Hamburg. Knackpunkt sind fehlende Fachkräfte. Wie prekär die Situation ist, was die Träger plagt und wie die Sozialbehörde entgegenwirken will.
- Allein in diesem Jahr sind 681 Pflegeplätze Heimschließungen zum Opfer gefallen.
- Die größte Schwierigkeit für die Träger ist, ausreichend Fachkräfte zu finden.
- In Zukunft dürfte sich das Problem nur zuspitzen: Der demografische Wandel sorgt dafür, dass es immer mehr Pflegebedürftige und immer weniger Fachkräfte gibt – zumindest ohne Zuwanderung.
Das Seniorenheim Scheffler in Hamburg-Wilhelmsburg (21 Plätze) muss schließen. Das Seniorenhaus Matthäus in Winterhude (122 Plätze) macht auch dicht. Das Heinrich-Sengelmann-Haus in St. Georg (95 Plätze) ereilt dasselbe Schicksal. Und das Elim Seniorencentrum Eppendorf sieht sich gezwungen, seine Kapazitäten herunterzuschrauben, von 62 auf 27 Plätze.
Obwohl die Zahl der Pflegebedürftigen in der Hamburg beständig steigt, geraten stationäre Pflegeheime zunehmend in Bedrängnis. Fehlendes Personal führt dazu, dass die Heime weniger Plätze anbieten können, als sie wollen und nötig wären. Im schlimmsten Fall müssen die Einrichtungen dann aus wirtschaftlichen Gründen ganz aufgeben – so wie allein in diesem Jahr sechs Pflegeheime in Hamburg.
Pflege-Notstand in Hamburg: So dramatisch ist die Lage wirklich
95.000 Menschen in der Stadt werden im Jahr 2025 pflegebedürftig sein, schätzt die Sozialbehörde anhand der Datenlage aus der letzten Pflegestatistik von 2021. Eine neue, aktuelle Pflegestatistik wird heiß erwartet und soll noch in diesem Jahr erscheinen. Pflegeplätze in vollstationären Heimen gibt es rein rechnerisch nur für die wenigsten der Menschen, die Bedarf danach hätten. 137 Einrichtungen mit rund 15.773 Plätzen gibt es in Hamburg – Tendenz abnehmend. Allein seit Jahresbeginn sind 681 Plätze durch Schließungen weggefallen, so die Sozialbehörde.
Dabei mangelt es keineswegs an Raum und Betten – und an Pflegebedürftigen schon gar nicht. Stattdessen ächzen die Einrichtungen unter massivem Fachkräftemangel und können deshalb weniger Kapazitäten anbieten, als theoretisch vorhanden wären. Das betrifft längst nicht nur kleine Träger, sondern auch große Player auf dem Hamburger Pflegemarkt wie die Diakonie: Das Heinrich-Sengelmann-Haus in St. Georg und das Seniorenhaus Matthäus in Winterhude schließen Anfang 2025, wie die Diakoniestiftung Alt-Hamburg mitteilte.
Diakonie Hamburg kann zehn Prozent der Heimplätze nicht belegen
Laut Sprecher Malte Habscheidt betreibt die Diakonie aktuell 43 Pflegeheime in Hamburg mit insgesamt rund 5000 Plätzen. 300 davon fallen im kommenden Jahr weg, zuzüglich weiterer Reduktionen wegen Personalmangels. Schon jetzt sind nicht alle Plätze in den Diakonie-Pflegeheimen auch tatsächlich verfügbar: „Grob geschätzt können zehn Prozent der Plätze nicht belegt werden“, sagt Habscheidt.
Das klingt wie ein schlechter Scherz, denn eigentlich übersteigt die Nachfrage deutlich die Kapazitäten. „Es gibt täglich mehrfache Anrufe in allen Einrichtungen von zunehmend verzweifelten Angehörigen“, berichtet der Sprecher. „Die Sozialdienste der Krankenhäuser suchen mittlerweile bei Entlassung auch weit außerhalb Hamburgs nach Pflegeplätzen.“ Wer jetzt einen Heimplatz benötige, müsse bei der Diakonie unter Umständen mit sechs bis zwölf Monaten Wartezeit rechnen.
Pflege Hamburg: Fachkraftquote führt bei Trägern zu Teufelskreis
Knackpunkt für die heikle Lage ist der Mangel an Pflegepersonal. „Besonders problematisch ist die Vorschrift, dass 50 Prozent des vorzuhaltenden Personals Pflegefachkräfte sein müssen. Und insbesondere Personal mit dieser Qualifikation ist kaum noch zu finden“, berichtet Habscheidt.
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Diese unliebsame Regel nennt sich Fachkraftquote und zieht teils enorme Konsequenzen nach sich. Fällt beispielsweise eine Fachkraft weg, müssen Hilfskräfte entlassen werden, damit die Quote weiterhin erfüllt wird. Auch deshalb schrumpft die Zahl der Heimplätze, was nicht nur problematisch an sich ist, sondern die Versorgung für die Träger zudem unwirtschaftlicher macht. Ein Teufelskreis.
