Trotz der Buhrufe: Hans Neuenfels gelingt in Bayreuth mit seinem “Lohengrin“ eine schlüssige Neudeutung der Schwanenrittersaga.

Bayreuth. Das Buhgewitter gegen Regisseur Hans Neuenfels und Reinhard von der Thannen (Bühnenbild und Kostüme) grollte so stark wie zuvor der Beifall für Dirigent, Sänger, Chor und Orchester. Die Festspiel-Chefinnen kamen vorsorglich beim zweiten Mal mit vor den Vorhang. Dabei wäre das kaum nötig gewesen, denn für Provokationsprofi Hans Neuenfels ist Publikumszorn vor allem Ausdruck von Wirkung. Also zuckte er lächelnd mit den Schultern und freute sich. Kann er auch: Sein "Lohengrin" ist ein großer Wurf und eine starke These, gerade hier in Bayreuth. Dem Publikum mutet das Duo reichlich Denksport zu mit seiner schlüssigen Neudeutung der Schwanenritter-Saga, die man so zusammenfassen kann: Es gibt keine Hoffnung, aber immer eine neue Chance.

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Neuenfels folgte Wagners Anmerkungen zu seinem "Lohengrin" und rekonstruierte die Geschichte eines sehnsüchtigen Individuums, einen Selbsttest auf der Suche nach unbedingter Liebe, die nicht von Herkunft anhängig ist, sondern nur von Vertrauen. Natürlich scheitert der Liebesversuch, denn wer fordert: "Nie sollst du mich befragen", provoziert genau das.

Es ist dieser Kampf um den Bestand der Liebe zwischen Lohengrin und Elsa, der ganz im Zentrum von Neuenfels' Interpretation steht. Der Retter Elsas vor ungerechter Anklage kommt ungerüstet daher, mit offenem Hemdkragen. Jonas Kaufmann gibt den Ritter mit fast kammermusikalischem Angang, mit so viel sensationellem Piano und Pianissimo, dass er fast vergisst, mal stimmlich auf den Tisch zu hauen. Seinen Dank an den Schwan und die Gralserzählung singt er mit leichtgängiger Höhe und unfassbarer Kontrolle. Das setzt Maßstäbe für lange Zeit.

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Annette Dasch als Elsa, Bayreuth-Debütantin wie Kaufmann, ging deutlich nervöser, aber dann auch mit energischerem Einsatz an ihre Partie; ihre Elsa hat Leidenschaft und feste Innigkeit in den lyrischen Partien ("Es gibt ein Glück"). Dirigent Andris Nelsons (als Spiegelbild kurzzeitig sogar sichtbar) spielt da mit; das Orchester unter dem Bayreuther Deckel bleibt sachlich, manchmal fast zu sehr. Bei so viel Reduktion bleibt manches auf der Strecke. Lohengrins fassungsloses "Elsa, was tatest du?" geht einfach unter. Die Gegenspieler der beiden, die zauberische Ortrud, rachgierig bis ins Mark, und der Verleumder Graf Telramund, den sie für ihre finsteren Zwecke instrumentalisiert, sind einander mit Evelyn Herlitzius und Hans-Joachim Ketelsen stimmlich ebenbürtig, wobei Herlitzius in der Lautstärke viel zu oft überzieht.

König Heinrich wird von Georg Zeppenfeld stimmlich kräftig aufgewertet aus der zauderlichen Rolle, die ihm Neuenfels zuweist. Der Regisseur nämlich misstraut aller Macht und den Massen. Das Volk erscheint in Gestalt von Ratten, mit langen Schwänzen und rot glühenden Augen. Es ist eine ängstliche, verführbare Menge, die vergeblich versucht, Halt in der Idee zu finden, Lohengrin könne ein Erlöser sein. Kaum bekennen sie sich mit "L" und Schwanenlogo zu ihm, entschwindet der vermeintliche Retter im Off - da weht ein Hauch von Ole durch den Saal.

Ach ja, die Ratten. Sie sind allgegenwärtig in einer Räumlichkeit, die an ein Labor erinnert, der Laborchef bleibt unbekannt. Sind alle nur Teilnehmer eines desolaten Experiments? Die Ratten sind ebenso in dieses Experiment geworfen wie die handelnden Personen - und die Zuschauer. Ratte ist Mensch ist Ratte, solange sie sich durch Funktionieren Vorteile erhofft. Ratten verüben Attentate auf den König, sind in putzigem Rosa beim Hochzeitsmarsch präsent, was im Publikum ein lautes "Pfui" provoziert. Die Kostüme des Hamburger Professors Reinhard von der Thannen setzen in Schwarz auf Angst und Bedrückung, bringen in Weiß Aufhellung und in Bunt schrille Akzente.

Von der Lohengrin oft unterstellten Erlösungsidee, die Richard Wagner als zu kurz gesprungen zurückwies, halten beide Macher nicht viel. Der Schwan schwebt am Ende des ersten Akts annähernd bratfertig aus dem Bühnenhimmel. Die heilige Taube, in die er sich am Ende verwandeln soll - gestrichen. Und Lohengrins Kahn, in dem er vom Gral herbeigezogen wird, erscheint als böse Mischung aus Gänsebräter und Sarg.

Die zu Wagners Zeit fast noch revolutionäre Reichs- und Deutschtümelei entschärft Neuenfels, am Ende ist nicht vom "Führer" von Brabant, sondern noch einmal vom "Schützer" die Rede - Entnazifizierung durch Textänderung.

Was bleibt? Eine radikale Konzentration auf die Frage: Passen Männer und Frauen vielleicht überhaupt zueinander? Am Ende taucht handlungskonform der tot geglaubte Thronerbe von Brabant wieder auf - in dieser Inszenierung als nacktes Menschen-Neugeborenes in einem riesigen Schwanenei. Es zerreißt seine Nabelschnur und beginnt ein eigenes, ein neues Leben. Es sollte sich nicht zu viele Hoffnungen machen, aber es hat eine neue Chance.