Hamburg. Aktuelle Fachkraftquote soll sinken, denn Pflegeeinrichtungen können Plätze nicht mehr besetzen. Verbände fordern Konsequenzen.

Ganze Abteilungen stehen leer. In Hamburg können derzeit 1300 Pflegeplätze nicht besetzt werden, so die Wohnpflegeaufsicht. „Das entspricht mehr als zehn Einrichtungen“, erklärt Katrin Kell, Fachbereichsleiterin Pflege und Senioren bei der Diakonie Hamburg gegenüber dem Hamburger Abendblatt und NDR 90,3. „Wir machen seit mindestens zwei Jahren auf das Thema aufmerksam.“

Die Reaktionen von Politik und Kostenträgern seien bisher aber nicht ausreichend. Denn: „Die Versorgungssicherheit für Senioren in Hamburg ist gefährdet, und es wird schlimmer werden“.

In Hamburg sorgt aktuelle Fachkraftquote für weniger Pflegeplätze

Woran das liegt? Natürlich wieder am Fachkräftemangel, doch hier endet die Geschichte dieses Mal nicht. Nach Einschätzung der Diakonie Hamburg ist es vor allem die Fachkraftquote, die insbesondere in der stationären Pflege für Engpässe sorgt. Diese besagt, dass in jeder Pflegeeinrichtung mindestens 50 Prozent Fachkräfte arbeiten müssen. Im Umkehrschluss bedeutet das: Wenn in einer Einrichtung, in der genau 50 Prozent Fachkräfte arbeiten, eine Fachkraft geht, muss auch eine Hilfskraft die Einrichtung verlassen, damit die Quote gewahrt bleibt.

Im schlimmsten Fall fällt somit direkt ein ganzer Pflegeplatz weg. Deswegen fordert die Diakonie nun gemeinsam mit AWO, Caritas, Parität, DRK, Diakonie, der Jüdischen Gemeinde Hamburg und weiteren Sozialverbänden eine Senkung der Fachkraftquote. Man habe bereits alternative Ideen. Die Qualitätssicherung in Pflegeeinrichtungen könne beispielsweise über Patientenbewertungen gesichert werden. Ein Beibehalten der aktuellen Quote aber würde mittelfristig nur zu immer weniger Pflegeplätzen führen. Wie viele Betten mit einer Absenkung der Fachkraftquote allerdings konkret wieder besetzt werden könnten, ist bislang noch unklar.

Zu einer möglichen Senkung der Fachkraftquote erklärt die Sozialbehörde Hamburg auf Anfrage: Die Überlegungen des Senats hierzu seien noch nicht abgeschlossen. Man befinde sich jedoch im Austausch mit den Trägern und Verbänden und beobachte auch die Lage in anderen Bundesländern. Kernkriterium für eine Entscheidung sei, „dass weiterhin eine gute Betreuungsqualität sichergestellt sein muss“.

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Servicewohnen statt Pflege für Hamburger Senioren

Bis dahin aber dreht sich die Abwärtsspirale für Pflegeeinrichtungen weiter. Denn diese arbeiten nur bei einer Auslastung von 96 bis 98 Prozent wirtschaftlich. Derzeit aber sind 1300 der 15.000 Pflegeplätze in Hamburg unbesetzt, eine Quote von knapp 8,7 Prozent. „Jedes leere Bett bedeutet Verlust“, so Rehm. In der Folge bleibt den Einrichtungen weniger finanzieller Spielraum, um neue Fachkräfte anzuwerben.

Kell und Rehm sind sich einig: Es grenze an ein Wunder, dass in Hamburg – anders als in anderen Bundesländern – noch keine Einrichtung schließen musste. Doch auch hier rechnen die Pflegeeinrichtungen neu. Nicht wenige kommen zu dem Schluss, dass sie so nicht weitermachen können. Derzeit dächten vier diakonische Hamburger Pflegeeinrichtungen in Hamburg darüber nach, auf Servicewohnen umzurüsten, so Kell. Das entspräche einem Minus von rund 400 Pflegeplätzen. Der Vorteil für die Einrichtungen: Bei dieser Form des betreuten Wohnens gibt es keine Fachkraftquote. Die Stelle zu besetzen wäre damit einfacher, und auch in diesem Bereich ist die Nachfrage hoch. Der Nachteil: Menschen, die professioneller Pflege bedürfen, können hier nicht einziehen. Für sie bleibt nur der knapper werdende Markt an „echten“ Pflegeplätzen.

Pflege Hamburg: Mangel auch bei Kurzzeitpflegeplätzen

Rund 90.300 Pflegebedürftige leben derzeit in Hamburg, so die jüngste Erhebung des Verbands der Ersatzkassen e.V. (Vdek) aus dem Jahr 2021. Davon wohnen 10 Prozent vollstationär in Heimen. 46 Prozent würden zu Hause von ihren Angehörigen gepflegt. Bei 27 Prozent unterstützt ein ambulanter Pflegedienst die Familien, so der Vdek. Zeitweise aber ziehen auch diese Menschen in Pflegeeinrichtungen, etwa wenn sie nach einem Krankenhausaufenthalt besonderer Unterstützung bedürfen oder auch, wenn Angehörige eine Zeit lang nicht verfügbar sind, beispielsweise im Sommerurlaub.

Doch auch in der Kurzzeitpflege ist der Mangel an Plätzen mittlerweile deutlich zu spüren. Das hänge, so Kell, direkt mit den Problemen in der Langzeitpflege zusammen. Denn war es bislang so, dass fristweise leer stehende Plätze in der regulären Pflege für zeitlich begrenzte Kurzzeitpflege zum Einsatz kamen, fehlt es nun schon an langfristigen Pflegeplätzen. Für Kurzzeitpflege bleibt da oft kein Platz mehr.

80 Anrufe am Tag: Hamburger Einrichtungen für Kurzzeitpflege völlig überlastet

Mitarbeitende hätten mitgezählt, im Hospital zum Hl. Geist – einer Einrichtung, die gesonderte Kurzzeitpflege anbietet – klingele pro Tag rund 80-mal das Telefon, so die Fachbereichsleiterin. Am anderen Ende der Leitung: Angehörige, die händeringend einen Platz für ihre Verwandten suchen. Kell kennt solche Gespräche selbst nur zu gut: „Ich habe es immer wieder weinende Anrufe erlebt, von Leuten, die einfach nicht mehr wissen, an wen sie sich noch wenden sollen.“

Auch Kell und ihren Mitarbeitenden bleibt oft nicht viel mehr, als den Anrufern eine Liste der Hamburger Pflegeeinrichtungen zu übermitteln, in denen sie ihr Glück versuchen sollen. Die konkrete Heimplatz-Auskunft der Diakonie wurde bereits vor fünf Jahren eingestellt. Zu aufwendig sind mittlerweile die Verfahren, um noch einen geeigneten Platz zu finden. Insgesamt, so die Diakonie Hamburg, warteten Pflegebedürftige nach Angaben der Einrichtungen sechs bis zwölf Monate auf einen Platz. Genau ließe sich das nicht schätzen. Doch klar ist: Die Wartezeiten sind zu lang, die Einrichtungen überlastet, und die Zahl der Suchenden steigt noch weiter.