Hamburg. Dominik Bloh verbrachte zehn Jahre auf Hamburgs Straßen. Jetzt erscheint sein zweites Buch. Warum er immer Jogginghose trägt.
Dominik Bloh wirkt wie ein Wanderer zwischen den Welten. Unruhig sitzt er beim Treffen mit dem Abendblatt in einem Straßencafé auf St. Pauli vor seinem grünen Tee. Ganz in der Nähe seines früheren „Zuhauses“, dem Park Fiction. Denn hier, auf dem Areal mit Blick über den Hafen, mit seinen ikonischen Palmen-Skulpturen, hat er über Jahre seine Zeit verbracht – als Obdachloser.
Doch dann die Wende, der große Durchbruch: Er schrieb ein Buch über diese Zeit. „Unter Palmen aus Stahl“ wird ein „Spiegel“-Bestseller, in Schulen dient die Lebensgeschichte des ehemals Wohnungslosen inzwischen als Unterrichtsmaterial.
Hamburger Obdachloser wird Bestseller-Autor – und schildert Überlebenskampf
Doch noch heute, sieben Jahre nach dem großen Erfolg, ist Bloh nicht wirklich angekommen in seinem neuen Leben. Und auch darüber hat der Mann mit dem dunklen Bart jetzt geschrieben. „Die Straße im Kopf“, heißt sein zweites Werk, das in diesen Tagen erscheint.
Zwischen Bloh und seinem alten Dasein liegen mittlerweile Welten, zumindest äußerlich. Heute lebt der 36-Jährige in Blankenese. Früher war die Straße sein Zuhause – und das mehr als zehn Jahre lang. Bis ihm die Stiftung Dekeyser & Friends, von Ex-Fußballprofi und Unternehmer Robert „Bobby“ Dekeyser, eine Wohnung besorgt hat. Die Helfer der Initiative waren auf ihn aufmerksam geworden, als er sich 2015 in den Messehallen für Flüchtlinge engagierte.
Dominik Bloh: Früher obdachlos, heute gefragter Gesprächspartner im TV
Jetzt ist Dominik Bloh ein bekannter Autor, reist zu Lesungen durch ganz Deutschland, tritt in Talkshows auf und ist ein gefeierter, gefragter Gesprächspartner für Politik und Prominenz. Aber glücklich, in sich ruhend, scheint der Sozialunternehmer und Träger des Bundesverdienstkreuzes nicht. Symbol für diese Zerrissenheit ist seine Jogginghose. „Die trage ich überall“, sagt Bloh, auch im Fernsehen oder bei Empfängen. Sie ist die Verbindung zu seiner damaligen Existenz. Als er keine Klamotten zum Umziehen hatte und Dinge, die für andere eine Selbstverständlichkeit sind, eine Herausforderung waren.
„In meinem Kopf geht es immer noch um die täglichen Grundbedürfnisse“, schildert er in seinem Buch. „Ich brauche Dusche und Toilette, einen Schlafplatz und etwas zu essen und zu trinken. Das war’s. Mehr beschäftigt mich meistens nicht. Erst, wenn der letzte Euro ausgegeben ist und die bevorstehende Aussicht auf das Herumlaufen mit leeren Taschen und einem leeren Magen den altbekannten Stress zurückbringt und die Panik in mir aufsteigt, überlege ich, wie es weitergeht.“
Alltag auf der Straße: „Essen, Schlaf, sich waschen“
Sein Alltag auf der Straße: „Essen, Schlaf, sich waschen“, zählt Bloh auf. „Man ist die meiste Zeit damit beschäftigt, diese Sachen zu regeln, und so kommt man gar nicht dazu, etwas zu tun, um aus der prekären Lage herauszukommen.“
Der tiefe Fall könne hingegen sehr schnell passieren: Viele von Blohs Freunde hätten ihr Zuhause und den Halt durch einen Schicksalsschlag verloren, durch eine Scheidung, den Tod eines nahen Menschen, durch psychische Probleme. Bloh erinnert sich in „Die Straße im Kopf“ an seine Kindheit. „Ein paar Jahre zuvor noch, hatte ich nur Einsen von der Schule mit nach Hause gebracht. Alles, was ich damals wollte, war, meine Mama stolz zu machen“, schildert er seine Zeit als kleiner Junge. Doch dann, mit 16, wirft ihn die psychisch kranke Mutter aus der Wohnung. Sie war überfordert, konnte die Verantwortung nicht tragen. Auch der gewalttätige Stiefvater war ihm keine Hilfe, Halt und Liebe boten nur die Großeltern. Mit dem Tod der Großmutter brach auch diese Säule weg.
