Hamburg/Berlin. Die Hamburgerin “Milla“ Fester ist mit 23 Jahren die jüngste Bundestagsabgeordnete – das Abendblatt begleitet sie ein Jahr lang.

80 Interviews habe sie in den ersten beiden Wochen als Bundestagsabgeordnete gegeben, sagt Emilia Fester, die alle Milla nennen, über die erste Zeit im Parlament. Selbst die „New York Times“ habe zum Gespräch gebeten. Der Grund für das enorme Medienecho ist Festers Alter: Mit 23 Jahren ist die Hamburger Grüne die jüngste Abgeordnete im neu gewählten Bundestag. Wie ist es, die Jüngste zu sein?

„Für mich ist es sehr glücklich, weil ich ja auch Jugendpolitik machen will“, sagt Fester, die nicht damit gerechnet habe, die Jüngste zu sein. „Ich fände es auch schön, wenn ich es nicht wäre, weil ich 23 bin und nicht 18.“ Ihrer Meinung nach sollten auch diejenigen, die gerade ihr Abitur gemacht haben, eine Vertretung im Bundestag haben, „weil auch das ein wichtiger Lebensabschnitt ist, der beleuchtet werden will, und mit 23 bin ich in einer anderen Lebensphase“.

Bundestag: Hamburgerin Emilia Fester ist die jüngste Abgeordnete

Der Superlativ nutze ihr jedoch, um auf ihre politischen Themen aufmerksam zu machen. „Da ich mich für die Teilhabe und Partizipation von jungen Menschen einsetze, macht dieser Status es sehr authentisch.“ Neben der Jugend sind Klimagerechtigkeit und Feminismus ihre Oberthemen, auf die sie auch im Wahlkampf gesetzt hat. Über die Koalitionsverhandlungen sagt sie: „Jeder Punkt, der in unserem Wahlprogramm stand, der jetzt nicht im Koalitionsvertrag steht, um den bin ich traurig.“ Dennoch zeigt sich Fester realistisch. „Ich hätte wirklich gerne das ganze Wahlprogramm umgesetzt. Dass das als 15-Prozent-Partei einfach nicht geht, ist klar.“

Umso größer sei die Freude über die Aspekte, die von den Grünen in den Koalitionsverhandlungen der Ampel-Parteien durchgesetzt werden konnten wie die Kindergrundsicherung. „Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass meiner Familie eine Kindergrundsicherung unfassbar geholfen hätte, was zum Beispiel die Planbarkeit von meinen Klassenreisen betrifft, da meine Eltern als Kulturschaffende nicht immer sehr viel Geld verdient haben. Deswegen kann ich mir vorstellen, was für eine tolle Veränderung das sein wird, wenn wir Familien auf so eine Art und Weise unterstützen können. Darüber freue ich mich enorm.“

„Es hilft ja nichts, jetzt pessimistisch zu werden“

Was das große Thema der Grünen, das 1,5-Grad-Ziel betrifft, könne sich die Partei im Ringen mit den Koalitionspartnern durchaus auf die Schulter klopfen, meint Fester. „Weil man ja auch sagen muss, dass die SPD und die FDP nicht sonderlich viel vor hatten in Klimafragen.“ Dennoch sei das ausgehandelte Ergebnis nicht genug. „1,5 Grad schaffen wir damit einfach nicht. Ich finde, dass diese Ehrlichkeit auch dazu gehört.“

Kritik von Klima-Bewegungen wie Fridays for Future könne sie daher auch verstehen. Mit der FDP sei es jedoch nicht möglich gewesen beispielsweise ein generelles Tempolimit umzusetzen. „Das gehört zur demokratischen Realität dazu, dass man solche Kompromisse machen muss“, sagt Fester. „Trotzdem habe ich das Gefühl, wir lenken da jetzt mal um und die komplette Kehrtwende machen wir dann entweder während der Legislatur oder spätestens zum nächsten Koalitionsvertrag. Es hilft ja nichts, jetzt pessimistisch zu werden.“

Was war das Spannendste für Emilia Fester?

