Hamburg. Staus, Unfälle, HVV: Abendblatt analysiert Lage auf Straßen, (Rad-)Wegen und Schienen. Eine Schwäche der Politik fällt dabei ins Auge.
- 2023 wurden neun Radfahrer getötet, auch die Zahl der verunglückten Kinder stieg
- Die Wahrscheinlichkeit in Hamburg im Stau zu stehen, hat sich seit 2010 laut ADAC erhöht
- Seit 2022 gibt es eine überraschende Entwicklung bei der Zahl der privaten Pkw
Über kaum etwas lässt sich in einer Großstadt wie Hamburg trefflicher streiten als über den Verkehr. Die meisten Menschen bewegen sich fast täglich auf kurzen oder längeren Wegen durch die Stadt. Und alle haben deswegen auch Leidensgeschichten zu erzählen – von ausfallenden Bahnen, maroden Radwegen, von Ewigbaustellen oder dem unvermeidlichen Stau, wenn man es gerade besonders eilig hat.
Auch deshalb ist die Verkehrspolitik ein gesetztes Thema für den aktuellen Bezirkswahlkampf und für den um die Bürgerschaftsmandate im kommenden Jahr. Die Opposition wähnt Hamburgs Verkehr im Chaos versinken, der Senat dagegen sieht die Hansestadt auf gutem, bundesweit vorbildlichen Weg bei der ersehnten Verkehrswende. Aber was stimmt denn nun? Eine Bestandsaufnahme.
Staus, Busse, Unfälle – Hamburgs Verkehr im großen Faktencheck
Eines der am häufigsten bemühten Themen ist der Stau, besonders beliebt bei der CDU. Kein Wunder, kürt doch etwa das Navigationsunternehmen TomTom Hamburg immer wieder zum deutschen Staumeister. Demnach brauchten Autofahrer hier im Jahr 2023 für eine Zehn-Kilometer-Strecke im Durchschnitt 23 Minuten und 50 Sekunden – der höchste Wert aller deutschen Metropolen. Hamburg ist laut TomTom die „langsamste Stadt“ Deutschlands.
Das Naviunternehmen selbst räumt jedoch ein, dass dies vor allem an der Struktur Hamburgs mit seinen vielen Brücken und Tunneln und dem Hafen liege – und nicht unbedingt an verfehlter Politik. Hinzu kommt: Bisweilen gibt es Kritik an der Art, wie TomTom seine Daten erhebt und auswertet. Bei Untersuchungen des konkurrierenden Verkehrsinformationsanbieters INRIX, der mit einer anderen Methodik arbeitet, schneidet Hamburg in Sachen Verkehrsbehinderungen meist deutlich besser ab als München und Berlin.
Verkehr Hamburg: Risiko im Stau steckenzubleiben deutlich erhöht
Allerdings stellte auch der ADAC durch eigene Datenanalysen fest: Im Vergleich zu 2010, dem letzten Regierungsjahr der CDU in Hamburg, sei die „Wahrscheinlichkeit, im Stau stecken zu bleiben, heute um 30 Prozent höher“. Gründe: Die Zahl der Lieferdienstfahrten für Amazon und Co hat sich laut ADAC seit 2010 verdoppelt. Außerdem sei das Verkehrsaufkommen insgesamt gewachsen, und zugleich sei dem Autoverkehr vermehrt Fläche für Busse oder Fahrräder weggenommen worden, so der ADAC.
Hinzu kommen die zahlreichen Baustellen in der Stadt und auf der A7 (Sanierung und Autobahndeckel). Dass es davon so viele gibt, hat auch damit zu tun, dass frühere Regierungen nicht genug in den Erhalt der Infrastruktur investiert haben und nun viel nachgeholt werden muss. Man kann dabei nicht beides beklagen, wie es die Opposition bisweilen tut: marode Straßen und zu viele Baustellen, die dann eben auch zu Staus führen können. Etwas Entlastung immerhin bringt das Homeoffice, das seit der Corona-Pandemie in vielen Unternehmen möglich ist und die Pendlerfahrten laut ADAC um 20 Prozent reduziert hat.
