Harburg. Trauriger Rekord bei Zahl gestorbener Wohnungsloser. Bewegende Gedenkfeier in Harburg, Andrang bei Kunst-Spenden-Aktion.
Die Zahl der in einem Jahr im Hamburger Süden verstorbenen Obdachlosen war im vergangenen Jahr so hoch, wie noch nie, seit man zählt, stellten die mit Wohnungslosigkeit befassten Sozialarbeiter der Region erschrocken fest. Sie richteten eine Gedenkfeier für die Toten aus. Etwa 80 Harburgerinnen und Harburger nahmen teil und gaben den Verstorbenen so etwas von der Würde zurück, die ihnen in der Vergangenheit oft verweigert wurde. Gleichzeitig wollen viele Menschen in Harburg Obdachlosen helfen; sei es durch Sachspenden oder durch ehrenamtliche Arbeit.
Auf Harburgs Straßen starben in diesem Jahr 20 Obdachlose
„Zwischen November 2023 und November 2024 sind im Hamburger Süden 20 Obdachlose verstorben“, sagt Richard Luther von der „Sozialen Beratungsstelle Harburg/Wilhelmsburg“ der Hamburger Diakonie. „So viele Todesfälle in einem Jahr hatten wir noch nie zu beklagen.“
Für jeden der Verstorbenen wurde in der katholischen Kirche St. Maria am Donnerstag eine Kerze entzündet und ihre Namen verlesen. Die Teilnehmer der Andacht beteten für die 20, derer gedacht wurde. Straßensozialarbeiter Luther und seine Kolleginnen und Kollegen aus anderen mit Obdachlosigkeit befassten Institutionen, wie etwa der Drogenhilfe „Abrigado“, kannten all diese Menschen, die sonst niemand kennen will. Das Nennen ihrer Namen war ihnen deshalb wichtig.
Wie viele Obdachlose es im Hamburger Süden gibt, lässt sich schwer beziffern. Fragt man beim Bezirksamt, wird dort meist eine niedrige zweistellige Zahl genannt. Fragt man bei den Hilfsorganisationen, liegen die Zahlen oft deutlich über 100. Sie schwanken auch saisonal. Im Winter sind es in Harburg weniger als im Sommer, weil die Schlafplätze des Hamburger Winternotprogramms allesamt nördlich der Elbe liegen.
Doch gibt es auch immer mehr Obdachlose, die in Hamburg keinen Anspruch auf staatliche Hilfe – und dazu zählt auch ein Notprogramm-Schlafplatz – haben. Solche mit ausländischen Wurzeln ohne Aufenthaltserlaubnis; oder EU-Ausländer, die in ihrem Herkunftsland noch eine Meldeadresse haben. Sie bleiben im Winter auf der Straße.
Kunsttausch für Obdachlose: Schlafsäcke und Hygienepakete dringend benötigt
Auch wenn die Zahl der Obdachlosen nur geschätzt werden kann, gibt es doch einen Indikator: Wieviel Hilfe in Anspruch genommen wird. Seit acht Jahren verteilt der Künstler Sladan Kristicevic, genannt „Sly“, in den Tagen vor Weihnachten gespendete Schlafsäcke und Hygienepakete an Obdachlose in Harburg. „Im vergangenen Jahr habe ich in einer Nacht 150 Schlafsäcke abgegeben“, sagt er.
„Mir geht es gut, und ich finde, dann sollte ich der Welt auch etwas zurückgeben. Deshalb arbeite ich heute für Menschen, die es nicht gut haben.“
Er sammelt die Schlafsäcke im Rahmen der Aktion „Kunsttausch für Obdachlose“ in seinem Projekt „Habibi-Atelier“. Er und andere Künstler spenden dabei Bilder und stellen sie im Atelier in den Harburg-Arcaden aus. Wer einen Schlafsack – neu und wintertauglich – oder mehrere; oder aber ein oder mehrere Hygienepaket(e) spendet, darf sich dafür ein Bild aus der Ausstellung aussuchen und nach dem Ende der Ausstellung abholen.
Die Hilfsbereitschaft der Harburgerinnen und Harburger ist groß: Schon am zweiten Tag der Ausstellung hatten Sly und seine Mitstreiter über 30 Schlafsäcke bekommen. Neu in diesem Jahr ist, dass man den Schlafsack nicht einmal selbst mitbringen muss. Wer keinen zum Spenden hat, kann ihn hier direkt erwerben und zum Schlafsackberg hinzulegen. Möglich ist das noch bis zum 20. Dezember. Danach können die Bilder abgeholt werden. „Bescherung“ für die Schlafsack-Empfänger ist am 22. Dezember.
Neu in diesem Jahr war auch etwas anderes: Am Sonnabend tätowierten drei Harburger Tattoo-Künstler im Habibi-Atelier „pro bono“. Die Schlafsackspende konnte an diesem Tag nicht nur gegen ein Bild für die Wand eingetauscht werden, sondern alternativ auch gegen eines auf der Haut.
Bernd Muss hat bei Sly schon bei einer anderen Gelegenheit Bilder für einen guten Zweck ausgestellt. So kam ihm die Idee, zusammen mit Kollegen einen Tag lang nicht nur ihr künstlerisches, sondern auch ihr handwerkliches Geschick zur Verfügung zu stellen. Der Andrang war groß: Zahlreiche Harburgerinnen und Harburger saßen im Atelier Schlange, um dranzukommen
Helfer in Harburg
- Suppe für Bedürftige: Harburger Initiative braucht Unterstützer
- Harburg-Huus: In ihrer Hand liegt das Schicksal der Harburger Obdachlosen
- In Wilhelmsburg kommt die Nächstenliebe aus dem Suppentopf
Janine war gekommen, um sich ein besonderes Motiv stechen zu lassen: „Mein Vater ist in diesem Jahr verstorben. Der Phoenix-Drache, als Symbol für Ende und Neubeginn, soll mich an ihn erinnern. Das hilft mir, abzuschließen“, sagt sie. „Gleichzeitig helfe ich Menschen, die es nötig haben. Das ist eine Win-win-win-Situation.“
Auch Bernd Muss erklärt, warum er und seine Kollegen einen Tag kostenlos arbeiten: „Ich habe es gut, und ich finde, dann sollte ich der Welt auch etwas zurückgeben. Deshalb arbeite ich heute für Menschen, die es nicht gut haben“, sagt der vielseitige Künstler, der unter anderem auch Streetart, Skulpturen und Schmuck kreiert.
Gelegenheit zu helfen, gibt es. Auch ohne, dass man Geld in die Hand nehmen muss
Auch wenn man kein Künstler ist oder aus anderen Gründen selbst auf sein Geld achten muss: Gelegenheit zu helfen, gibt es vielfältig, auch ohne, dass man Geld in die Hand nehmen muss. So suchen die Suppenküchen stets neue Freiwillige, sei es die in St. Maria oder sei es die „Südsuppe“ sonnabends in St. Johannis. Auch die Obdachlosen-Tagesstätte „Harburg-Huus“ des Roten Kreuzes freut sich immer über ehrenamtliche Helfer.
Und auch hier wächst die Hilfsbereitschaft wieder: „Bei der letzten Dienstbesprechung für die Suppenküche war es so voll, dass einige stehen mussten“, freute sich Gemeindediakon in Rente Peter Meinke nach der Andacht in Sankt Maria. „Das ist doch ein schönes Zeichen!“