Leben auf der Straße in Hamburg: Schreiben war eine Art Selbsttherapie
Während seines Überlebenskampfes auf der Straße tat Bloh das, was er noch heute macht: schreiben. „Auf der Straße geht alles verloren. Also schrieb ich oft auf irgendwelchen Unterlagen, um meine Gedanken herauszulassen, auf Schachteln, Kartons, Zeitungspapieren, Bierdeckeln. Ich schrieb auf den Treppenstufen unter der Straßenlaterne, die lange Zeit zu meiner Nachttischlampe wurde“. Es war eine Art Selbsttherapie, sagt er über den Drang, seine Gedanken zu Papier zu bringen.
Denn von außen, etwa vom Staat, beklagt er, seien nur wenige Angebote wirklich auf der Straße angekommen, und nennt ein Beispiel: „Als ich gerade eine Wohnung hatte, flog ich wieder raus.“ Zwei Monate vor seinem 18. Geburtstag konnte er eine Bleibe beziehen, habe sie aber wegen der Volljährigkeit kurz danach wieder verlassen müssen. „Auch die Lehrer fühlten sich nicht zuständig.“
Dominik Bloh hat als Obdachloser das Abitur geschafft
Trotz aller Hindernisse machte Bloh damals sein Abitur. In Lesungen wollen viele Leute wissen, wie er damals die Prüfung geschafft hat, „aber nicht, wie ich auf der Straße überleben konnte“, sagt Bloh kopfschüttelnd. In seinem neuen Buch geht es um genau diese Themen, um das Denken und den Anspruch in einer Leistungsgesellschaft – und um das Wegschauen.
Seinen jetzigen Wohnort, eine Wohnung in Blankenese, hat er durch Freunde bekommen. Zuvor hatte er in Eimsbüttel nur zur Untermiete gewohnt. Nach wie vor fremdelt er mit dem Begriff Zuhause. Früher war seine Kapuze sein Rückzugsort, ist es heute Blankenese? „Das ist dort, wo mein Sohn ist.“ Der Kleine lebt bei der Mutter, bietet dem Vater aber die bedingungslose Liebe, die er selbst nur selten bekam.
„Du kriegst mich von der Straße, aber die Straße nicht aus mir“
Bloh fällt es weiterhin schwer, Selbstverständlichkeiten eines Lebens in Deutschland anzunehmen. „Ein Kühlschrank, eine Tür zum Abschließen, das kannte ich alles nicht“, beschreibt er eine Welt, in der er lange Anlaufschwierigkeiten hatte. „Du kriegst mich von der Straße, aber die Straße nicht aus mir“, zitiert er anschließend eine Hip-Hop-Zeile.
Ein Bekannter kommt beim Interview mit dem Abendblatt kurz an den Tisch, fragt nach einer Zigarette und stutzt: „Ah, dein Buch“, sagt er mit osteuropäischem Akzent. „Das will ich lesen, damit kann ich lernen“, ergänzt der Mann und deutet auf das Cover, auf dem Bloh groß abgebildet ist. Nachdem der Mann gegangen ist, erscheint ein Leuchten in Blohs Gesicht. „Da ist kein Neid, keine Missgunst, wenn man Leute von früher trifft“, sagt er über den gebürtigen Polen, den er aus seinem Leben auf der Straße kennt. Und es mache ihn stolz, wenn sein Kumpel nun mit seinem Buch Deutsch lernen wolle. „Ich hätte gedacht, dass mir die Leute, die immer noch überleben müssen, übelnehmen, dass ich es heraus geschafft habe.“
„Die Straße im Kopf“: Dominik Bloh engagiert sich für Menschen ohne Wohnung
Doch Bloh engagiert sich für seine alten Weggefährten. Mit der von ihm mitgegründeten Initiative GoBanyo schafft er gerade einen weiteren Duschbus an, für Berlin. Ein Erfolg, könnte man meinen. „Nein, es ist schlimm, dass wir das machen müssen, dass das nötig ist“, bricht es aus Bloh heraus. In der Hauptstadt, aber auch in Hamburg sei es doch offensichtlich, dass der Staat das Thema Obdachlosigkeit nicht wirklich angehe.
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Olaf Scholz habe sich in Hamburg mit dem Elbtower ein Denkmal setzen wollen. „Mit einem Luxus-Projekt“, schimpft Bloh. Gleichzeitig stünden Tausende Häuser leer, als Spekulationsobjekte. „Und nebenan liegen die Menschen in Notdecken auf der Straße.“ Das Wohnungsproblem, kritisiert er, „betrifft uns alle“.
Für eine Wende, sagt Bloh, wolle er sich notfalls selbst einsetzen. Die Dinge so ändern, dass Hilfe auch ankommt. „Wir brauchen bezahlbaren Wohnraum für alle“, fordert der Hamburger, der plant, sich politisch zu engagieren und für die Bürgerschaft zu kandidieren: „Als Sozialsenator würde ich das angehen.“