Niedersachsen. In Jork wurde eine Wölfin zum Abschuss freigegeben. Aber was, wenn die Jagd erfolglos bleibt? Ein Wildbiologe hat erstaunliche Antworten.
- So emotional die Debatte zum Thema Wolf auch geführt wird, eines steht fest
- Es braucht pragmatische Lösungen für das Zusammenleben zwischen Raubtier und Mensch
- Denn in einem sind sich alle Experten einig: Der Wolf ist gekommen, um zu bleiben
Die rasant zunehmende Wolfspopulation wird rund um Hamburg zum Problem – vor allem für die Weidetierhalter. Das Abendblatt berichtet regelmäßig über Risse, die dem Wolf nachgewiesen werden konnten. Die Wolfsfrage wird in der Region derzeit hitzig diskutiert, Veranstaltungen dazu verzeichnen besonders auf dem Land und in den stark betroffenen Gebieten großen Zulauf.
Reizthema Wolf: Wie können Mensch und Raubtier sich wieder arrangieren?
Das Thema Wolf ist längst ein Politikum und es ist dabei, die Gesellschaft zu spalten. Auf der einen Seite stehen die Weidetierhalter und Anwohner, die sich von Wölfen und Wolfsrudeln in ihren Kommunen bedroht fühlen und die Regulierung des Wolfbestandes sowie „wolfsfreie Zonen“ fordern – etwa dort, wo Schafe in der Deichpflege zum Hochwasserschutz eingesetzt werden.
Auf der anderen Seite positionieren sich Naturschutzverbände und Wolfsschützer, die grundsätzlich gegen die Jagd auf das zurückgekehrte Raubtier sind und sich vor Gericht gegen die wenigen genehmigten Abschüsse von sogenannten Problemwölfen wehren – oft mit Erfolg.
Meinungen zum Wolf krachen regelmäßig aufeinander
In der Diskussion darüber, wie viele Wölfe das Land vertragen kann, krachen die Meinungen aufeinander, und es werden überwiegend immer wieder die gleichen Argumente ausgetauscht. Für die einen ist die Aufnahme des Wolfes in das Deutsche Jagdrecht und eine Obergrenze der Population wie beispielsweise in Schweden unabdingbar, wo der Bestand im gesamten Land durch gezielte Bejagung bei 300 bis 400 Tieren gehalten wird. Die anderen wollen alle Wölfe schützen und vertreten die Meinung, eine gezielte Entnahme bringe nichts.
Trotz der stark anwachsenden Wolfspopulation in der Metropolregion Hamburg sei aber eine friedliche Co-Existenz zwischen Wolf, Herde und Mensch noch möglich, sagt der Wolfsexperte: „Auf jeden Fall. Vorausgesetzt wir investieren mehr in den Herdenschutz und entnehmen sogenannte Problemwölfe, die zu ernsten wirtschaftlichen Schäden führen und Risikowölfe, die uns Menschen gefährlich werden können.“
Der Wolf sei gekommen, um zu bleiben, sagt der Wissenschaftler
Im Moment gibt es in Niedersachsen jedes dritte Jahr eine Verdoppelung des Bestandes. Die Rissvorkommen finden inzwischen auch direkt an der Hamburger Landesgrenze statt, wie zuletzt in Jork im Alten Land. In manchen Gemeinde marschieren Wölfe am helllichten Tag durch Wohngebiete – womit sich betroffenen Anwohner wohl vorerst abfinden müssen. Denn der Wolf sei gekommen, um zu bleiben, sagt der Wissenschaftler: „Wir haben verlernt, mit dem Wolf zu leben und müssen uns an die neue Realität anpassen.“
Angst sei dabei kein guter Ratgeber: „Dazu braucht es nicht Angst, sondern Respekt. Und die Möglichkeit einzugreifen, wenn Wölfe ihre Scheu verlieren“, sagt der Wildbiologe. Die Entnahme von Einzelwölfen mit unerwünschten Verhalten und künftig die Selektion durch geregelte Bejagung werde das Zusammenleben vereinfachen, ist er überzeugt.
„Auch der Wolf muss lernen, sich vom Mensch und seinen Nutztieren fernzuhalten.“ Ein Restrisiko werde es aber immer geben, meint Hackländer: „Das ist gering und sollte nicht dazu führen, dass wir uns nicht mehr in den Wald trauen. Aber es bedeutet auch, dass man in Wolfsgebieten nicht nachts oder alleine unterwegs sein sollte. Darauf sollten wir uns einstellen, wenn wir auf Nummer sicher gehen wollen.“
Ließe sich der Wolfsrudelbestand mit Verhütungsmitteln regulieren?
