Hamburg/Timișoara. Zwei Ausbildungsverträge hatte der 21-jährige Jemenit unterschrieben, spricht fließend Deutsch. Warum er trotzdem abgeschoben wurde.
- Ahmed S. wurde nach langem Kampf mit den Behörden nach Rumänien abgeschoben.
- Der 21-Jährige ist 2019 gemeinsam mit seiner Familie aus dem Jemen nach Deutschland geflohen.
- „An Ahmed haben sich die Behörden komplett festgebissen“, sagt sein Anwalt.
Ahmed S. wollten die deutschen Behörden unbedingt loswerden. So wirkt es zumindest. Denn anders lässt sich kaum erklären, weshalb der 21-Jährige jetzt desillusioniert in der rumänischen Kleinstadt Timișoara hockt, während seine restliche Familie in Hamburg oder Pinneberg bleiben durfte.
Eigentlich sollte der junge Jemenit längst in Ausbildung sein. Gleich zwei Verträge, einen von Tchibo und einen von Douglas, hatte Ahmed schon unterschrieben. Beginnen durfte er keine der beiden Lehren. Stattdessen ordneten die Behörden seine Abschiebung nach Rumänien an.
„An Ahmed haben sich die Behörden komplett festgebissen“, sagt der Anwalt der Familie, der auf Ausländerrecht spezialisierte Carlos Drescher. Ahmeds Fall sei ein Paradebeispiel dafür, dass es in Deutschland kein Rezept für eine gelungene Einwanderung gebe – egal wie gut integriert die Zugewanderten sind, egal wie groß ihr Arbeitswille.
Konsequent aus Hamburger Umland abgeschoben: Ahmed S. musste Deutschland verlassen
Aber von vorn: 2019 flieht Ahmed S., mit damals 16 Jahren, gemeinsam mit seiner Mutter, seinem Vater und der damals zehnjährigen Schwester Nourhan aus dem Jemen nach Deutschland. Entschieden hat er sich dafür nie. Die Familie genoss in ihrem Heimatland einen guten Lebensstandard, und Ahmed erinnert sich gern an seine Kindheit im Jemen.
Dennoch fühlen sich die Eltern gezwungen, das kriegsgeplagte Land zu verlassen – auch weil Ahmeds Vater einen hohen Posten bei der Marine innehatte, bevor die Huthi-Rebellen die Regierung absetzten. In Hamburgs Umland zieht es die Familie, weil Ahmeds älterer Bruder Al-Hussain hier bereits Elektrotechnik studierte.
Auf ihrer Flucht begeht die Familie S. allerdings einen Fehler, der folgenschwer genug sein wird, damit Ahmed letztlich abgeschoben wird: Bevor die vier nach Deutschland einreisen, beantragen sie bereits in Rumänien Asyl. Damals sei ihnen das Geld ausgegangen, und sie mussten für einige Monate in dem osteuropäischen Land Station machen, erzählt Ahmed. Die Folge: Die Familie hat von Anfang an ihr Recht auf Asyl in Deutschland verwirkt. Subsidiärer Schutz wird ihr nur in Rumänien gewährt.
Abschiebung der Schwester und Mutter kann verhindert werden
Noch auf der Flucht trennen sich Ahmeds Eltern. Nach dem Zwischenstopp in Rumänien zieht die Mutter mit den Kindern nach Pinneberg. Dort besuchen Ahmed und Schwester Nourhan die Schule, beide sprechen nach kurzer Zeit fließend Deutsch und leben sich in ihrem neuen Zuhause ein.
Fast vier Jahre später, 2023, im Morgengrauen eines Januartags, fährt die Polizei bei der Familie S. in Pinneberg vor und verbringt Ahmed, Nourhan und die Mutter in die Landesunterkunft Boostedt. Hier sollen die drei auf ihre Abschiebung warten – oder freiwillig gehen.
Dank des vehementen Einsatzes ihrer Mitschüler und insbesondere der Lehrkräfte im Pinneberger Schulzentrum-Nord sowie einigen medialen Wirbels bekommt die damals 14-jährige Nourhan doch noch einen Aufenthaltstitel und darf in Pinneberg bleiben. Weil das Mädchen noch minderjährig ist, erhält die Mutter zudem eine Duldung. Ahmed jedoch ist zu diesem Zeitpunkt schon 19 Jahre alt und bleibt deshalb vollziehbar ausreisepflichtig. Weil die Familie in Pinneberg wohnt, sind die schleswig-holsteinischen Behörden für den Fall zuständig.
