Die “Lohengrin“- Neuinszenierung zum Auftakt der Richard-Wagner-Festspiele wurde überwiegend mit Beifall belohnt.

Bayreuth. Am Ende des ersten Aktes schwebt der Schwan ziemlich gerupft vom Bühnenhimmel und provoziert die ersten Lacher im Publikum. Sein Erscheinen ist ein weiterer hübscher Hinweis darauf, dass die Idee, "Elsa und Lohengrin dürfen einander lieben", für die eine gigantische Rettungs- und Erlösungsaktion im Rattenlabor angezettelt wird, im weiteren Verlauf noch ziemlich schiefgehen kann.

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Regisseur Hans Neuenfels setzt Masse gegen Individuum in seiner Interpretation von Wagners "Lohengrin". Der Chor, aus Käfigen entkommen, umschnuppert in Rattenkostümen die Solisten. Schon bald wird klar, dass nicht alles in Ordnung sein kann im Deutschen Reich; nur dreizehneinhalb Minuten nach Beginn versucht Ratte Nr. 79 den König (Georg Zeppenfeld) zu meucheln. Versuchspersonal im Klinik-Look führt sie rüde ab; Neuenfels misstraut Wagners vordergründiger Deutschtümelei.

Stattdessen richtet er den Fokus auf den unter genauer Beobachtung der Ratten-Massen stehenden Liebesversuch. Absolvieren sollen ihn die des Brudermords angeklagte Elsa von Brabant (Annette Dasch) und der anonyme Ritter (Tenorsensation Jonas Kaufmann), beide mit extrem klar artikulierender Stimme. Hinreißend Kaufmanns Auftrittsdank an den Schwan im allerfeinsten lyrischen Piano.

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Im zweiten Akt bekommt das Unheil Bilder und mit Ortrud (Evelyn Herlitzius) und Telramund (Hans-Joachim Ketelsen) hinreißende Durchschlagskraft, gegen die Kaufmann vom Volumen her kaum eine Chance hatte. Im Orchestergraben produziert Dirigent Andris Nelsons ebenfalls einen sehr transparenten, kühlen und nur manchmal utopisch verträumten Klang, der mehr einem schlanken Soundtrack statt der Illustration einer hochdramatischen Handlung gleicht.

Am Schluss gibt es ein donnerndes Buhgewitter und dagegen haltenden Beifall mit einigen Bravorufen. Der skandalgewohnte Neuenfels zuckt mit den Schultern und wirft Kusshändchen ins widerstreitende Publikum, darunter auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die dem Regisseur demonstrativ Beifall zollt. Auch die beiden Festspielleiterinnen Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier stellen sich auf offener Bühne an die Seite des Regisseurs. Merkel dankt auf dem anschließenden Empfang Neuenfels und seinem Bühnenbildner Reinhard von der Thannen für die Inszenierung und fügt hinzu: "Das war wunderbar, das hat uns gefallen, das haben Sie toll gemacht."

Und auch für Annette Dasch gibt es Grund zur Freude. Sie hat ihren kleinen Bühnenunfall bei der Generalprobe gut überstanden. Da war ihr von oben eine "Parsifal"-Requisite auf den Kopf gestürzt und hatte sie kurz ohnmächtig werden lassen. Regisseur Neuenfels kommentierte den guten Ausgang launig mit den Worten: "Das blieb ja in der Familie" - Parsifal ist, in der Mythologie Wagners, der Vater von Lohengrin.

Das große Schaulaufen der Berliner und sonstigen Prominenz und das Händeschütteln mit den Hügel-Chefinnen, der ausgesprochen locker wirkenden Katharina Wagner und der immer etwas scheu agierenden Eva Wagner-Pasquier, fand bei sonnigem Himmel, aber ausgesprochen angenehmen Temperaturen statt. Sie alle paradierten ein paar Meter am Volk von Bayreuth vorbei, das sich schon Stunden vorher seine Plätze an den Absperrgittern gesichert hatte.

An der Kasse hatten einige Wagner-Fans hoffnungsfroh sogar in Schlafsäcken campiert und auf den unwahrscheinlichen Fall gehofft, dass Karten zur Festspieleröffnung nicht abgeholt würden. Noch kurz vor der dritten Mahnung der Blechbläser standen etwa 20 Wartende dort, zum Teil mit liebevoll klappernden Versen auf handgeschriebenen Schildern: "Nun sei bedankt, mein lieber Schwan, wenn du mir eine Karte bringen kannst ..."

Es ist die erste Saison, die völlig ohne den Schatten Wolfgang Wagners auskommen muss - der Enkel des Komponisten hatte die Festspiele 57 Jahre lang geleitet, die Leitung 2008 in die Hände seiner beiden Töchter gelegt und war im März dieses Jahres gestorben.

Zum ersten Mal wurden auch die Namen der ersten beiden Aufklärer bekannt gegeben, die künftig Licht in die Nazi-Vergangenheit der Wagner-Familie und der Bayreuther Festspiele bringen sollen: Der Publizist Peter Siebenmorgen und der Stuttgarter Historiker Wolfram Pyta werden das in einem Projekt anpacken, das von der Festspielleitung weder finanziert noch kontrolliert wird - "damit wir ganz sicher unabhängige Ergebnisse bekommen", sagte Katharina Wagner.

Als oben im großen Haus die Lichter im Zuschauerraum verlöschten für das "Lohengrin"-Vorspiel, konnten die Mitwirkenden der ersten Premiere des Tages schon feiern: Kurz vor 14 Uhr gab es riesigen Beifall für die jugendgerecht zusammengestrichene und inszenierte Version des "Tannhäuser", die mit einer Kissenschlacht der Sänger im Internat beginnt und dann das spannende Liebesleben von Tannhäuser (Jeffrey Dowd) verfolgt, der sich als Künstler zur Punkgöre Venus (Alexandra Petersamer) hingezogen fühlt.