Hamburg. Die Bundestagsabgeordnete bleibe aber „für linke Positionen kämpferisch“. Was weitere Hamburger Grüne zum Exodus bei der Partei sagen.
Paukenschlag bei den Grünen: Die Parteispitze um Ricarda Lang und Omid Nouripour hat am Mittwoch überraschend ihren Rücktritt bekannt gegeben. Eigentlich sollten sie ihre Posten noch bis Ende 2025 behalten. Der plötzliche Abgang ist als Reaktion auf die jüngsten Misserfolge der Partei zu begreifen. „Es braucht neue Gesichter, um die Partei aus dieser Krise zu führen. Jetzt ist nicht die Zeit, am eigenen Stuhl zu kleben“, äußerte sich Lang.
Das sehen offenbar auch die jungen Parteianhänger so: Nur wenige Stunden, nachdem die Parteispitze ihren Rücktritt angekündigt hatte, streicht auch der zehnköpfige Vorstand der Grünen Jugend die Segel – und verlässt sogar die Partei, um eine neue, linke Bewegung zu gründen.
Die Hansestadt gilt als „rot-grünes gallisches Dorf“. Hier erfreut sich die Partei insbesondere auf Landesebene weiterhin hoher Beliebtheit. Wie blicken die Hamburger unter den Grünen auf den Exodus, der ihre Partei gerade ereilt?
Emilia Fester „traurig“ über Rücktritte bei der Grünen Jugend
Emilia „Milla“ Fester ist Mitglied der Grünen Jugend und saß nach ihrer Wahl 2021 zunächst als jüngste Abgeordnete für die Hamburger Grünen im Deutschen Bundestag (2023 rückte Emily Vontz als nunmehr jüngste Parlamentarierin für die SPD nach). Die Entscheidung der Parteispitze, zurückzutreten, respektiere sie, sagt Fester gegenüber dem Abendblatt. „Sie zeigt ein klares Bekenntnis zur Verantwortung“, das sie sich auch dringend von anderen Parteien und Politikern wünsche, so Fester. Der Neustart, der nun ins Haus stehe, müsse „entsprechend progressiv“ gestaltet werden, „nicht nur mit Blick auf eine potenzielle Kanzlerschaft“.
„Traurig“ ist die 26-jährige Grünen-Politikerin wiederum über den Rück- und Parteiaustritt des Bundesvorstands der Grünen Jugend, sagt sie. Die frühere Spitze um die Vorsitzenden Svenja Appuhn und Katharina Stolla hat ihren Rücktritt von allen Ämtern erklärt. Sie würden die Gründung einer eigenen Bewegung planen. Die Politik der Bundespartei ist den jungen Grünen offenkundig nicht mehr progressiv und links genug.
Milla Fester bleibt „für linke Positionen kämpferisch“
Auch Milla Fester ist bei den Grünen eher im linken Spektrum zu suchen. „Ich verstehe den Frust mit einem zunehmend konservativ orientierten Kurs der Grünen Partei“, sagt sie. Doch teile sie den Weg zur Lösung nicht mit dem ehemaligen Jugend-Vorstand. Vielmehr müssten linke Kräfte jetzt ihre Stimme in der Partei wiederfinden: „Gerade in der aktuellen Zeit braucht es progressive Kräfte in unserer Partei, mit einem klaren Kurs auf soziale linke Politik. Dafür will ich weiter streiten“, sagt Fester.
Die Abgeordnete wurde erst vor wenigen Tagen als Direktkandidatin für die Bundestagswahl 2025 im Wahlkreis 18 (Hamburg-Mitte) aufgestellt. Mit einem Rückzug ihrerseits sei keinesfalls zu rechnen: „In der Grünen Jugend und der Grünen Partei fühle ich mich weiter zu Hause, hier bleibe ich engagiert und für linke Positionen kämpferisch.“
Hamburger Grünen-Landesvorsitzende: Weg frei für Neuanfang
Auch die Hamburger Landesvorsitzenden der Partei, Maryam Blumenthal und Leon Alam, zeigen Verständnis für den Rücktritt des Jugend-Bundesvorstands. „Wir respektieren diesen Schritt, die Begründung ist für uns nachvollziehbar, konsequent und fair in der Kommunikation“, teilen sie mit. Die vorgebrachten Kritikpunkte würden von ihnen ernst genommen. „Wir Grüne brauchen eine starke Jugendorganisation ... Mit der Grünen Jugend Hamburg stehen wir in gutem Austausch und haben selbstverständlich auch jetzt Gesprächsbereitschaft signalisiert.“
Was den Rücktritt von Lang, Nouripour und Co. angeht, heißt es von Blumenthal und Alam: „Die Entscheidung des Bundesvorstands zeugt von großem Verantwortungsbewusstsein für unsere Partei, aber auch für das gesamte Land. Mit seinem Rücktritt macht der Bundesvorstand den Weg frei für einen Neuanfang.“
Rücktritt der Grünen-Bundesspitze: Hamburg zollt Respekt
Die Reaktionen weiterer Entscheidungsträger der Hamburger Grünen sehen ähnlich aus. Die Noch-Bundesspitze erhält viel Respekt und Anerkennung für ihre Arbeit sowie die schwerwiegende Entscheidung zum Rücktritt. Katharina Beck, die für Hamburgs Grüne im Parlament sitzt und erst kürzlich verkündete, bei der Bundestagswahl 2025 erneut als Hamburger Spitzenkandidatin an den Start gehen zu wollen, äußert gegenüber dem Abendblatt: „Der geschlossene Rücktritt des Parteivorstands zeigt eine beeindruckende Größe und was wahre Verantwortung ausmacht.“ Sie ziehe ihren Hut vor dieser „krassen Größe“.
„Ganz viel Respekt für eure Entscheidung und die klare Kommunikation“ gab es auch von Hamburgs Zweiter Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) auf der Plattform X (vormals Twitter). Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) schreibt auf Instagram, die bisherige Bundesspitze habe „die Partei in schweren Zeiten geführt und sehr vieles angeschoben und vertreten“.
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Der Rücktritt des Grünen-Bundesvorstands ist die Konsequenz, den die Parteispitze aus ihren sinkenden Zustimmungswerten zieht. Bei den Landtagswahlen in Thüringen und Brandenburg schafften die Grünen es nicht erneut ins Landesparlament, in Sachsen nur äußerst knapp. Der Vorstand bleibt noch bis November im Amt, dann soll es auf dem Grünen-Parteitag eine Neuwahl geben. Neben den beiden Co-Vorsitzenden Lang und Nouripour treten die vier weiteren Mitglieder des Bundesvorstands zurück.