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„Sogar die Rumänen kommen ja nach Deutschland“, sagt Ahmed S.
Von Januar 2023 bis Juli 2024 sitzt Ahmed in einem kleinen, kargen Zimmer in der Landesunterkunft Boostedt – ein früheres Truppenübungsgelände mit Kasernenbauten irgendwo zwischen Bad Segeberg und Neumünster – die Zeit ab und wartet auf seine Abschiebung. Freiwillig will er nicht ausreisen, das traut sich Ahmed nicht. „Sogar die Rumänen kommen ja nach Deutschland“, sagt er.
Bis zu 2700 Menschen halten sich in der Landesunterkunft auf. Doch Endstation wie für Ahmed ist hier für fast niemanden. Die meisten Migranten sind gerade in Deutschland angekommen und warten auf eine Wohnung.
Arbeiten darf der Jemenit nicht, auch keine Ausbildung aufnehmen, keine Abendschule besuchen, kein Konto eröffnen. Es gibt 148 Euro Taschengeld im Monat und beschränkten „Freigang“. Wer die Landesunterkunft verlassen will, muss bei den Pförtnern auschecken, und wer nicht rechtzeitig zurückkehrt, wird früher oder später polizeilich gesucht.
Ahmed wurde abgeschoben: „Sie zerstören mir meine Zukunft einfach“
Während der anderthalb Jahre, die Ahmed in Boostedt verbringt, ist er Dauergast im Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge auf dem Gelände der Unterkunft. Bei ständig wechselnden Sachbearbeitern versucht er immer wieder sein Glück. Er argumentiert mit einer sogenannten Ausbildungsduldung. Unterschreibt er einen Ausbildungsvertrag, können die Behörden ihm eine Duldung aussprechen – so sie das für richtig halten.
Binnen kurzer Zeit kann der junge Mann einen Vertrag von Tchibo vorlegen, wenig später auch einen von Douglas. Doch seine Hoffnung ist vergebens und die Entscheidung der Behörden längst gefällt: Ahmed soll abgeschoben werden – Ausbildung, Deutschkenntnisse und Familie hin oder her. Auch der Anwalt der Familie S., Carlos Drescher, kann hier nichts mehr ausrichten. Eine Klage auf Ausbildungsduldung ist noch immer anhängig, die Bearbeitungszeit schätzt der Jurist allerdings auf zwei Jahre ein.
„Ich bin gerade 20 geworden. Ich versuche, mir eine Zukunft zu bauen – und sie zerstören mir meine Zukunft einfach“, sagt Ahmed im Sommer 2023, kurz nachdem die Duldung abgelehnt wurde. „Ich habe ja einen Ausbildungsvertrag, ich brauche nicht mal Sozialhilfe. Ich möchte doch einfach nur ein normaler Mensch sein und meine Ausbildung machen.“
Abschiebung nach Rumänien: „Ahmed hätte eine Ausbildung absolvieren können“
Für Anwalt Drescher ist es unbegreiflich, weshalb dem jungen Mann eine Ausbildungsduldung versagt wurde. Ahmed sei das perfekte Beispiel dafür, dass es im vom Fachkräftemangel gebeutelten Deutschland kein Rezept für den Umgang mit Ausreisepflichtigen gebe, die sich gut eingelebt haben und arbeiten möchten.
„Ahmed hat sich gut integriert und hätte eine Ausbildung absolvieren können. Das war auch der Wunsch des Ausbildungsunternehmens. Trotzdem hat man ihn abgeschoben“, so Drescher. Selbst die Mitarbeiter in der Douglas-Filiale, bei der Ahmed seine Ausbildung aufnehmen wollte, hatten noch versucht, für ihn in die Bresche zu springen – keine Chance.
„Ich habe zum Anwalt gesagt: ,Wir müssen das jetzt zu Ende bringen‘“
Nach einem Jahr hält Ahmed es nicht mehr in der Landesunterkunft aus. Immer öfter bleibt er länger bei seinem Vater oder der Mutter, als er darf. Mehrfach sucht ihn die Polizei, immer wieder kann sich Ahmed verstecken. Doch im Juli 2024 gibt er das Katz-und-Maus-Spiel auf. Denn egal, wie lange er vor den Beamten davonrennt: Frei ist er nicht. Ahmed hält sich illegal in Deutschland auf. Er darf nicht arbeiten, kein Geld verdienen, sich kein Leben aufbauen. So kann es nicht weitergehen, weiß er.