Fazit: Ein exakter Vergleich ist nicht möglich, es deutet aber einiges darauf hin, dass es heute mehr Staus als im letzten Regierungsjahr der CDU 2010 in Hamburg gibt. Das wäre aber nicht ausschließlich dem aktuellen Senat anzukreiden. Mit den jahrzehntelangen Bauarbeiten zu U5 oder anderen Großprojekten wie dem Verbindungsbahnentlastungstunnel (VET) und der dringend nötigen Sanierung von maroden Straßen und Brücken wird sich die Situation künftig eher noch verschärfen.
Baustellen: Werden sie wirklich optimal koordiniert oder geht das besser?
Gerne und häufig wird dem Senat vorgeworfen, dass Baustellen nicht gut koordiniert würden. Der ADAC lobt dagegen, dass sich die Koordinierung seit 2010 durch neue Stellen verbessert habe. Laut Verkehrsbehörde gibt es derzeit 180 Baustellen auf Hamburger Autobahnen, Bundes- und Hauptverkehrsstraßen. Bei den meisten gehe es um Leitungsarbeiten (Wasser, Gas, Strom, Glasfaser). Viele Leitungen, etwa die für Wasser, seien stark sanierungsbedürftig, die Arbeiten würden, wenn möglich, mit den Straßensanierungen kombiniert. Bezieht man alle Straßen und Wege der Stadt ein, so gibt es pro Jahr in Hamburg nach Schätzungen der Verkehrsbehörde mehr als 20.000 Baustellen. Die sieben Bezirke organisieren ihre Bauarbeiten selbst – ebenso wie die Bahn und die für die Autobahn zuständige Autobahn GmbH des Bundes und Deges.
Der ADAC wirft den Beteiligten vor, sich nicht immer genügend abzustimmen, sodass große Vorhaben zum Nachteil der Autofahrer oft parallel durchgeführt würden. Die CDU moniert derweil, dass Straßen häufig mehrfach hintereinander gesperrt und aufgerissen würden und zudem auf kaum einer Baustelle im Mehrschichtbetrieb gearbeitet werde, was die Arbeiten in die Länge ziehe. Allerdings ist Nachtarbeit auf innerstädtischen Baustellen oft aus Gründen des Lärmschutzes nicht möglich, wie es dazu stets aus dem Senat hieß.
Fazit: Die vielen notwendigen Baustellen lassen sich nicht wegkoordinieren: Wat mutt, dat mutt. Bei der Koordinierung und der Information der Autofahrer ist aber noch viel Luft nach oben.
Verkehr Hamburg: Die Straßen sind in keinem sehr guten Zustand
Viele Hamburger Straßen sind in schlechtem Zustand. Das zeigt beispielhaft eine Antwort des Senats auf eine CDU-Anfrage, nach der es allein im Januar dieses Jahres 59 Unfälle nur „aufgrund von Schädigungen der Straßenfläche“ gegeben hat. An Dutzenden Straßen in Hamburg mussten demnach mittlerweile wegen der Schäden Warnhinweise aufgestellt werden. Die Situation hat sich seit 2010 eher noch verschärft. Gleichwohl hat das gesamte Netz laut Verkehrsbehörde beim 2022 zuletzt vorgelegten Straßenzustandsbericht gerade noch eine Schulnote 2- bekommen.
Immerhin investiert der aktuelle Senat nun deutlich mehr in die Sanierung der Straßen als die CDU-Senate bis 2010. Seit Regierungsübernahme des aktuellen rot-grünen Senats im Jahr 2020 wurden jährlich zwischen 197 und 175 Straßenkilometer saniert, laut Verkehrsbehörde ein absoluter Höchststand.
