Hamburg. Der Hamburger Kältebus bringt hilfsbedürftige Menschen ins Winternotprogramm und leistet darüber hinaus weitere Hilfe. Eindrücke aus einer Nacht.
- Kältebus versorgt hilfsbedürftige Menschen auf Hamburgs Straßen, bringt sie ins Winternotprogramm
- Hilfe auf vier Rädern ist in den Wintermonaten, von November bis Ende März, unterwegs
- Hinweise auf Menschen in Not können unter 0151 65 68 33 68 gegeben werden
Es sind drei Grad Celsius. Dunkelheit liegt über der Stadt, der Hamburger Hafen glänzt in einem Meer aus Lichtern. Der Atem bildet kleine Nebelschleier in der Nachtluft. Während andere sich in warme Wohnungen zurückziehen, machen sich freiwillige Helfer des CaFée mit Herz auf den Weg dorthin, wo sie am dringendsten gebraucht werden.
Der Hamburger Kältebus, der seit knapp sechs Jahren durch die Stadt rollt, um obdachlosen Menschen zu helfen, ist auch an diesem Mittwoch (11. Dezember) in der Hansestadt unterwegs. Die Besatzung des Abends: Stan Silver und Tanja Ellerbrock. Der Musiker und die zahnmedizinische Fachangestellte haben heißen Tee, Schlafsäcke und warme Kleidung dabei – manchmal auch einfach nur ein offenes Ohr.
Kältebus Hamburg: CaFée mit Herz auf St. Pauli hilft obdachlosen Menschen
Zum Beispiel für Matze (Namen der Betroffenen von Redaktion geändert). Der Hamburger ist der erste hilfsbedürftige Mensch an diesem Abend, der vom Kältebus-Team in die „Friese“ gebracht werden soll – das Winternotprogramm an der Friesenstraße. „Das ist unsere Hauptaufgabe“, sagt Silver. Matze ist ein bekanntes Gesicht im CaFée mit Herz, dem „sozialen Hafen auf St. Pauli“.
Dort werden seit mehr als 20 Jahren täglich mehrere Hundert Gäste kostenlos mit Speisen, Getränken und Kleidung versorgt. Pro Jahr werden dort mehr als 100.000 Mahlzeiten ausgegeben. Ein festes Team und rund 40 ehrenamtliche Helfer bieten Sozialberatung, ärztliche und zahnärztliche Versorgung für die nicht krankenversicherten Gäste an.
Matze sitzt vor dem Café auf den Treppenstufen, sein Hab und Gut ist auf dem Boden verteilt: ein Rollkoffer, eine große, blaue Ikea-Tüte, ein Rucksack und eine Isomatte. Bis November bewohnte er ein rund sieben Quadratmeter großes Zimmer in Olli‘s Regenbogenhaus auf der Reeperbahn. Doch die Miete sei zu teuer gewesen, der Hamburger landete durch einen „unglücklichen Umstand“ auf der Straße.
In der ersten Nacht wurde ihm dort alles genommen. Er habe sich zum Schlafen in ein Gebüsch zurückgezogen, als er am nächsten Morgen wach wurde, waren zwei Koffer, Bargeld und seine Klamotten weg. „Alles, was nicht angewachsen ist, wird geklaut“, erzählt er.
Winternotprogramm Hamburg: Einige fühlen sich in Mehrbettzimmern unsicher
Erst seit Juni ist Matze wieder in Hamburg. Er lebte zuvor zwölf Jahre in der Türkei. „Dort ist das Wetter einfach besser.“ Der Hamburger Winter hingegen zeigt sich als gnadenloser Gegner. Kein Dach über dem Kopf zu haben, sei „brutal und unerklärlich“. Es komme nicht selten vor, dass sich nach einer kalten Nacht auf der Straße Eis auf seiner Isomatte bildet. Davor sucht Matze in dieser Nacht Schutz, wird vom Kältebus in die „Friese“ gefahren.
Das Winternotprogramm in Hammerbrook bietet Platz für 700 obdachlose Menschen – Männer, Frauen und Paare. An der Friesenstraße hat sich an diesem Abend bereits eine lange Schlange gebildet. Viele Männer sitzen oder stehen vor der Einrichtung, trinken Alkohol. Zwischen zwei Menschen aus der Gruppe eskaliert ein Streit, sie schlagen aufeinander ein und werden vom Sicherheitspersonal über mehrere Minuten getrennt. „Wenn du jetzt nicht ruhig bist, dann kommst du hier nicht rein“, sagt einer.
„Viele wollen das auch gar nicht“, sagt Ellerbrock, „viele beklauen sich in den Mehrbettzimmern gegenseitig, verprügeln sich.“ Die 54-Jährige will Menschen auf der Straße helfen. „Sie werden häufig zu schnell verurteilt. Jeder hat eine Geschichte, fast jeder kann in so eine Situation geraten“, sagt sie.
Kältebus ist jeden Abend in Hamburg unterwegs: Pool von rund 60 ehrenamtlichen Helfern
Um ihnen diese – zumindest für eine Nacht – ein wenig erträglicher zu gestalten, rücken Zweierteams aus einem Pool von rund 60 ehrenamtlichen Helfern jeden Abend von 19 bis 24 Uhr aus, manchmal auch länger. Sie fahren keine feste Route, sondern auf Abruf. „Es sind meistens Privatleute, denen etwas auffällt“, sagt Silver, „aber auch die Polizei meldet sich bei uns.“
Allein auf dem Weg zur Friesenstraße klingelt das Telefon des Kältebusses mehrmals. Ein Anrufer meldet einen wohnungslosen Mann auf einer Bank im Lohmühlenpark in St. Georg – ohne Schlafsack, nur mit einer leichten Jacke bekleidet. Beim Eintreffen des roten, großen VW Crafters ist der Mann schon wieder in die Nacht verschwunden.