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Also trifft der 21-Jährige gemeinsam mit Anwalt Carlos Drescher die Entscheidung, aus der Deckung zu kommen und in der Landesunterkunft Boostedt noch einmal das Gespräch mit dem Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge zu suchen – auch auf die Gefahr hin, dass Polizeibeamte ihn auf der Stelle mitnehmen und ausfliegen. „Ich habe zum Anwalt gesagt: ,Wir müssen das jetzt zu Ende bringen – entweder, oder.“ Das heißt: bleiben dürfen oder gehen müssen.
Und tatsächlich, die Beamten haben Ahmed an diesem Tag im Juli bereits erwartet. Jetzt geht alles ganz schnell: Der 21-Jährige wird an Ort und Stelle festgenommen und verbringt die folgende Nacht in Glückstadt in der Abschiebehaft. Schon am nächsten Morgen fährt Ahmed gemeinsam mit zwei Polizisten im Peterwagen nach Frankfurt am Main, wo das Flugzeug nach Bukarest abhebt.
„Mach keinen Scheiß, dann sind wir nett zu dir“, sollen die Polizisten gesagt haben
Die Autofahrt verläuft weitgehend schweigend. Erst in einer kurzen Mittagspause wechseln Ahmed und die Beamten ein paar Worte. „,Mach keinen Scheiß, dann sind wir nett zu dir‘, haben sie gesagt“, erzählt Ahmed. „Die Polizisten meinten, ohne Grund wird aus Deutschland niemand abgeschoben und dass ich das Land erst mal nicht wieder betreten darf. ,Sonst kassieren sie dich!‘, haben sie gesagt.“
Wenig später hebt der Flieger ab. Über den Wolken, da ist die Hoffnung offenbar grenzenlos: „Ich habe einfach versucht, daran zu denken, dass ich vielleicht doch noch ein besseres Leben haben kann, dass ich irgendwann wieder zurückkommen und meine Ausbildung machen kann“, erzählt Ahmed. Doch die Hoffnung, die kommt und geht, gibt der junge Mann zu. An manchen Tagen behauptet er gar, er habe sie diesmal wirklich und unwiederbringlich verloren.
Ahmed hat resigniert. „Egal was ich denke – am Ende läuft es anders. Und egal, was ich will – am Ende bekomme ich es doch nicht“, sagt er. Aus dem eher schüchternen, humorvollen Jungen ist binnen kürzester Zeit ein verbitterter, einsilbiger Mann geworden. Wer kann es ihm verdenken?
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Nach der Abschiebung: Familie darf sich nicht besuchen
In Rumänien dreht sich die Welt etwas anders als in Deutschland. „Am Flughafen haben sie sich den Zettel angeschaut, den ich in Deutschland bekommen habe, und sagten: ,Dort ist der Ausgang‘“, erzählt Ahmed. „Die sagten: ,Nimm deine Unterlagen und verschwinde. Wir haben nichts zu tun mit dir.‘“ Jetzt ist er auf sich allein gestellt.
Also fast: Denn in der Kleinstadt Timișoara im Westen Rumäniens nahe der serbischen Grenze lebt Ahmeds Onkel väterlicherseits. Er wohnt hier schon seit 30 Jahren und arbeitet als Arzt. Eine Bleibe hat Ahmed also, aber dankbar sein kann er dafür kaum. Zu verhasst ist ihm dieses Rumänien, in dem er nie leben wollte und dessen Sprache er nicht spricht.
Zumal Ahmed vorerst keine Chance hat, seine Familie wiederzusehen. Weil sowohl der Vater als auch die Mutter in Deutschland lediglich geduldet sind, dürfen sie das Land nicht verlassen, erklärt Anwalt Carlos Drescher. Für Ahmed wiederum gilt nach der Abschiebung eine mehrjährige Wiedereinreise-Sperre nach Deutschland.
Ahmed S. musste Deutschland verlassen: „Abschiebung gleicht einem absurden Theater“
„Seine Abschiebung gleicht einem absurden Theater“, sagt der Jurist. „Es ist in jeder Hinsicht der Falsche, den sie da abgeschoben haben – und dafür haben sie alles getan.“ Ahmed ist, so wie der Großteil der Zugewanderten, kein Straftäter und kein Extremist. Er ist ein 21-Jähriger, der sich einmal vorgestellt hatte, in Hamburg und Umland ein neues Leben zu beginnen, eine glückliche Jugend zu verbringen, Freunde zu finden, einen Job, ein Zuhause.
All das wurde ihm versagt. „Es ist ein verschenktes Leben, das Ahmed jetzt führt“, bringt es Anwalt Drescher auf den Punkt. „Und zwar unnötigerweise.“