Fazit: Das Problem ist erkannt, gebannt aber noch lange nicht. Wäre genügend Personal und Geld dafür vorhanden, müsste eigentlich noch mehr und schneller saniert werden. Dann gäbe es aber noch mehr Baustellen und Staus.
Zahl der privaten Pkw stieg lange schneller als die der Hamburger Einwohner
Gestritten wird auch über die Bedeutung der privaten Pkw für den Verkehr. Ziel des Senats ist es, den Anteil des Autoverkehrs am gesamten Verkehrsaufkommen weiter zurückzudrängen. Die CDU verweist dagegen auf die noch immer große Bedeutung des Pkw für viele Bürger. Dabei zeigte sich zuletzt eine paradoxe Entwicklung. Zwar ist die Zahl der in Hamburg gemeldeten privaten Pkw zwischen 2010 und 2023 laut Kraftfahrtbundesamt deutlich gestiegen: von 581.783 auf 645.494. Die Zahl der Pkw in Hamburg wuchs dabei sogar die meiste Zeit über schneller als die der Einwohner. Zugleich wurden private Autos aber immer weniger genutzt: Seit dem Jahr 2000 ging der Kfz-Verkehr in Hamburg laut Verkehrsbehörde um 16 Prozent zurück. Seit 2022 ist nun auch die absolute Zahl der in Hamburg gemeldeten Privat-Pkw und die der Pkw pro Einwohner erstmals leicht gesunken. Ob das eine Momentaufnahme bleibt oder zu einem echten Trend wird, ist noch unklar.
„Der Zuwachs von Pkw, in Hamburg lange Zeit fast 10.000 pro Jahr, ist ein großes Problem für Städte“, sagt Verkehrswissenschaftler Prof. Carsten Gertz von der TU Hamburg. „Denn die Hälfte davon steht rund 23 Stunden pro Tag im öffentlichen Raum herum, und dieser Raum ist in Städten nun mal knapp. Es sind nach Berechnungen der Verkehrswissenschaft nur maximal zehn Prozent aller Pkw gleichzeitig im Einsatz. Das zeigt, wie ineffektiv wir im privaten Personenverkehr sind.“
Fazit: Das Privatauto verliert langsam ein wenig an Bedeutung im Hamburger Verkehrsgeschehen. Das ist ein gutes Zeichen für die Verkehrswende, denn Pkw sind in der Gesamtbetrachtung extrem ineffizient: Sie verbrauchen sehr viel Platz und Energie pro Person. Allerdings ist die Nutzung aus der Sicht des Einzelnen oftmals noch immer sinnvoll. Denn man kommt gerade in den Außengebieten mit dem Auto häufig noch immer schneller (und bequemer) ans Ziel als mit dem HVV. Auch deshalb erbringt der „Motorisierte Individualverkehr“ (MIV) nach der letzten großen Erhebung von 2022 in Hamburg immer noch die größte Verkehrsleistung (gemessen in Personenkilometern pro Tag), etwas mehr als der HVV mit Bussen und Bahnen.
Verkehr Hamburg: Die Zahl der Parkplätze geht in Hamburg kontinuierlich zurück
Parkplätze gibt es in Hamburg zuletzt immer weniger. Laut Senatsantworten auf CDU-Anfragen fallen allein in der laufenden Wahlperiode fast 4000 durch Umbaumaßnahmen weg. Der ADAC moniert zudem, dass das Querparken nun verboten sei, was ebenfalls viele Parkplätze koste. Auch sei es falsch gewesen, die Pflicht abzuschaffen, beim Wohnungsbau pro Wohneinheit 0,8 Stellplätze zu errichten. Diese Pflicht allerdings würde das ohnedies extrem kostspielig gewordene Bauen weiter verteuern. Der Senat betont stets, dass es keine gezielte Vernichtung von Parkplätzen gebe und die Zahl der wegfallenden Plätze gering sei – gemessen an den rund 185.000 Parkplätzen innerhalb des „Ring2+“.