Fester redet viel und lebhaft. Teilweise sprudelt es nur so aus ihr heraus. Dass sie politisch kein unbeschriebenes Blatt ist, merkt man ihr an. Dennoch gibt sie sich nahbar und bodenständig. In ihrer Partei konnte sie sich innerhalb kürzester Zeit etablieren, dennoch ist sie durch alle Institutionen gegangen – angefangen bei der Grünen Jugend in Hildesheim, wo Fester geboren und aufgewachsen ist, bis hin zum Mitglied des Landesvorstands in Hamburg, wo sie nach der Bürgerschaftswahl 2020 bereits am Verhandlungstisch zu den Koalitionsgesprächen mit der SPD saß.

Die erste Zeit im Bundestag habe sie als „sehr intensiv“ empfunden. „Ein bisschen wie so ein Rausch. Ich bin da so durchgerannt und habe versucht, so viel wie möglich mitzunehmen“, resümiert sie. Was für sie das Spannendste war? „Da gibt es mehrere Momente.“ Zum einen sei das ein Team-Wochenende mit ihren fünf Mitarbeitern gewesen. „Wir haben uns in Mecklenburg-Vorpommern in einen schönem Seminarhaus richtig viel Zeit genommen, um das Kuddelmuddel zu sortieren.“ Daneben gebe es die ersten parlamentarischen Momente. „Bei diesen Traditionen und Ritualen teilzunehmen, die im Plenum passieren, das war wirklich toll.“

Eine WG mit Marlene Schönberger und Saskia Weishaupt

So habe sie es als etwas Besonderes und Ehrfürchtiges empfunden, als Mitglied des Parlaments Entscheidungen mitzutreffen. „Es hat mich sehr demütig gemacht, über das Infektionsschutzgesetz mit abzustimmen“, sagt sie. „Dabei mitzuentscheiden und zu realisieren, das beeinflusst jetzt das Leben von so vielen Menschen in der Bundesrepublik, das war schon ein sehr besonderes Gefühl.“ Auch ihre Rede im Schloss Bellevue bei der Gedenkveranstaltung zum 9. November sei ihr in positiver Erinnerung geblieben.

„Ich habe dort Frau Merkel, Frau Bas und natürlich auch Herrn Steinmeier kennengelernt. Dass ich neben so vielen Leuten, die man aus dem Fernsehen kennt, dann so selbstverständlich sitzen sollte, war total aufregend.“ Für sie ein einschneidendes Erlebnis, da sie neben Angela Merkel gesessen habe. „Kleinigkeiten, die mir dann auffallen, bringen für eine Person so eine Menschlichkeit mit und unterstützen mich sehr darin, die Dinge ein bisschen normaler zu finden.“

Beim Start in Berlin habe ihr geholfen, dass sie mit ihren Fraktionskolleginnen Marlene Schönberger und Saskia Weishaupt, die ebenfalls zum ersten Mal in den Bundestag eingezogen sind, eine WG gegründet hat. „Das Schöne ist, dass wir uns gegenseitig darin bestärken können, entweder gemeinsam zu reflektieren oder alle drei sagen, ne, heute Abend keine Politik.“

„Scholz ist nicht gekommen, um der coolste Macker zu sein“

Den politischen Betrieb vergleicht die Regieassistentin, die am Jungen Schauspielhaus in Hamburg gearbeitet hat, mit dem Theater. „Das Parlament ist die Inszenierung, um transparent zu machen, was die Politik vorher in kleineren, bilateralen Gesprächen geregelt hat“, sagt sie. „Es ist wie im Theater, wo man den Probenprozess nicht zeigt, sondern am Ende das Ergebnis der Produktion. So ist auch der Plenarsaal für mich. Vorher proben wir, tüddeln alles zusammen, schreiben unser Skript und dann führen wir das auf und zeigen der Welt, was wir erschaffen haben.“

Dass das neue Parlament jünger geworden ist, bewertet Fester als Chance. „Ich glaube, das ist mit das wichtigste, dass wir Politik auch anders machen. Das kann ganz viele Türen öffnen, dass das junge und auch vielfältigere Parlament strukturell und inhaltlich viel verändern kann.“ Auch über den neuen Bundeskanzler Olaf Scholz hat die jüngste Abgeordnete eine klare Meinung: „Ich glaube, Scholz ist nicht gekommen, um der coolste Macker zu sein. Es ist auffällig, wie betont trocken er sich gibt, aber ich möchte den Tag nicht vor dem Abend loben.“