Hamburg. Win-win für Gesellschaft und Wirtschaft: Hochbahn bildet Geflüchtete aus. Ein Absolvent des Programms berichtet aus seinem Busfahrer-Alltag.

„Der erste Tag war ein Albtraum“, erinnert sich Mohammad Zartit an seinen Start bei der Hochbahn Hamburg. „Ich hatte Angst, ganz alleine meinen Bus zu fahren“, sagt er. Als wäre es erst gestern gewesen, berichtet der 34-Jährige, wie hoch konzentriert und extrem vorsichtig er den Bus der Linie 7 durch die Stadt manövriert hat.

Heute kann Zartit darüber lachen. Schließlich braust er mittlerweile sogar am liebsten mit den allergrößten Modellen der Hochbahn-Flotte durch die Stadt – den 21 Meter langen „Capacity“-Bussen, die er nur „Capa“ nennt. Busfahren sei heute sein „Hobby“, sagt er. Und dabei hatte Zartit bis 2018 noch nicht einmal einen Führerschein.

HVV: Neustart in Hamburg – Hochbahn-Ausbildung speziell für Geflüchtete

Mohammad Zartit ist vor zehn Jahren aus Syrien geflüchtet und hat in Hamburg sein neues Zuhause gefunden. Dass er heute als Hochbahner arbeitet, ist einer Initiative des städtischen Unternehmens in Kooperation mit der Dekra und dem Jobcenter zu verdanken. Seit 2017 wirbt die Hochbahn aktiv mit einer Busfahrer-Ausbildung für Geflüchtete. Dabei gehe es auch darum, „einen Beitrag zu leisten, um die Menschen in Lohn und Brot zu bekommen“, sagt Projektleiter Stefan Glatzer.

Im ersten Ausbildungsjahrgang 2017 startete die Hochbahn mit zwölf Bewerbern. Übernehmen konnte sie davon letztlich keinen, denn schnell sah sich das Verkehrsunternehmen mit „riesigen bürokratischen Hürden“ konfrontiert, erzählt Glatzer. „Sehr ruckelig und sehr anstrengend“ sei das Projekt zu Beginn gewesen. Aufgegeben hat die Hochbahn es aber nicht – glücklicherweise.

Mohammad Zartit, Busfahrer bei der Hochbahn, Ausbildung dank Geflüchteten-Initiative
Beruf zum Hobby gemacht: Mohammad Zartit ist Busfahrer bei der Hamburger Hochbahn. © HA | Anika Würz

B-Schein, D-Schein, B2-Kurs: Umfangreiche Ausbildung für Geflüchtete

Mittlerweile bildet das Unternehmen jährlich rund 20 Geflüchtete aus. 130 von derzeit insgesamt 3300 Hochbahn-Busfahrern haben das Programm durchlaufen. Darunter sind vor allem Menschen aus Syrien, Afghanistan, Iran, Irak und Eritrea – übrigens auch Frauen. Bis zu 150 Geflüchtete würden sich auf die jährliche Ausschreibung hin bei der Hochbahn melden, sagt Glatzer. Aus dem Jobcenter bekomme er die Rückmeldung, dass die Hochbahn-Ausbildung von Migranten stark nachgefragt werde.

Die Ausbildung für Geflüchtete ist deutlich umfänglicher als die für „herkömmliche“ Bewerber. Denn bevor die Geflüchteten einen Bus lenken dürfen, müssen sie in vielen Fällen zunächst einen Auto-Führerschein der Klasse B machen. Entweder weil sie bislang keinen haben, oder weil das Dokument aus ihrem Herkunftsland in Deutschland nicht anerkannt wird. Erst danach können sie den Bus-Führerschein (Klasse D) erlangen und anschließend ein Praktikum als Busfahrer bei der Hochbahn machen. „Das ist erst mal nicht einfach. So ein Bus ist ja ein großes Auto, da hat man erstmal Respekt“, sagt Zartit.

„Nebenbei“ sind Deutschkurse fällig. Die Geflüchteten müssen Sprachkenntnisse des Levels B2 vorweisen können, damit sie als Busfahrer arbeiten können. Um die Sprachkurse kümmert sich, ebenso wie um die Finanzierung eines größeren Teils der Ausbildung, das Jobcenter. Statt einer fünfmonatigen durchlaufen die Geflüchteten eine zwölfmonatige Ausbildung.

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„Wir freuen uns, dass wir mit der Ausbildung helfen, Geflüchtete zu integrieren. Und wir sind natürlich auch auf der Suche nach Busfahrern“, sagt Glatzer. Es ist kein Geheimnis, dass auch die Hochbahn sich mit dem Fachkräftemangel konfrontiert sieht. In zehn Jahren werden rund 30 Prozent der heutigen Busfahrer verrentet sein. Migration kann der Entwicklung entgegenwirken.

Gut für die Hochbahn: Fast alle der bislang ausgebildeten Geflüchteten arbeiten bis heute bei dem Verkehrsunternehmen. Nach der Ausbildungsphase bekommen sie in der Regel einen Vertrag angeboten und können sich über ein Monatsgehalt von etwa 3300 Euro brutto freuen, zuzüglich Zuschlägen.

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Mohammad Zartit ist seit 2019 offiziell Hochbahner. Und mächtig stolz darauf. Er bedient vom Busbetriebshof Alsterdorf aus etwa 30 verschiedene Linien im Stadtgebiet und mag es am liebsten knifflig. Die überlangen Busse durch die enge Innenstadt zu lenken nimmt er als willkommene Herausforderung an. „Das ist mein Hobby“, sagt er. Aber auch mit den Fahrzeugen auf der Linie 5 in der Busspur über Hoheluftchaussee/Lokstedter Steindamm zu rollen bereite ihm Freude. „Da hat man Spaß – Tür auf, Tür zu“, sagt er lachend.

Die Stadt kennt der Geflüchtete aus Syrien mittlerweile besser als mancher geborene Hamburger. „Bei spontaner Umleitung habe ich aber immer noch Schwierigkeiten“, gibt er zu. Der Job erfordere allzeit höchste Konzentration. „Manchmal habe ich 200 Leute im Bus“, sagt Zartit. Das ist viel Verantwortung.

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Saskia Heidenberger, Personalvorständin der Hochbahn, sieht in dem Ausbildungsprogramm einen großen Gewinn: „Als öffentliches Unternehmen sehen wir uns in der Verantwortung, geflüchteten Menschen einen Arbeitsplatz anzubieten und so auch gesellschaftlich zu integrieren“, sagt sie.

Zugleich könne die Hochbahn als Arbeitgeberin dadurch motivierte und fähige Arbeitskräfte gewinnen. „Es ist eine richtige Win-win-Situation. Deshalb haben wir entschieden, dieses erfolgreiche Programm auch in den kommenden Jahren fortzusetzen.“