Das umstrittene Bewohnerparken führt laut Erhebungen der Verkehrsbehörde sogar dazu, dass mehr Parkraum für Anwohner zur Verfügung steht. Die scharfe Kritik von Handwerkern und anderen Gruppen beeindruckte den Senat dann aber schon, und der Verkehrssenator verhängte einen Ausbaustopp. Verkehrswissenschaftler Prof. Gertz hält Maßnahmen wie die Verknappung und Verteuerung von Parkraum dagegen für notwendig, um die Menschen zum Umstieg auf andere Verkehrsmittel zu bewegen. Ein besseres HVV-Angebot allein sei dafür nicht ausreichend.
Fazit: Der Parkraum in Hamburg nimmt ab. Auch wenn der Verkehrssenator das nicht zugeben würde: Die Verknappung ist auch ein Hebel zur Beförderung der Verkehrswende. Der Abbau von Parkplätzen fällt allerdings vergleichsweise moderat aus und nicht so dramatisch, wie die CDU es gern darstellt. Im Übrigen ist der Platz in der Stadt begrenzt, und wenn man breitere Fuß- oder Radwege will, müssen bisweilen eben auch mal Parkplätze weichen.
Radwege Hamburg: Rot-grüner Senat erreicht eigene Zielvorgaben nicht
Beim Ausbau der Radwege kommt die Stadt derweil langsam, aber sicher voran. Allerdings hat der Senat sein selbst gestecktes Ziel von 60 Kilometern neuer Radwege pro Jahr in den drei vergangenen Jahren jeweils knapp verfehlt. Dabei hatten die Grünen sogar eine noch längere jährliche Ausbaustrecke in den Koalitionsvertrag schreiben wollen. Zum Vergleich: Während der jetzige rot-grüne Senat zuletzt immer deutlich mehr als 50 Kilometer neuer Radwege pro Jahr baute, waren es 2010, im letzten Regierungsjahr der CDU, gerade einmal 20.
Dem Fahrradclub ADFC geht der Ausbau auch heute nicht schnell genug, zudem gebe es zu selten geschützte Radstreifen. Auch Verkehrswissenschaftler Prof. Gertz hält „insbesondere in den Bezirken weitere Qualitätsverbesserungen des Radwegenetzes für erforderlich“.
Fazit: Der Senat müht sich, es gibt sichtbare Fortschritte, aber von der proklamierten „Fahrradstadt“ ist Hamburg noch weit entfernt.
Radverkehr in Hamburg hat sich laut Senat seit dem Jahr 2000 etwa verdoppelt
Der Radverkehr hat sich in Hamburg laut Verkehrsbehörde seit dem Jahr 2000 etwa verdoppelt. Allerdings sind die Daten nicht alle gut vergleichbar. Denn ein echtes Verkehrszählnetz mit Wärmebbildkameras ist erst seit 2020 schrittweise eingeführt worden, vorher wurde an bestimmten Orten und einzelnen Tagen manuell gezählt.
Die CDU bezweifelt denn auch regelmäßig die Angaben aus dem Senat und verwies kürzlich darauf, dass der Radverkehr etwa im ersten Quartal 2024 gegenüber dem Vorjahreszeitraum zurückgegangen sei. Das begründete die Verkehrsbehörde mit dem schlechten Wetter im Januar.
Fazit: Der Radverkehr gewinnt in Hamburg immer mehr an Bedeutung, das zeigen nicht nur die Zahlen, das merkt man auch, wenn man in der Stadt unterwegs ist. Das Auto als derzeit noch wichtigstes Verkehrsmittel ablösen wird das Fahrrad aber nicht. Dafür ist die Stadt zu groß und es gibt zu viel Schietwetter.