Senat macht Fachkraftquote flexibler – ein Tropfen auf den heißen Stein?
Am 1. November hatte der Senat die Fachkraftquote aufgeweicht, um den Trägern entgegenzukommen. Diese Flexibilisierung bedeutet konkret: Für Einrichtungen, die im vergangenen Jahr eine gute Betreuungsqualität erreicht haben, kann die Fachkraftquote auf 40 Prozent gesenkt werden. Zuvor galt, dass 50 Prozent des Personals in Betreuung und Pflege dreijährig ausgebildete Fachkräfte sein müssen, unabhängig von der tatsächlichen erreichten Pflegequalität in den Einrichtungen.
Die Neuregelung betrifft vorerst jenes Drittel der stationären Heime in Hamburg, das die Vorgaben schon erreicht. Kontrollen durch die Wohn-Pflege-Aufsicht und den Medizinischen Dienst sowie Auskünfte der Pflegekassen sind Grundlage für die Einschätzungen.
In den Augen der Diakonie ist die Flexibilisierung der Fachkraftquote besser gemeint als gemacht. Sie helfe den Trägern kaum, weshalb sich immer mehr entscheiden würden, ihre Pflegeheime zu schließen oder sie umzuwidmen. Beim sogenannten Wohnen mit Service muss nämlich kein Pflegepersonal vorgehalten werden und in ambulanten Wohngemeinschaften gibt es keine Quote zu erfüllen, erklärt Habscheidt.
Sozialbehörde Hamburg arbeitet an Fachkräftestrategie Gesundheit und Pflege
Wie die Sozialbehörde berichtet, werde derzeit an einer Fachkräftestrategie Gesundheit und Pflege gearbeitet. Sie soll im ersten Quartal 2025 vorgestellt werden. „Einzelne Bausteine hieraus ziehen wir vor“, teilt Behördensprecher Wolfgang Arnhold mit. „So stärken wir bereits jetzt die akademische Ausbildung.“ Ein neuer berufsbegleitender Bachelorstudiengang ermöglicht es dann, Ausbildung und Studium zu kombinieren.
Flankiert werde die Strategie mit Maßnahmen des Bundes, etwa dem Pflegeassistenzgesetz, das künftig eine einheitliche, angemessen vergütete Ausbildung ermöglichen und die 27 verschiedenen, landesrechtlich geregelten Pflegehilfe- und Pflegeassistenzausbildungen ablösen soll.
Blöd nur: Das neue Pflegeassistenzgesetz tritt nicht vor 2027 in Kraft. Bis dahin dürften dem Fachkräftemangel noch einige Heime, auch in Hamburg, zum Opfer fallen und klaffende Lücken in der Versorgung von Pflegebedürftigen hinterlassen.
Sozialverband Hamburg spricht von „Pflege-Notstand“
„Pflege-Notstand“ – so drastisch bezeichnet der Vorsitzende des Sozialverbands Hamburg, Klaus Wicher, die Situation in der Stadt. „Es fehlt an ausreichend Fachkräften, Pflegeplätze sind knapp, und die bestehenden Einrichtungen stehen unter enormem wirtschaftlichen Druck.“
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Das bringe insbesondere kleinere Träger und gemeinnützige Einrichtungen ins Straucheln. „Die steigenden Kosten für Energie, Mieten und Personal stehen oft in keinem Verhältnis zu den staatlich gedeckelten Pflegesätzen“, sagt Wicher. Und der Fachkräftemangel werde verschärft durch die hohen Lebenshaltungskosten in Hamburg sowie den angespannten Wohnungsmarkt.
Die Gegenmaßnahmen, die der Sozialverband für notwendig hält: eine wirkungsvolle Fachkräfte- und Ausbildungsoffensive sowie Programme zur besseren Integration internationaler Pflegekräfte. Des Weiteren plädiert Wicher für einen Pflegefonds und eine städtische Förderung zu Investitionskosten in Heimen, die es in Hamburg schon einmal bis 2010 gab. „Außerdem sollte sich der Hamburger Senat vermehrt als Betreiber von Pflegeeinrichtungen engagieren“, sagt der Sozialverband-Vorsitzende. Den Rückkauf des ehemals städtischen Heimbetreibers Pflegen & Wohnen, der 2007 privatisiert wurde, fordert Wicher ausdrücklich.
Pflege Hamburg: 102.000 Pflegebedürftige bis 2035
In Zukunft dürfte sich der Pflegenotstand in Hamburg nur verstärken. Sowohl eine weitere Verschärfung im Fachkräftemangel als auch eine steigende Zahl an Pflegebedürftigen sind demografisch zu begründen. Bis 2035 könnte es laut Statistischem Bundesamt rund 102.000 Pflegebedürftige in Hamburg geben.
Angesichts solcher Zahlen erscheinen die 134 neuen Plätze, die bald in der vollstationären Einrichtung SenVital Senioren- und Pflegezentrum in Bergedorf neu entstehen, geradezu wie ein Tropfen auf den heißen Stein.