Hamburg. Viel Nachfrage, zu wenig Personal, hohe Vorgaben: Zum dritten Mal in diesem Jahr schließt ein Hamburger Pflegeheim. Was der Träger sagt.

Ein weiteres Hamburger Pflegeheim muss schließen. Diesmal trifft es das Amarita in Hohenfelde, wie die Einrichtungsleitung gegenüber dem Hamburger Abendblatt bestätigt hat. Das Pflegeheim beherbergt derzeit noch rund 100 Bewohnerinnen und Bewohner. Für die heißt es nun: bis Ende November umziehen.

Ein längerer Erhalt der Pflegeeinrichtung sei wirtschaftlich nicht möglich gewesen, so Volker Feldkamp, Geschäftsführer der Emvia Living Gruppe, zu der auch Amarita gehört. „So schwer es für die Bewohner und das engagierte Team ist: Die Einrichtung kann ohne eine ausreichende Auslastung finanziell nicht getragen werden.“

Zu wenige Fachkräfte und zu hohe Quoten: Deshalb muss Pflegeheim Amarita schließen

Die Nachfrage nach Pflegeplätzen ist unverändert hoch. Trotzdem schließt Amarita wegen fehlender Auslastung. Hintergrund ist die Fachkraftquote in der Pflege. Diese besagt, dass in Pflegeeinrichtungen mindestens 50 Prozent Fachkräfte arbeiten müssen. Wird diese Quote unterschritten, müssen Hilfskräfte entlassen werden, um die Quote wiederherzustellen. Damit fallen automatisch auch Pflegeplätze weg. So schrumpfen die Einrichtungen, obwohl es weder an Betten noch an Bewohnern mangelt.

Vor diesem Problem steht nicht nur Amarita. „Der Mangel an Pflegekräften ist ein wesentlicher Grund für die chronische Unterbelegung“, wie Feldkamp erklärt. Tatsächlich ist die private Emvia-Einrichtung bereits das dritte Pflegeheim, das in Hamburg in diesem Jahr schließt. Zuvor hatte es aus dem selben Grund zwei Einrichtungen der Diakonie getroffen.

Sozialverbände und Pflegeheim-Betreiber fordern Senkung der Fachkraftquote

„Wir machen seit Jahren auf die Probleme in der Altenpflege aufmerksam und setzen uns für Verbesserungen ein“, so Stefan Rehm, Vorstand der Diakonie Hamburg. Zuletzt im April und Mai hatten diverse Sozialverbände, darunter Diakonie, AWO, Caritas, Parität, DRK und die Jüdische Gemeinde Hamburg gefordert, die Fachkraftquote zu senken, um den Pflegeeinrichtungen die Chance zu geben, sich mit mehr Hilfskräften über Wasser zu halten. 

Just am heutigen Dienstag hat der Hamburger Senat über die Senkung der Quote beraten – und eine Neuregelung entschieden. Ursprünglich sorgte das für eine „gewisse Hoffnung“ bei den Trägern, so Rehm. Zwar kämen die Neuregelungen für einige Einrichtungen bereits zu spät, doch immerhin hoffte man auf praxisnähere Anpassung, hieß es noch im Juli in einer Pressemitteilung.

Nun aber ist klar: Große Sprünge sind nach der heutigen Senatssitzung nicht zu erwarten. „Sehr enttäuschend“ seien die Aussichten, so Katrin Kell, Leitung Pflege und Senioren des Diakonischen Werks Hamburg. Die Bedingungen für die Neuregelung der Fachkraftquote in Hamburg seien „so praxisfern und bürokratisch, dass nur wenige Einrichtungen davon profitieren werden“.

Bürokratische Hürden statt echter Erleichterung – das erwarten Träger vom heutigen Senatsentscheid

Kell erläutert: Wenn Einrichtungen bei einer Prüfung durch die Wohnpflegeaufsicht keine wesentlichen Mängel aufwiesen, dürften sie ihre Fachkräftequote auf 40 Prozent senken, sofern gleichzeitig 20 Prozent ausgebildete Assistenzkräfte zur Verfügung stünden. Erstens, kritisiert Kell, fehlten die ausgebildeten Assistenzkräfte auf dem Arbeitsmarkt genauso wie die Pflegefachkräfte. Zweitens berge diese Regelung ein immenses Risiko, sodass sich kaum Einrichtungen darauf einlassen dürften.