Trotz Busbeschleunigung: Busse heute langsamer unterwegs – aber mit deutlich höherer Kapazität
Als Olaf Scholz 2011 Bürgermeister wurde, entschied er sich gegen den Bau einer Stadtbahn. Stattdessen legte er das Projekt der Busbeschleunigung auf. Gemessen am eigenen Anspruch war das nicht erfolgreich, denn heute sind die Busse langsamer in der Stadt unterwegs und zuletzt auch unpünktlicher. Allerdings transportieren sie heute deutlich mehr Menschen. Im vergangenen Jahr erreichte die Zahl der Fahrgäste der Busse von Hochbahn und VHH mit 321 Millionen laut Verkehrsbehörde einen absoluten Höchststand – was sicher auch am 49-Euro-Ticket liegt. Weil die Busse also nicht schneller geworden sind, aber ihre Kapazitäten deutlich ausgeweitet haben, wurde das Busbeschleunigungsprogramm umgetauft in Busoptimierungsprogramm.
CDU und Linke weisen zu Recht darauf hin, dass Busse eben auch im Stau stehen (siehe oben), dort wo sie keine eigenen Spuren haben. Mithin seien die Busse kein optimales Verkehrsmittel. Der Unterschied: Die CDU hat sich von einer Stadtbahn als Alternative verabschiedet, die Linke hält daran fest. SPD und Grüne hatten zuletzt eine ergänzende Einführung zur im Bau befindlichen U5 nicht mehr für alle Zeiten ausgeschlossen. Pläne dafür gibt es aber laut Verkehrsbehörde nicht.
Fazit: Auch wenn die versprochene Beschleunigung nicht erreicht wurde, ist das Hamburger Bussystem durchaus leistungsfähig und konnte seine Kapazitäten erhöhen. Allerdings ist der Busverkehr eben auch von den vielen Staus und Baustellen betroffen und daher sicher nicht das optimale Verkehrssystem. Die Stadtbahn bleibt als mögliche Ergänzung des Netzes eine Option für die Zukunft.
Verkehr Hamburg: Ambitionierte Pläne beim Ausbau des Schnellbahnnetzes
U- und S-Bahnen haben viele Vorteile gegenüber Bussen: Sie stehen nicht im Stau und sind dadurch in der Regel zuverlässiger und können mehr Menschen auf einmal transportieren als alle anderen städtischen Verkehrsträger. Es ist wohl davon auszugehen, dass die Hamburger Schnellbahnen im laufenden Jahr einen Fahrgastrekord aufstellen werden – auch wegen des Deutschlandtickets. Laut HVV jedenfalls liegen die Zahlen im gesamten Netz des Verkehrsverbundes im laufenden Jahr bisher auf Rekordhöhen. Die Stadt hat sich beim Ausbau des Schnellbahnnetzes sehr viel vorgenommen.
Das größte Vorhaben ist der Bau der U5, die auf der Gesamtstrecke von knapp 25 Kilometern zwischen Bramfeld, Hauptbahnhof und den Arenen im Jahr 2040 den Betrieb aufnehmen soll. Im Osten laufen die Bauarbeiten bereits. Begonnen haben auch die Arbeiten zur Verlängerung der U4 bis auf die Horner Geest und zur S4 (Ost) von Altona nach Bad Oldesloe. Die AKN-Strecke zwischen Eidelstedt und Kaltenkirchen wird derzeit ertüchtigt.
Geplant ist überdies der Neubau einer Haltestelle Fuhlsbüttler Straße auf der U3, die Verlängerung der U4 auf den Grasbrook und die Verlegung der S-Bahn-Strecke zwischen Dammtor und Altona in einen Tunnel, den sogenannten Verbindungsbahnentlastungstunnel (VET), um oberirdisch mehr Platz für den Bahn-Fernverkehr zu schaffen. Mithilfe eines digitalen Stellwerks sollen die Kapazitäten des gesamten S-Bahn-Netzes deutlich erweitert werden – wenn der Bund denn die Mittel dafür freigibt.
