Altes Land. Sie sind gerade mal zwei Meter hoch und stehen millionenfach Spalier. Welches Geheimnis hinter den Mini-Bäumen der Obstbauern steckt.

  • Wer noch nie im Alten Land war, stellt sich oft Plantagen voller riesiger Obstbäume vor
  • Tatsächlich dort, fragt man sich verwundert: Warum sind die Bäume alle so winzig?
  • Welche Geschichte steckt hinter den Mini-Bäumen im Alten Land?

Die Apfelbäume im Alten Land stehen in „Vollblüte“, meldete vor Kurzem das Blütenbarometer des Obsthofs Matthias in Jork. Apfelbäume? Es sind doch eher zwei Meter hohe Bäumchen, die auf fast 10.000 Hektar im Alten Land Spalier stehen. Längst haben große, stattliche Bäume im intensiven Erwerbsobstbau keinen Platz mehr. Nicht in Apfelkulturen und kaum noch bei Kirschen, Pflaumen, Zwetschen und Birnen. Das hat gute Gründe.

In den 1960er und 70er Jahren verschwanden allmählich die alten Obstgärten und Streuobstwiesen, auf denen unter den Bäumen oft Vieh geweidet hat. Nach und nach hielten Baumzwerge Einzug, die mit Pfählen oder Drahtkonstruktionen in Form gebracht werden. Eine Zeit lang gab es sogar staatliche Rodungsprämien für Hochstammbäume. Die niedrig stämmige Wuchsform ist heute zumindest bei den Äpfeln Standard und prägt das Landschaftsbild im Alten Land. Äpfel machen dort rund 90 Prozent der Anbaufläche aus.

Stehen Spalier wie ein riesiges Heer: Die winzigen Apfelbäume im Alten Land

„Spindelbäume haben große Vorteile in der Bewirtschaftung“, sagt Matthias Görgens, stellvertretender Leiter vom Esteburg-Obstbauzentrum Jork. „Sie liefern mehr Äpfel, die außerdem größer sind und eine höhere Qualität haben als Äpfel aus großen Baumkronen. Dort gibt es viel Schatten. Dadurch reift ein Teil der Äpfel nicht aus, bleibt klein und sieht unschön aus. Deshalb macht es Sinn, den großen Baum in mehrere kleine aufzuteilen.“

Gewohntes Bild im Alten Land: Die Apfelbäumchen stehen in Reih‘ und Glied.
Gewohntes Bild im Alten Land: Die Apfelbäumchen stehen in Reih‘ und Glied. © Angelika Hillmer | Angelika Hillmer

Reinhard Quast, Obstbauer in dritter Generation, kann sich noch an die Apfelernte in der elterlichen Hochstammkultur erinnern: „Wir sind mit langen Leitern und Pflückschürzen in die Bäume gestiegen. Die Äpfel wurden in die Schürze gelegt. Je nach Kondition und Körperbau hatte man beim Abstieg 15 bis 20 Kilo Äpfel in der Schürze“, sagt Quast, der seinen 24 Hektar großen Obsthof in Neuenfelde inzwischen an seinen Sohn Johannes übergeben hat.

In großen Bäumen wurden Äpfel in Schürzen gepflückt

Damals war der Hof 18 Hektar groß, und die Ernte anstrengend. „Es brauchte bis zu einem Tag, um einen Hochstamm abzuernten. Und drei Leute, um die Kisten per Trecker von der Anlage zum Hof zu bringen. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Selbst heute machen wir uns Gedanken, wie sich die Arbeit noch effizienter gestalten lässt.“ Und nicht nur die Ernte war mühselig, auch das winterliche Beschneiden der Bäume. Zudem sind entlang der Baumreihen manche Arbeitsschritte maschinell zu erledigen.

In seinem Familienbetrieb sei 1972 der erste Spindelbaum mit der Unterlage M9 gepflanzt worden, so Quast. M9 bildet die Basis fast aller Altländer Apfelbäumchen. Es ist eine englische Züchtung.

Als Unterlage bezeichnet man einen Baum, oft eine Wildart, auf die die Kultursorte aufgepfropft wird – der Baum wird veredelt. Eine Technik, die Jahrtausende alt ist. Schon im achten Jahrhundert vor Christi haben die alten Griechen Wildäpfel in ihre Gärten gepflanzt und die schönsten Sorten (Ursprung: Mittelasien) darauf aufgesetzt.

Der heutige Star namens M9 ist eine schwachwüchsige Apfelsorte, die weltweit standardisiert vertrieben wird. Sie sorgt dafür, dass der spätere Baum nur so stark wachsen kann wie seine Basis, also klein bleibt.

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Auch Kirsch- und Pflaumenbäume bleiben heute kleiner

M9 trat auch im Alten Land seinen Siegeszug an. Wer eine so schlechte Basis zum Leben hat, mag schwächlich und anfällig sein für Schädlinge oder Pilzinfektionen. Görgens winkt ab: „Die Anfälligkeit hängt nicht von der Form, sondern von der Sorte ab. Viele Züchtungen arbeiteten unter anderem mit Golden Delicious, der etwas anfälliger für Pilzinfektionen ist. Heute legt man Wert auf widerstandsfähigere Sorten; ihr Anteil steigt nach und nach.“

Dr. Matthias Görgens ist stellvertretender Leiter vom Esteburg Obstbauzentrum Jork.
Dr. Matthias Görgens ist stellvertretender Leiter vom Esteburg Obstbauzentrum Jork. © Obstbauzentrum Esteburg | Pressebild.de/Bertold Fabricius

„Sie können die Apfelbäume vom Boden aus bearbeiten, brauchen höchstens einmal einen Tritt“, sagt Görgens. Der Apfel sei mit seiner Basis M9 der Pionier im Obstbau. Auch Kirschen, Pflaumen, Zwetschen und Birnen gedeihen heute auf schwachwüchsigen Unterlagen, bilden kleinere, schlanke Bäume. Auch sie stehen in Reihe, werden dabei aber immerhin um vier Meter hoch.

Seltener Anblick im Alten Land: Streuobstwiesen mit großen Apfelbäumen

Ganz selten sieht man noch Streuobstwiesen mit großen Apfelbäumen, meist alte Sorten. Etwa im Boomgarden vom Apfelkenner und Sortenretter Eckart Brandt. In seinem Boomgarden Park Helmste in Deinste-Helmste (Landkreis Stade) sammelt er seit 2012 alte Sorten.

Auf knapp vier Hektar wachsen dort mittlerweile etwa 350 Hoch- und 250 Halbstammbäume in rund 400 alten und regionalen Sorten (Äpfel, Birnen, Pflaumen, Kirschen und Quitten). Regelmäßig werden dort sowie auf Märkten und bei Veranstaltungen Jungbäume aus dem Boomgarden-Projekt verkauft.

„Streuobstwiesen werden seit einigen Jahren wieder gepusht, vor allem von Naturschutzverbänden“, sagt Brandt und nennt das Streuobstwiesen-Bündnis Niedersachsen. „Im Erwerbsobstbau sind sie komplett verschwunden. Aber auch in den jetzigen Projekten spielen wirtschaftliche Aspekte eine Rolle, so wird das Streuobst gemeinsam vermarktet.“ Der größte Gewinner sei jedoch die Natur, so Brandt: „Eine Streuobstwiese ist um ein Vielfaches artenreicher als die heutigen Kulturen.“