio 2021 musste Alexander Budde eine Enttäuschung verarbeiten
Eine große Enttäuschung musste er bei den letzten Spielen verdauen. 2019 hatte der Mann, der für Hannover United in der Bundesliga spielt, mit der Nationalmannschaft die Qualifikation für Tokio 2020 perfekt gemacht. Dann kamen Corona, die Verschiebung von 2020 auf 2021 und eine Fuß-Operation, die dem gebürtigen Winsener einen Trainingsrückstand bescherte. Letztlich spielten auch taktische Überlegungen des Bundestrainers eine Rolle, dass Alexander Budde 2021 nicht mit nach Asien reisen durfte.
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„Zu dem Zeitpunkt war das eine riesige Enttäuschung“, sagt Budde heute. „Ich habe versucht, das nicht persönlich zu nehmen und die Enttäuschung umzumünzen in Fleiß und meine individuelle Weiterentwicklung.“ Hat sich offensichtlich ausgezahlt.
Der 1,98 Meter lange Center gehört nicht nur bei Hannover United zu den Leistungsträgern, sondern auch in der Nationalmannschaft der Rolli-Basketballer. „In der Defense muss ich Präsenz und Größe zeigen, in der Offense bin ich mitverantwortlich für das Scoring“, beschreibt er seine Aufgabe.
Alexander Budde ist 1,98 Meter lang: Wichtige Größe im wahrsten Wortsinn
Als Alexander Budde am 20. April 2000 im Krankenhaus Winsen geboren wurde, kam er mit der Erkrankung Spina Bifida, frei übersetzt „offener Rücken“, zur Welt. Durch ein kleines Loch an der Wirbelsäule, das schnellstmöglich operativ geschlossen werden muss, entweicht Nervenwasser. Die Folge: Alexander Budde hat nur geringes Gefühl in den Beinen, immerhin aber eine Restfunktion an Rumpfstabilität. Wenige Schritte, um beispielsweise den Alltagsrollstuhl in den Kofferraum seines Autos, das er mit Handgas fährt, zu laden, schafft er.
Im Rollstuhl-Basketball ist Budde der Startklasse 3,5 zugeordnet. Gesunde Fußgänger, die ebenfalls mitspielen dürfen, erhalten die 4,5. Sehr stark behinderte Sportlerinnen und Sportler hingegen die Startklasse 1. Die Gesamtpunktzahl aller fünf Spieler auf dem Feld darf nicht größer als 14 sein – entsprechend achtsam müssen Trainer und Betreuer bei Aufstellung und Auswechslungen sein.
Leidenschaft Rollstuhl-Basketball, entdeckt über den Mobilen Dienst Seevetal
Über ein sportliches Mobilitätsangebot des Mobilen Dienstes Seevetal war Alexander Budde erstmals mit Rollstuhl-Basketball in Kontakt gekommen. Da war er 13 Jahre alt und sofort begeistert. „Ich wollte nicht nach Hause und hätte am liebsten stundenlang weitergemacht“, erzählt er grinsend. Kompromiss: Seine Eltern meldeten ihn bei Blau-Weiss Buchholz an. Mit 14 Jahren debütierte er in der Ligamannschaft und deutete enormes Potenzial an. Blau-Weiss-Trainer Hans-Werner Süß traute seinem Schützling früh eine große Karriere zu.
Die nahm tatsächlich Fahrt auf. Bis zum Realschulabschluss 2016 in Meckelfeld spielte Alexander Budde für Buchholz, zuletzt mit Doppellizenz parallel für Langenhagen. „Meine Eltern sind meine größten Unterstützer. Sie haben mich zweimal pro Woche nach Hannover gefahren.“
Erst Abschluss an der Realschule, dann ab zum Sportinternat Hannover
Der nächste logische Schritt war der Umzug ans Lotto-Sportinternat nach Hannover. Das war 2016 und „Alex“ 16 Jahre jung. „Zu Hause musste ich Überzeugungsarbeit leisten und meinen Eltern verdeutlichen, dass es nicht an ihnen liegt, dass ich sofort ausziehen will.“
Zunächst in der zweiten Mannschaft eingesetzt, gehört der Seevetaler Jung seit 2017 zum Bundesligakader von Hannover United. Mit seiner Leistung und Ausstrahlung hat er viel dazu beigetragen, aus einer Fahrstuhlmannschaft ein Spitzenteam der 1. Bundesliga im Rollstuhl-Basketball zu formen. Zuletzt erreichte United immer das Play-off-Halbfinale, stand zweimal im Pokalfinale und gewann zweimal einen Europapokal-Wettbewerb für Vereinsmannschaften: EuroCup3 (2023) und EuroCup2 (2024).
