Altes Land. Junge Wölfin hat Scheu vor Menschen seit Längerem komplett verloren. Wie es zur Freigabe kam und wer das Wildtier töten darf.
- In Jork im Alten Land leben die Anwohner seit Wochen in Angst
- In ihrer Gemeinde streift eine junge Wölfin umher, selbst in Gärten und auf dem Ponyhof wurde sie bereits gesehen
- Nun hat der zuständige Landkreis eine wegweisende Entscheidung getroffen
Der Landkreis Stade hat eine Abschussgenehmigung für den Wolf erteilt, der seit Wochen durch die Gemeinde Jork streift und nachgewiesenermaßen bereits 20 Deichschafe gerissen hat. Weitere Tiere wurden bei den Attacken auf der an der Hamburger Stadtgrenze liegenden Elbinsel Hahnöfersand verletzt oder gelten als vermisst.
DNA-Proben haben ergeben, dass es sich bei dem Wolf um eine junge Wölfin handelt mit der Kennzeichnung GW4032f. Sie wurde von Anwohnern der Gemeinde Jork bereits mehrfach aus nächster Nähe gefilmt und fotografiert, was bei vielen Menschen im Alten Land massive Sorgen und Ängste auslöste.
Altes Land: Wolf zum Abschuss freigegeben – weitere Risse zu erwarten
Der Landkreis hält die Befürchtungen für begründet. Der Wolf habe seine natürliche Menschenscheu verloren, heißt es in der 13-seitigen Begründung für die Abschussgenehmigung, die dem Abendblatt vorliegt. Auch seien weitere Risse zu erwarten, da sich das Tier weiterhin im Bereich der Obstbauflächen zwischen Jork und Hahnöfersand aufhalte.
Der Landkreis machte die Abschussgenehmigung am Donnerstag, 30. Mai, bekannt, eine Woche später tritt sie in Kraft. In der Praxis bedeutet dies, das die Jagd auf die Wölfin ab dem 7. Juni eröffnet ist. Ein vom Landkreis konkret benannter Jäger kann – oder muss – dann losziehen, um den sogenannten Problemwolf zu „entnehmen“. Die Genehmigung zum Abschuss gilt bis zum 15. September.
Kreis Uelzen: Für eine 2021 erteilte Genehmigung gibt es immer noch kein Urteil
Allerdings werden solche Abschussgenehmigungen in der Regel beklagt. So wird auch im Kreishaus in Stade damit gerechnet, dass Wolfsschützer ein Eilverfahren vorm Verwaltungsgericht anstreben, um gegen die Genehmigung zum Abschuss der Wölfin vorzugehen. Damit kann ein langfristiges Verfahren anstehen. So gibt es für eine 2021 erteilte Abschussgenehmigung des Landkreises Uelzen immer noch kein endgültiges Urteil.
Wer auf Wolfsjagd geht, wird streng geheim gehalten
Welcher Jäger sich wann auf die Pirsch macht, um die Wölfin zu erlegen, wird nicht bekannt gegeben. „Das würde für die Person eine konkrete Gefährdung bedeuten. Wir haben es hier mit einer teilweise militanten Szene zu tun“, begründet Landkreissprecher Daniel Beneke die strenge Geheimhaltung zum Schutz der Einzelperson.
Es gebe Beispiele dafür, dass das Bekanntwerden des Namens zu einer „Gefahr für Leib und Leben“ des beauftragten Jägers oder der Jägerin geworden sei. „Sie wurden bedroht und ihre Hochsitze angesägt“, weiß Beneke. Auch der Landkreis selbst erwartet wieder eine Protestflut. „Beim Thema Wolf ist das immer so. Es gibt sachliche Kommentare, aber auch viele wüste Beschimpfungen“, sagt Beneke.
Betretungsverbot auf Hahnöfersand – zum Schutz des Schäfers
Oberdeichrichter Wilhelm Ulferts hat unterdessen ein Betretungsverbot für die Deiche auf der Elbinsel Hahnöfersand ausgesprochen – „zum Schutze des Schäfers“, wie er dem Abendblatt sagte. Der sei nach den beiden Wolfsangriffen auf seine Schafe von Wolfsschützern mehrfach massiv bedroht worden.
55 Schafe bei einer Attacke getötet – aber Wolf durfte weiterleben
Stades Landrat Kai Seefried macht sich bereits seit einiger Zeit für wolfsfreie Zonen an den Deichen stark. Im vergangenen Herbst war er mit einem Antrag auf Abschuss eines Wolfs, dessen DNA bei dem Wolfsangriff in Gräpel im Landkreis Stade nachgewiesen wurde, bei dem 55 Schafe getötet wurden, allerdings noch am Veto des niedersächsischen Umweltministers Christian Meyer (Bündnis90/Die Grünen) gescheitert.
Nach den aktuellen Schafrissen auf dem Elbdeich erhält Seefried jetzt Rückendeckung aus Hannover. Das Umweltministerium des Landes wolle den Landkreis beim geplanten Abschuss des Wolfes unterstützen, heißt es aus der Landeshauptstadt: „Ich begrüße diesen Schritt des Landkreises Stade sehr“, so Umweltminister Christian Meyer in einer Pressemitteilung des Ministeriums.
Wölfe, die wiederholt geschützte Nutztiere gerissen hätten, sich Menschen auffällig genähert oder wie in Stade den Deich- und Hochwasserschutz gefährdeten, müssten entnommen werden, ohne den Artenschutz zu gefährden.
Hier gehe es nicht nur um die Schafe, sondern auch um den Küstenschutz
Die Begründung des Landkreises berücksichtige die jüngste Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg, wonach Abschüsse nicht generell verboten seien, sofern sie ausreichend begründet sind, so Meyer weiter. „In diesem Fall gehe es nicht nur um den Schutz der Schafe, sondern auch um eine Gefährdung der für den Hochwasser- und Küstenschutz notwendigen Deichpflege. Der Hochwasser- und Küstenschutz durch Schafe am Deich hat für mich höchste Priorität“, sagte der Minister.
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Sein Ministerium habe den Landkreis fachlich unterstützt und die Nichtgefährdung der Wolfspopulation durch den Abschuss eines Wolfes festgestellt. Jetzt bleibe abzuwarten, wie die Gerichte auf mögliche Klagen reagieren. Die Schafhaltung auf Deichen sei zur Bewirtschaftung und Instandhaltung notwendig, betonte der Minister.