Ein anderer Anrufer möchte Wintermäntel abgeben und bittet den Kältebus, nach Rahlstedt zu kommen. Grundsätzlich lebt das System von Spenden. Man brauche „alles, was warm macht“, so Silver, der seit rund vier Jahren mit dem Kältebus unterwegs ist. Doch um Spenden kümmert sich der Verein.
Manchmal gehen auch Anrufe mit Bestellungen und genauen Mengenangaben ein. „Wer vier Schlafsäcke und drei Paar Schuhe bestellt, der macht das nicht zum ersten Mal“, so Silver. Das ehrenamtliche System werde so auch ausgenutzt – Schlafsäcke würden zum Teil sogar weiterverkauft.
Auch die Hamburger Polizei bittet den Kältebus um Unterstützung
Es bleibt kaum Zeit für Gespräche: Das Kältebus-Telefon klingelt erneut. Diesmal ruft eine Polizeibeamtin vom Zentralen Omnibus Bahnhof (ZOB) an. Einer Stelle, die gerade auch wegen des nahegelegenen Drob Inns viele obdachlose Menschen anzieht.
So auch Detlef. Der Mann ist stark alkoholisiert, seinen Rucksack hat er verloren, ihm ist kalt. Den Weg vom Polizei- in den Kältebus schafft er nur mit Unterstützung von Ellerbrock. Im Bus schläft er sofort ein, sackt nach vorne, murmelt immer wieder vor sich hin: „Wo ist mein Rucksack? Die haben schon wieder alles geklaut, warum klauen die mir immer alles?“
Er wird nicht in die „Friese“ gefahren, hat ein Zimmer im Pik As an der Eiffestraße in Hamburg-Hamm, einer Übernachtungsstätte für obdachlose Männer von Fördern & Wohnen. Mit einem Metalldetektor wird er vom Sicherheitspersonal nach gefährlichen Gegenständen und Waffen durchsucht. Die größte Herausforderung an diesem Abend: Detlef muss die Treppen in seinem Zustand alleine bezwingen. Im Notfall werde ein Rettungswagen gerufen, sagt ein Mitarbeiter im Pik As.
Obdachlosigkeit in Hamburg: Drogenabhängige fragen vor allem nach einer Sache
Kommt mal kein Anruf rein, dann steuert der Kältebus typische Stellen an: Bahnhofsmission, Lange Reihe, Jungfernstieg, Reeperbahn sowie Mönckeberg- und Spitalerstraße. „Die Eingänge von Geschäften werden gerne als Schlafplatz benutzt“, sagt Silver. Dort sind Menschen eher vor Kälte, Regen und Schnee geschützt.
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Das Team achtet vor allem darauf, ob jemand ohne Schlafsack und warme Kleidung auf der Straße ist. Wer „eingemummelt zu Ruhe und Schlaf findet“, werde nicht extra geweckt, so Silver. Einige Männer kommen auch aktiv zum Bus, fragen nach einem heißen Getränk, Süßigkeiten, Schlafsäcken und Isomatten. Die Ausgabe wird von Ellerbrock nach jedem Stopp dokumentiert. Die meisten verlangen neben warmer Kleidung vor allem auch nach Zucker. Das sei ein typisches Verhalten von Drogenabhängigen, erklärt die gebürtige Buchholzerin.
Eine Decke, ein Paar Handschuhe oder einfach ein Gespräch – oft reicht schon ein kleiner Moment der Wärme, um ein wenig Hoffnung in die Nacht zu bringen. Einige erzählen ihre eigenen Geschichten. Manche sind neu auf der Straße, andere schon seit Jahren hier.
Winternotprogramm Friesenstraße: „Vor dem Café war‘s besser“
„Ich wollte etwas beitragen, mich für etwas engagieren, was Sinn und Zweck hat“, erzählt Silver, der vor allem Mittwochabend im Dienst ist. Am Wochenende ist der Sänger und Gitarrist meist mit seiner eigenen Band „Stan Silver and the Brave Puppies“ auf Tour.
Wie einzelne Schicksale nach der Übergabe ans Winternotprogramm weitergehen, erfahren die Helfer vom Kältebus nicht zwangsläufig. In dieser Nacht aber schon. Fast am Ende der Schicht trifft das Team in der „Friese“ wieder auf ein bekanntes Gesicht.
Matze ist auf den ersten Blick kaum wiederzuerkennen. Er hat offenbar geduscht, trägt einen anderen Mantel, lächelt. Auf der Straße raucht er eine Zigarette, stützt sich auf eine Krücke: „Vor dem Café war‘s besser“, sagt er dennoch.
Am Morgen nach der Übernachtung in der Unterkunft zeigt sich wohl zumindest ein kleiner Lichtblick: Matzes Isomatte ist nicht von einer Eisschicht überzogen. Doch wie lange dieser Moment der Erleichterung anhalten wird, bleibt ungewiss. Schon jetzt drängt sich die Frage auf, wo er eine passende Schlafmöglichkeit für die nächste frostige Nacht in Hamburg findet.
Kältebus Hamburg, CaFée mit Herz, von November bis Ende März von 19 bis 24 Uhr unterwegs, Hilfe und Hinweise unter 0151 65 68 33 68