Spitzenteam der Bundesliga: Hannover United wächst mit Alexander Budde
Parallel trieb der Behindertensportler des Jahres 2019 in Niedersachsen seine außersportliche Ausbildung voran. 2020 schloss er die Schulzeit mit dem Abitur an der KGS Hemmingen ab. Kurz vor der Abreise nach Paris musste er noch seine Bachelorarbeit im Studienfach „Architektur und Immobilienmanagement“ an der Fachhochschule des Mittelstands (FHM) in einem Kolloquium verteidigen. Ob der Mann mit eigener Wohnung im Stadtteil Groß Buchholz einen Masterstudiengang folgen lässt, weiß er noch nicht.
Was er weiß, ist, dass er in Hannover bleiben will. Trotz einiger Angebote von renommierten Vereinen aus Spanien oder Italien verlängerte Alexander Budde seinen Vertrag jüngst um zwei Jahre bis 2026. „Hannover United ist mein Herzensprojekt. Ich hab den Verein mit aufgebaut und freue mich darauf, die nächste Generation vom Internat heranzuführen“, sagt der Mann, der zehn Einheiten pro Woche trainiert. Auch dank der Unterstützung seines Vereins und der Deutschen Sporthilfe könne man einen gewissen Zeitraum vom Rollstuhl-Basketball leben, verrät er.
Architektur und Immobilienmanagement: Bachelorarbeit kurz vor Paris abgegeben
Nun also die Paralympics in Paris. „Die Vorfreude ist riesig. Die ersten Spiele sind etwas besonders und bleiben ewig in Erinnerung. Das Kribbeln im Bauch wird immer größer“, sagte Budde im Abendblatt-Gespräch. Drei Wochen lang bereitete sich die deutsche Nationalmannschaft im Höhentrainingslager in Livigno in Italien auf die Paralympics vor. „In der Freizeit liefen immer die Übertragungen von Olympia, wir haben alles aufgesaugt.“ Die Vorverkaufszahlen (2 Millionen Tickets) deuten darauf hin, dass auch bei den Paralympics die Hallen sehr gut gefüllt sein werden.
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Das Vorrundenspiel von Deutschland gegen Frankreich am vergangenen Sonnabend war ausverkauft. 17.000 Fans in der Bercy-Arena peitschten die Gastgeber nach vorn. Deutschland behielt kühlen Kopf und siegte mit 72:64. Zu Spitzenspielen in der Bundesliga kommen höchstens 2000 bis 3000 Fans. Dennoch war Alex Budde vor der großen Kulisse nicht bange: „Tendenziell werde ich nicht so schnell nervös und freue mich eher auf die Atmosphäre. Ein kleines bisschen brauche ich diesen Druck.“
Gruppenspiel gegen Frankreich vor 17.000 Zuschauern in der Bercy-Arena
Im paralympischen Rollstuhl-Basketball-Turnier der Männer spielen acht Nationen in zwei Vierergruppen um die beste Ausgangssituation für das Viertelfinale. Deutschland verlor zum Auftakt gegen Großbritannien (55:76) und zum Abschluss gegen Kanada (52:68) und belegte den dritten Gruppenplatz. Die ARD hat angekündigt, die Partien via Livestream in der Mediathek oder im Internet www.sportschau.de/paralympics zu zeigen.
Deutschlands Männer sind noch nie über das Viertelfinale hinausgekommen. Zuversicht auf mehr gibt der zweite Platz beim letzten Vorbereitungsturnier in Köln mit sechs der acht Paralympics-Teilnehmer. Innerhalb des Nationalkaders hätte man zwei Ziele formuliert: „Wir wollen zeigen, dass wir die athletischste und fitteste Mannschaft sind, und wir wollen die beste Defense spielen“, sagt der 24-jährige Seevetaler.
Rollstuhl-Basketballer sind nach drei Wochen Höhentraining in Italien topfit
Welchen Platz Deutschland damit erreichen könne, sei schwierig abzuschätzen, weil die acht teilnehmenden Nationalmannschaften, bis einschließlich Tokio waren es immer zwölf, leistungsmäßig dicht beieinander liegen. Kleine Orientierung: bei der WM 2023 wurde Schwarz-Rot-Gold Achter, bei den letzten drei Europameisterschaften sprang jeweils Rang vier heraus.
Die Mutter von Alexander Budde verbringt die gesamte Zeit der Paralympics vom 28. August bis 8. September in Paris, sein Vater ist etwa zur Hälfte der Spiele nachgereist. Alex‘ Partnerin Marie Lichtensteiger befindet sich mit Freunden auf einer Reise durch Afrika. Technisch seien alle Voraussetzungen getroffen, damit die Gruppe aus vielen tausend Kilometern Entfernung die Spiele von Alex per Livestream verfolgen könne, verrät er uns.
Paralympics 2024: Mutter und Vater sind in Paris, Alex informiert bei Instagram
Und Alexander Budde selbst? Wenn ihm zwischen den Wettkämpfen Zeit bleibt, möchte der Maschener seine Eindrücke und Impressionen gern über seinen Instagram-Account teilen: Neuerdings präsentiert er sich unter @ichbinbudde. Die bislang 1060 Follower sind nicht das letzte Wort, ebenso wie Deutschlands Rolli-Basketballer auf dem Spielfeld nachlegen wollen.