Paris/Elmshorn. Die querschnittsgelähmte Tanja Scholz zählte über 150 Meter Lagen nicht zu den Medaillenanwärterinnen. Wie das kleine Wunder gelang.

Die sozialen Medien explodierten förmlich: „Du machst uns Scholz!“, „Da ist das Ding!“, „So verdient! Gratulation!“. Im Umfeld von Tanja Scholz gab es kein Halten, als die Elmshornerin in Paris als Erste über 150 Meter Lagen anschlug. Zu dem Zeitpunkt war es die erste deutsche Goldmedaille bei den Paralympics.

Damit hat die 40 Jahre alte Elmshornerin die beeindruckende Antwort auf eine Frage gegeben, die sich im Vorfeld ihres dritten Starts in Frankreich schon einige gestellt hatten. „Warum mag sie sich das wohl antun? Bei Schwimmwettkämpfen zu starten, in denen sie doch von vornherein nichts reißen dürfte?“ Eine Frage, die aufkam, als bekannt wurde, für welche Strecken Tanja Scholz in Paris melden würde. Die Antwort der dreifachen Mutter ist deutlich: Ein Wettkampf ist nur dann wirklich verloren, wenn er gar nicht erst bestritten wird.

Paralympics in Paris: Das Gold kommt für Tanja Scholz unerwartet

Dabei hätte der Triumph der Elmshornerin, die bei einem Reitunfall im Juni 2020 eine inkomplette Querschnittslähmung erlitt, laut Papierform niemals so gelingen können. Aber was ist schon Papier? Also meldete Tanja Scholz für die 200 Meter Freistil am ersten Wettkampftag (Donnerstag) und die 100 Meter Freistil am Tag darauf. Das, obwohl sie aus Mangel an Starterinnen ihrer angestammten Schadensklasse S4 nun bei den deutlich weniger beeinträchtigten Frauen der Klasse S5 antreten musste.

Wie sich nun herausstellt: Diese Rennen waren Gold wert. Schon bei ihrer Paralympics-Premiere lässt Tanja Scholz aufhorchen. Gegen 18 Kontrahentinnen der Schadensklasse S5 kämpft sie sich ins Finale vor, wird Achte und erntet viel Anerkennung. Tags darauf lässt sie auch über 100 Meter Freistil in den Vorläufen einige S5-er hinter sich. Tanja Scholz erreicht das Finale und landet sogar auf dem sechsten Platz.

Gold für Tanja Scholz: Erkenntnisse aus den ersten Rennen bereiten den Weg zum Sieg

Viel wichtiger aber die Erkenntnisse, die sie, ihr Ehemann und Wettkampfbetreuer Björn Scholz sowie die Bundestrainer Ute Schinkitz und Michael Pechtl aus diesen Antritten zogen. Denn als ärgster Gegner der 40-Jährigen sollten sich in Paris nicht die Kontrahentinnen, sondern die Wettkampfstätte selbst erweisen.

Tanja Scholz Team
Im Team ist sie noch stärker: Paralympics-Starterin Tanja Scholz wird zu Training und Wettkampf immer von Ehemann Björn begleitet, der auch offizielles Teammitglied für den Start bei den paralympischen Spielen in Paris ist. Jürgen Gerweler, der Badebetriebsleiter im Badepark Elmshorn, ist stolz darauf, dass die Stadtwerke Elmshorn die dreifache Mutter nach ihrer Querschnittslähmung optimal bei ihrer neuen Schwimmkarriere unterstützen. © Ulrich Stückler | Ulrich Stückler

In der Arena La Defense herrschen Bedingungen, die Gift für den Körper der Elmshornerin sind. Im zur Schwimmsportstätte umgebauten Rugby-Stadion herrscht Zugluft. Damit sind Luft- und Wassertemperatur deutlich geringer als das, was Tanja Scholz vom Heimtraining im Badepark Elmshorn mit fast 28 Grad im Becken kennt.

Paris 2024: Schwimmarena ist zu kalt; Tanja Scholz erleidet Spastiken

Die unangenehme Konsequenz aus den Bedingungen: Tanja Scholz begann zu frieren, der Körper reagierte mit Spastiken während des Schwimmens. Darauf richtig zu reagieren, das haben Tanja Scholz und ihr Team während dieser vermeintlich „sinnlosen“ Starts gelernt.

Rechtzeitig zu den 150-Meter-Lagen, die sie – klassifiziert als SM3 – erneut mit weniger beeinträchtigten Gegnerinnen der Kategorie SM4 bestreiten musste. „In den Rennen hat dann alles gepasst“, sagt die 40-Jährige. „Es war warm, die Spastik ist nicht gekommen – und dann hat es gereicht.“ Als am Abend die Nationalhymne erklang und Tanja Scholz die Goldmedaille überreicht bekam, da realisierte sie die Tragweite des Geschehens. Tränen der Freude kullerten, wollten gar nicht mehr aufhören.

Gold für Tanja Scholz: Nach dem Unfall wollte das Rehateam zuerst keine Wasserübungen vornehmen

Kaum auszudenken, hätte sie in den ersten Monaten nach dem Unfall auf Betreuer ihrer Reha-Klinik gehört. Wegen der Tragweite ihrer Lähmung hatte das medizinische Team von Übungen im Wasser absehen wollen. Aber nicht mit Tanja Scholz, die schließlich in ihrer Jugend begeisterte Leistungsschwimmerin war.

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Erste Tests im Becken verliefen erfolgreich. Seitdem zieht das Sportlerinnenleben fast in Zeitraffer an Tanja Scholz vorbei. Schon 2022, nur zwei Jahre nach dem Unfall, startet sie bei den Weltmeisterschaften auf Madeira, kehrt mit fünf Medaillen heim. 2023 in Birmingham sind es bereits drei Gold- und drei Silbermedaillen in ihrer Klasse.

Noch mehr Medaillen? Tanja Scholz darf nun zwei Rennen in ihrer angestammten Klasse bestreiten

Und nun die Paralympics. Die kommenden freien Tage wird Tanja Scholz aber nicht zum Sightseeing nutzen; Training ist angesagt. „Freitag und Sonnabend stehen die 50 Meter im Freistil und Rücken an“, sagt die Elmshornerin und freut sich, „ausnahmsweise“ in ihrer angestammten Schadensklasse antreten zu dürfen. „Bis dahin wollen wir an meiner Schnelligkeit feilen.“

Und dann werden daheim wieder Freunde und Familie mitfiebern, sobald Ehemann Björn seine Tanja für den Start ins Schwimmbecken hineinhebt. Zuletzt haben bei ihrem Heimverein PSV Neumünster Fans und Freunde gemeinsam das Gold bejubelt. Ihre Kinder Thea, Ole und Lasse haben mit den Großeltern von daheim aus Mama angefeuert; kommenden Freitag und Sonnabend gewiss wieder.