Jork. Foto zeigt Wolf in Privatgarten direkt bei Kinderschaukel. Verwaltungsgericht Stade stoppt Abschussgenehmigung. Wie es nun weitergeht.
In diesem Frühjahr häuften sich die Meldungen über gerissene Schafe auf den Deichen des Alten Landes. Das war keine Überraschung – Wolfsexperten der Region hatten genau diese Entwicklung hervorgesagt. Und doch war die Bilanz mehr als bitter: Insgesamt 20 getötete Deichschafe gehen nachweislich auf das Konto der jungen Wölfin.
Und nicht nur die Angriffe auf Nutztiere sorgten für Unruhe. Das Tier wurde mehrfach in der Nähe von Bauernhöfen und Familienhäusern in der Gemeinde Jork gesichtet, was die Sorgen der Anwohner weiter schürte. Doch was auf den ersten Blick nach einem klaren Fall für die Jägerschaft klingt, entpuppt sich als komplexer Konflikt zwischen Naturschutz, Landwirtschaft und Politik.
Altes Land bei Hamburg: Naturschützer verhindern Abschuss der Problemwölfin
Der Landkreis Stade reagierte auf die Situation und erteilte eine Abschussgenehmigung für das Tier. Landrat Kai Seefried (CDU) zeigte sich entschlossen, die Situation in den Griff zu bekommen. „Das macht etwas mit einem Menschen, der seine Tiere aufzieht“, berichtete Seefried nach einem Besuch bei einem vom Wolfsriss betroffenen Schäfer. Die Belastung für die Tierhalter sei enorm.
Doch kaum war die Abschussgenehmigung erteilt, meldeten sich Naturschützer zu Wort. Der Verein „Freundeskreis freilebender Wölfe“ aus Wolfsburg legte Widerspruch gegen die Entscheidung des Landkreises ein.
Verwaltungsgericht Stade kippt Abschussgenehmigung für den Wolf
Das Verwaltungsgericht Stade hat die Abschussgenehmigung für den Wolf nun vorläufig außer Kraft gesetzt. In seinem Beschluss untersagte das Gericht den sofortigen Vollzug der Genehmigung.
In seiner Begründung kritisierte das Gericht, dass nicht ausreichend geprüft wurde, ob es Alternativen zum Töten des Tieres gibt. Bevor ein Wolf getötet werden darf, müssen laut Gericht andere Möglichkeiten ausgeschöpft sein. Dazu gehören höhere Zäune, der Einsatz von Herdenschutzhunden oder das nächtliche Einstellen der Tiere. Der Landkreis Stade hätte insgesamt nicht ausreichend begründet, warum diese Schutzmaßnahmen nicht möglich sein sollten.
Gericht: Hohe Kosten für Schutz der Schafe keine Rechtfertigung für Abschuss
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts wird von einem aktuellen Urteil des Europäischen Gerichtshofs gestützt. Auch dort heißt es unter anderem, dass der Abschuss von Wölfen die absolute Ausnahme bleiben muss. Außerdem würden hohe Kosten für den Schutz der Schafe keinen Abschuss des Wolfes rechtfertigen. Die EU-Staaten müssten aber den Tierhaltern Geld zur Verfügung stellen, um ihre Herden zu schützen.
Schon das Urteil des Verwaltungsgericht ließ die Wogen in der Region hochschlagen. Der „Freundeskreis freilebender Wölfe e.V.“ zeigte sich dagegen erfreut über die Entscheidung. In einer Stellungnahme erklärte der Verein: „Das VG Stade ist im Eilverfahren unseren Ausführungen in weiten Teilen gefolgt, hat klare und in der Sache unmissverständliche Worte gefunden.“
Im Alten Land spielen Schafe wichtige Rolle für den Küstenschutz
Landrat Kai Seefried zeigte sich trotz des juristischen Rückschlags kämpferisch. Der Landkreis habe Widerspruch eingelegt. Jetzt muss sich das Oberverwaltungsgericht Lüneburg mit der Abschussgenehmigung befassen.
Im Landkreis Stade spielen die Schafe eine besondere Rolle beim Küstenschutz. Nur mit Schafen sei die Deichsicherheit gewährleistet, erklärte der Landkreis. Massive Zäune mit Untergrabungsschutz seien auf den Deichen nicht zu gewährleisten. Unter anderem mit diesen Argumenten geht die Behörde in die nächste Gerichtsverhandlung.
Seefried rechnet mit monatelangem Verfahren
In einem Video auf den Social-Media-Kanälen des Landkreises erklärte Seefried: „Ich weiß, dass das noch ein langer Weg ist.“ Er rechnet mit einem langwierigen Verfahren, das sich über Monate hinziehen könnte.
Dennoch betonte der CDU-Politiker: „Ich bin weiterhin fest entschlossen, dafür zu kämpfen, dass wir am Ende eine Abschussgenehmigung vollziehen können.“
Sollte der Landkreis vor dem Oberverwaltungsgericht mit der Ausnahmegenehmigung scheitern, will Seefried nicht aufgeben: „Dann werde ich mit dem Gerichtsbeschluss nach Berlin zur Bundesumweltministerin fahren, um noch einmal deutlich zu machen, dass wir einen anderen gesetzlichen Rahmen benötigen.“
Jork im Alten Land: Anwohnerin fotografiert Wolf direkt bei einer Kinderschaukel
Der Wolf zieht derweil weiter in der Gemeinde Jork umher: Kürzlich wurde das Raubtier in einem Privatgarten in Jork-Königreich fotografiert – nur wenige Meter von einer Kinderschaukel entfernt. „Wir waren sehr erschrocken, dass der Wolf so dicht ans Haus kommt“, kommentierte die Anwohnerin, die anonym bleiben möchte.
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Für den Landrat steht fest: „Es kann doch nicht richtig sein, dass der Artenschutz des Wolfes über dem Leid der Nutztiere steht und über dem Leid der Menschen, die mit ihnen zusammenleben.“ Er verweist auf die bereits jetzt hohe Wolfsdichte in Niedersachsen mit rund 600 Tieren - Tendenz steigend. Zum Vergleich: In Norwegen und Schweden - immerhin zehn Mal so groß wie Niedersachsen - bilden insgesamt 400 Wölfe den „guten Erhaltungszustand“ der Art.
Verhärtete Fronten: Naturschützer gegen Landwirte gegen die Politik
Die Fronten in dem Konflikt sind verhärtet. Während Naturschützer den Wolf als streng geschützte Art verteidigen, fordern Landwirte und Politiker wie Seefried ein aktives Bestandsmanagement.
Eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht. Während das juristische Tauziehen weitergeht, bleibt die Wölfin GW4032f vorerst unangetastet in der Region unterwegs – zur Freude der einen und zum Ärger der anderen.