In der Zwischenzeit hat auch eine neue Idee Einzug in die Debatte gehalten: Nämlich die Überlegung, ob man den Wolfsrudelbestand nicht mit Verhütungsmitteln regulieren könnte, wie es in manchen Tierparks bereits geschieht. Dort erhalten weibliche Tiere während der Paarungszeit präparierte Fleischbrocken mit der „Pille für den Wolf“, wenn Nachwuchs nicht erwünscht ist.
Professor Dr. Klaus Hackländer, Vorstand der Deutschen Wildtierstiftung mit Sitz in Hamburg, gilt als einer der renomiertesten Experten in Sachen Wolf und beschäftigt sich schon lange mit der Frage nach den Herausforderungen und Lösungen im Umgang mit dem Raubtier in der Kulturlandschaft.
Der Professor der Wildbiologie und Jagdwirtschaft an der Universität für Bodenkultur in Wien hat bereits mehrere Bücher über den Wolf und seine Rückkehr nach Deutschland und Österreich geschrieben.
In freier Wildbahn wird‘s schwierig mit der Pille
„Grundsätzlich kann man die Fruchtbarkeit von Wölfen hemmen, indem man Hormonpräparate verabreicht, die die Produktion von Spermien beziehungsweise Eizellen verhindert – oder man unterbindet durch eine Impfung die Befruchtung von Eizellen“, sagt Hackländer.
„Beides wird möglich, wenn ich die Medikamente regelmäßig verabreiche oder das Tier nach einer Betäubung behandle.“ Dafür müsse man auf 20 Meter an einen Wolf herankommen oder ihn fangen. „In Gehegen funktioniert das bestens, in freier Wildbahn ist das praktisch unmöglich“, so der Professor.
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Fruchtbarkeitshemmer würden außerhalb von Gehegen nur in Parks oder auf Inseln durchgeführt, weiß Hackländer: „Anderes ist mir jedenfalls beim Wolf auch international nicht bekannt.“ Schließlich könnten auch unfruchtbare Wölfe noch für Konflikte mit Menschen sorgen, gibt der Experte zu bedenken.
Verabreichung der Pille nicht zuverlässig machbar
Die Verabreichung von „empfängnisverhütenden Medikamenten“ sei in freier Wildbahn nicht zuverlässig machbar. „Die Schwierigkeiten bestehen darin, dass ich das Medikament in der richtigen Dosis und im richtigen Abstand verabreiche. Und das geht im Feiland eben nicht“, meint der Vorstand der Deutschen Wildtierstiftung.
Tierschutzrechlich wäre so ein Vorgehen vielleicht sogar möglich. „Aber nicht in Hinblick auf das Naturschutzrecht oder das Jagdrecht. Die Verabreichung von Medikamenten ist durch die Gesetze eingeschränkt oder gar verboten.“
„An Bejagung des Wolfes führt kein Weg vorbei“
Der Professor glaubt, dass Tierschützer mit der „Pille für den Wolf“ wohl kein Problem hätten, solange das betreffende Wolfsindividuum nicht aufgrund von Nebenwirkungen leide. „Aber Tierrechtler hätten mit Fruchbarkeitshemmern ihre Probleme, da es das Tier in seinem Recht auf Fortpflanzung einschränkt“, so Hackländer.
In der Theorie könnte also wohl auch dieses bestandsregulierende Vorgehen zu gerichtlichen Auseinandersetzungen führen, wie bei den genehmigten Abschüssen.
Wolf ist in Deutschland streng geschützt – umso mehr brauche es eine Regulierung
Hackländer ist nach intensiver Auseinandersetzung mit der Datenlagen und vielen Studien für eine Regulierung des Wolfsbestands durch Bejagung. „Daran führt kein Weg vorbei, denn die von der Gesellschaft akzeptierte Dichte liegt deutlich unter der ökologisch möglichen“, sagt er.
Der Wolf sei zwar in Deutschland streng geschützt, aber in Europa seit 2007 von der Weltnaturschutzunion IUCN in der Roten Liste als „nicht gefährdet“ eingestuft. Künftig würde dann noch die Regulierung hinzukommen, wenn der Gesetzgeber den Schutzstatus herabsetzt, so Hackländer.