Hamburg. Auch eine erwartete Schlappe kann wehtun – und ein gutes Ergebnis in Hamburg macht den bundesweiten Abwärtstrend nicht wett.

Als die rund 1200 Hamburger Wahllokale am Sonntagabend um 18 Uhr schließen, steigt bei den Parteianhängerinnen und -anhängern in der Stadt die Spannung. Denn von jetzt an heißt es: Gebannt aufs Fernsehgerät starren und aufmerksam verfolgen, wie die Balken wachsen und schrumpfen. Die Hamburger Grünen finden sich am Sonntagabend fürs politische „Public Viewing“ zur Europawahl im Schrødingers im Schanzenpark ein.

Kommen darf jede und jeder Grüne, blicken lassen sich freilich auch die Speerspitzen der Partei, etwa die Zweite Bürgermeisterin und Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank, Umweltsenator Jens Kerstan, Verkehrssenator Anjes Tjarks, die Vorsitzende der Grünen-Bürgerschaftsfraktion Jenny Jasberg sowie Hamburgs grüne Spitzenkandidatin für Europa, Rosa Domm.

Europa-Wahlparty in Hamburg: Grüne haben wenig zu feiern

Ein kleines Lagerfeuer lodert, es gibt Bier und Brezeln und allerhand freudige Begrüßungen unter Partei-Freunden noch dazu – doch „Party“-Stimmung will bei den Hamburger Grünen nicht so richtig aufkommen. Das ist kaum verwunderlich, zeichnete sich doch bereits in den Tagen vor der Europawahl ab, dass die Partei in Deutschland ordentlich Stimmen einzubüßen hat. Keine Illusionen: Mit einem Wahlergebnis wie noch 2019 rechnet am Sonntag niemand. Damals fuhren die Grünen 20,5 Prozent der Wählerstimmen ein.

Die gewisse Anspannung, die bis zur Verkündung der ersten Prognosen in der Luft liegt, löst sich 18 Uhr eher in Unmut als Wohlgefallen auf. Dass die Grünen demnach gerade einmal 12 Prozent der Wähler überzeugen konnten, ist eine ganz schöne Schlappe für die Parteimitglieder – die sprichwörtlichen langen Gesichter sind im Schanzenpark in der Mehrzahl.

Für Rosa Domm, Hamburgs Grünen-Spitzenkandidatin auf Listenplatz 21, rückt der Einzug ins Europaparlament damit in unerreichbare Ferne. „Ich rechne schon seit Anfang des Jahres nicht mehr damit, dass ich einziehe“, bekennt sie. „Ich habe natürlich trotzdem alles gegeben.“ Optimistisch bleibt die mit 25 Jahren jüngste Bürgerschaftsabgeordnete trotzdem. Denn: „Wir werden wahrscheinlich einen großen Unterschied zwischen dem Bundes-Trend und dem Hamburg-Trend sehen“, mutmaßt sie.

Grüne in Hamburg deutlich beliebter als bundesweit

Diesem Optimismus gibt sich dem Anschein nach die Mehrzahl der Anwesenden hin. Und tatsächlich, bei der Hamburger Europawahl-Hochrechnung schneiden die Grünen besser ab. 22,2 Prozent der Hamburger wollen die Partei im Europaparlament sehen, heißt es in der ersten Hochrechnung. Das ist deutlich mehr als deutschlandweit, doch der Absturz ist auch hier groß – kamen sie doch von 31,1 Prozent in 2019.

Mit dem ersten Stimmungsbild aus Hamburg hellt sich die Laune der Zweiten Bürgermeisterin Katharina Fegebank dennoch auf, sagt sie. Die Grünen dürften in Hamburg stärkste Kraft werden. „Wenn sich das so bestätigt, was wir jetzt als Andeutung bekommen haben, dann ist das ein sehr, sehr gutes Ergebnis für uns“, so Fegebank. Das wie bereits 2019 außerordentlich gute Abschneiden der Grünen in Hamburg erklärt sie sich mit Stadt-Land-Unterschieden, „aber auch mit einer sehr Europa-freundlichen Haltung in Hamburg. Davon profitieren Grüne.“

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Rechtsruck in der EU: „So gruselig war es lange nicht mehr“

Beunruhigter zeigt sich Jenny Jasberg, Grünen-Fraktionsvorsitzende in der Bürgerschaft, am Wahlabend. Zumal sie nach mehreren Jahren als Referentin im Europäischen Parlament im Herzen immer auch Europapolitikerin bleiben werde. Mit Erschrecken sehe sie, „dass die AfD einfach so viele Stimmen gewinnen konnte, obwohl die Skandallage so massiv war“. Auch die Hochrechnungen aus anderen EU-Staaten, etwa Österreich und Frankreich, betrüben sie.

Skeptisch blickt Jasberg darauf, dass die Europäische Volkspartei (EVP), der die CDU im EU-Parlament angehört, sich ihrer Wahrnehmung nach „sehr stark in Richtung Rechtspopulisten öffnen möchte.“ Angesichts des Rechtsrucks, der durch Europa gehe, äußert sie: „Ich mache jetzt seit 20 Jahren Politik, aber so gruselig war es lange schon nicht mehr.“ Für die Grünen gehe es nun darum, ein „wichtiger Player“ in der EU zu bleiben – auch als voraussichtlich nur viertstärkste Kraft im Parlament.