Denn auch wenn eine Einrichtung ihre Fachkraftquote ordnungsgemäß auf 40 Prozent gesenkt habe, „wenn bei der nächsten Überprüfung durch die Wohnpflegeaufsicht aus welchen Gründen auch immer irgendein Mangel entdeckt wird, muss die Fachkraftquote sofort wieder auf 50 Prozent angehoben werden. Das geht aber nicht so schnell.“ Zu wenige Fachkräfte und ein Mangel würden dann dazu führen, dass die Wohnpflegeaufsicht einen sofortigen Belegungsstopp verhängen müsste – was für die Pflegeheime mit gravierenden, finanziellen Einbußen verbunden wäre. Kell sagt, sie habe mit vielen Trägern gesprochen, und kaum einer könne sich bislang entschließen, sich auf die Neuregelung einzulassen – so sie überhaupt durch den Senat kommt.

Das sieht der private Betreiber Emvia ähnlich. Abgesehen davon, dass die Neuregelung für sein Amarita-Pflegeheim ohnehin zu spät kommt, fordert der Betreiber von Hamburgs Regierung „eine flexible Anwendung der Pflegefachkraftquote nach den Pflegegraden der Bewohner/innen wie in anderen Bundesländern“ – keine neuen Pauschalvorgaben.

So geht es für Amaritas Bewohner weiter

Die Situation auf dem Pflegemarkt ist nach wie vor höchst angespannt und verschlimmert sich durch die Schließung von Einrichtungen weiter. Als die Diakonie-Einrichtungen im Sommer geschlossen werden mussten, konnten die Bewohnerinnen und Bewohner in ein zufällig gerade neu ausgebautes Pflegeheim der Diakonie umziehen. Für die Menschen aus dem Amarita Pflegeheim gibt es diese Option nach jetzigem Erkenntnisstand nicht. Für sie bleibt daher vorerst die Frage, wie und vor allem wo es für sie weitergehen kann.

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Auf Nachfrage des Hamburger Abendblatts erklärt Emvia: „Wir wissen um die Sorgen. Wir helfen bei der Suche nach einem neuen Zuhause. Erste Bewohner ziehen schon um.“ Konkret, so das Unternehmen, kontaktiere Amarita selbst „andere Häuser mit dem Hinweis auf Dringlichkeit, damit alle zeitnah eine Wohnung/Zimmer erhalten.“ Auch beim Umzug werde Unterstützung angeboten.

Emvia entschuldigt sich: wenig Vorlaufzeit, zu wenig Personal

Die Bewohnerinnen und Bewohner vom Amarita hatten selbst erst eine Woche vor Veröffentlichung, am 24. September, von der anstehenden Schließung erfahren. Ebenso die Mitarbeitenden. Für sie sollte es in Anbetracht des erheblichen Fachkräftemangels in der Branche einfach werden, neue Arbeitsplätze in Hamburg zu finden, hofft Emvia.

Der Betreiber entschuldigt sich dafür, dass die Menschen in der Einrichtung nicht früher von der Schließung erfahren konnten: „Wir haben über mehrere Monate versucht, dass es nicht zur Schließung kommt. Schließlich gibt es Nachfrage und Bedarf an Pflegeplätzen. Gern hätten wir gerade den Angehörigen und Bewohnern mehr Vorbereitungszeit ermöglicht. Bei einer solchen Schließung ist keine längere Übergangszeit möglich, da die Balance zwischen Bewohnern und anwesenden Mitarbeitern gehalten werden muss, nur so lässt sich eine gute Pflege sicherstellen.“ Mit anderen Worten: Nur so kann die Fachkraftquote aufrechterhalten werden.