Hamburg. Edina Müller, Maya Lindholm und Anne Patzwald reisen mit viel Ambitionen nach Paris. Doch es geht ihnen nicht nur um die Medaillen.

Wo geht es denn nur zur Sporthalle? Der HSV-Präsident wirkt auf dem Gang des Querschnittgelähmten-Zentrums des BG Klinikums Hamburg (BGKH) leicht orientierungslos: „Die Krankenschwester eben hat doch gesagt, man könne hier auch durchgehen“, sagt Marcell Janssen, der oberste Funktionär des Fußball-Zweitligisten. Der 38-jährige Ex-Profi-Kicker und 45-fache DFB-Nationalspieler will unbedingt dabei sein, wenn das Boberger Krankenhaus drei Top-Athletinnen zu den demnächst beginnenden Paralympics in Paris (vom 28. August bis 8. September 2024) verabschiedet. Parakanutin Edina Müller und die Rollstuhl-Basketballerinnen Anne Patzwald und Maya Lindholm wollen für Team D alles geben.

Solche sportlichen Weihen waren Janssen nie vergönnt: „Olympia hat sich für mich leider nie so ergeben“, sagt der einst so laufstarke Linksverteidiger, der dafür drei äußerst erfolgreiche Großturniere (WM-Dritter 2006, EM-Finalist 2008, WM-Dritter 2010) mit der A-Nationalmannschaft vorzuweisen hat. Für das Trio Müller, Patzwald und Lindholm sind es hingegen zusammengerechnet bereits die zwölften Sommerspiele. Gewonnen haben die Damen dabei zusammengerechnet sieben Medaillen.

Paralympics in Paris: Dieses Boberger Trio ist fast schon eine Medaillenbank

Am routiniertesten und erfolgreichsten dabei ist Edina Müller, die im BGKH als Sporttherapeutin tätig ist und nunmehr zum fünften Mal an Olympia teilnehmen wird. Das Abschiedszeremoniell hat ihr Arbeitgeber genau an ihren Hauptort organisiert, in die Sporthalle also, in der Müller mit ihren Patienten arbeitet. Der Medaillensatz der 41-Jährigen kann sich sehen lassen und ihre disziplinübergreifende Erfolgsgeschichte auch: Zunächst gewann Müller mit dem deutschen Rollstuhl-Basketball-Team 2008 in Peking Silber, vier Jahre später in London war es der Paralympics-Sieg. Dann tauschte die gebürtige Bergisch-Gladbacherin Ball gegen Paddel ein und wiederholte die Medaillenfarben: In Rio 2016 gab es über 200 Meter Kajak erst Silber, fünf Jahre später in Tokio schließlich Gold.

Und jetzt in Paris? Die Frau vom Hamburger Kanu Club muss sich gedulden, denn ihre Rennen (im Optimalfall sind es zwei ohne Hoffnungslauf) steigen erst gegen Ende der Spiele im 35 Kilometer entfernten Wassersportstadion Vaires-sur-Marne. Dennoch wird Edina Müller wohl schon zur Eröffnungszeremonie am 28. August in Frankreichs Hauptstadt, in der ihre Mutter sieben Jahre lang lebte, sein. Aus erfreulichem Grund: „Ich bin unter den letzten drei Nominierten als mögliche Fahnenträgerin“, freut sich die Parakanutin, die zu den 142 Sportlern im deutschen Paralympicskader gehört. Insgesamt könnten bei der Eröffnungssause zwischen Place de la Concorde und Champs-Elysée 4500 Athleten aus über 180 Nationen dabei sein.

Rolli-Basketballer spielen vor großer Kulisse

Auch Maya Lindholm und Anne Patzwald werden sich diese Eröffnung nicht entgehen lassen. Das olympische Rollstuhl-Basketball-Turnier der Frauen beginnt bereits am 30. August. Wie bei Olympia 2024 duellieren sich auch hier acht Mannschaften, zunächst in zwei Vierergruppen, dann Viertelfinale, Halbfinale, schließlich Finale. „Es gibt acht gute Teams, wir sind eines davon“, weiß Maya Lindholm, die ihre vierten Olympischen Spiele bestreitet und bereits Gold und Silber gewonnen hat. Und Mitspielerin Patzwald, zum dritten Mal unter den Ringen dabei und schon mit Silber dekoriert, findet, dass das Team ja schon dahin fahre, „um eine Medaille zu bekommen“.

Dass dieses paralympische Basketball-Turnier etwas Besonderes darstellt, zeigt sich auch daran, dass die Spiele in der größten Arena der Stadt, der Accor Arena im Stadtteil Bercy vor bis zu 20.000 Menschen ausgetragen werden. Die deutschen Gruppengegner heißen Niederlande, Japan und USA, also sportlich echte Brocken. Den Boberger Ergotherapeutinnen Patzwald und Lindholm ist aber nicht bange.

Was bei den paralympischen Sportlern im Vordergrund stehen sollte

Doch geht es immer nur um Zählbares? Rolf Keppeler, Geschäftsführer des BGKH, nimmt beim Boberger Zeremoniell mit ganz vielen Prominenten – neben dem rechtzeitig eingetroffenen HSV-Präsident Janssen sind auch beispielsweise Bezirksamtsleiterin Cornelia Schmidt-Hoffmann oder der Staatsrat für Sport und Inneres, Christoph Holstein, anwesend – Druck raus: „Eine Medaille zu gewinnen, ist nicht das Wichtigste. Die eigene Leistung zu bringen, ist das Entscheidende.“ Auch der ehemalige Profi-Fußballer motiviert in diese Richtung: „Bei den ganzen Titeln, die ihr schon habt, könnt ihr eigentlich nur noch Spaß haben.“

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Für Edina Müller geht es aber um einiges mehr: Seit dem furchtbaren Schicksalsschlag im Alter von 16 Jahren, als sie durch das missglückte Einrenken des Rückens durch orthopädische Hand querschnittsgelähmt wurde, versucht sie in ihrem Job, andere vom Schicksal Gebeutelte nicht daran zerbrechen zu lassen, sie ins geordnete Leben zurückzubringen. „Es ist nicht mein Ziel, nur Leistungssportler herauszubringen“, sagt sie, „ich möchte die Menschen zurück in die Mobilität bringen.“ Im Rollstuhl zwar, aber immer noch lebenswert. Das sei letztlich ja auch eines der Grundprinzipien und obersten Aufgaben des BG Klinikums, die Wiedereingliederung ins Leben – und Sport kann da ein sehr nützliches Mittel sein.

Trotz schweren Schicksals: Parakanutin Müller hat so viel geschafft

„Ich habe mich nie von diesem Schicksal beeindrucken lassen“, sagt die Top-Parakanutin, die Mutter wurde, in den USA studierte, einen sicheren Arbeitsplatz hat, „es braucht Trauer und auch Zeit, aber jetzt spielt der Schicksalsschlag von damals keine Rolle mehr.“ Sehr gut, dass die paralympischen Top-Athletinnen so einen starken Arbeitgeber im Rücken haben – und das BGKH profitiert vom Know-how der Drei, die vielleicht wieder Edelmetall von den 17. Paralympischen Sommerspielen nach Hause bringen.