Hamburgs Verkehr im Faktencheck: Modernisierung der Schnellbahnen wird unangenehm
Zudem werden viele S-Bahn-Strecken ertüchtigt, um die Taktungen erhöhen zu können. Richtung Harburg wird mit der S6 zudem eine Verstärkerlinie eingerichtet. Gerade die Hamburger, die südlich der Elbe wohnen, haben in den vergangene Jahren schmerzlich zu spüren bekommen, wie dringend nötig Modernisierung und Ausbau hier sind. Erneuert werden muss bekanntlich auch die Sternbrücke, und an der Eisenbahnüberführung Ferdinandstor arbeitet die Bahn auch in diesem Jahr.
Die CDU begrüßt die ambitionierten Ausbaupläne, schlägt weitere Ergänzungen vor, moniert aber, dass die Schnellbahnen in Hamburg zuletzt zu unpünktlich seien. Die Linke kritisiert, dass die U5 und die S6 nach Osdorf viel zu spät fertig würden und plädiert daher weiter für eine Stadtbahn. Die sei schneller errichtet und koste weniger.
Fazit: Die Schnellbahnen sind aufgrund ihrer Zuverlässigkeit und hohen Kapazitäten ein wesentlicher Baustein der Verkehrswende. Es ist richtig, das Netz zu modernisieren und auszuweiten – auch dies wird allerdings etwa bei der U5 und dem VET über Jahre zu massiven Verkehrsbehinderungen führen.
Sorgenkind Hauptbahnhof: Vollkommen überlastet und lange auch ein Kriminalitätsschwerpunkt
Ein Sorgenkind der Verkehrspolitik ist und bleibt wohl noch lange der Hauptbahnhof. Der mit rund 550.000 Reisenden pro Tag meistfrequentierte deutsche Bahnhof platzt aus allen Nähten, auch weil hier nicht nur Fernzüge, sondern auch U- und S-Bahnen fahren – in Europa gibt es nur am Gare du Nord in Paris mehr Fahrgäste. Deswegen soll der Hauptbahnhof erweitert werden. Zuletzt aber machten nicht die Ausbaupläne Schlagzeilen, sondern die massive Kritik an hoher Kriminalität, mangelnder Sauberkeit und der unübersehbaren Präsenz von obdachlosen und drogenkranken Menschen, die manchen Reisenden irrtiert.
Die CDU kritisiert den rot-grünen Senat in Sachen Hauptbahnhof regelmäßig und scharf. Schon 2010 sei die Überlastung des Bahnhofs von der Deutschen Bahn angezeigt worden, bis auf Planungen sei aber bisher wenig passiert. Der Hauptbahnhof sei derzeit der „gefährlichste Bahnhof Deutschlands“, hieß es mit Blick auf die Kriminalitätszahlen, auch durch „Verelendung“ und offenen Drogenhandel sei das Sicherheitsempfinden der Hamburger, aber auch der Touristen beeinträchtigt.
Verkehr Hamburg: U5 im Hauptbahnhof wird Passagieraufkommen weiter erhöhen
Der Senat reagierte im vergangenen Jahr, rief eine „Allianz sicherer Hauptbahnhof“ aus Hamburger Polizei, Bundespolizei, DB Sicherheit und Hochbahnwache ins Leben und erhöhte die gemeinsame Präsenz am Hauptbahnhof, verfügte ein Waffenverbot und legte eine Alkoholverbotszone fest. Zudem wurde aus dem Senat betont, dass der Hamburger Hauptbahnhof zwar in absoluten Zahlen die höchste Kriminalität deutscher Bahnhöfe aufweise, setze man die Zahl der Delikte aber in Relation zur (in Hamburg besonders hohen) Zahl der Passagiere, sei Hamburg mitnichten der „gefährlichste Bahnhof Deutschland“. Um die Sauberkeit zu verbessern, wurden im vergangenen Jahr auch die Reinigungsintervalle erhöht. Was die Überlastung angehe, so habe die Bahn auf einigen Gleisen Aufsichtsgebäude oder Warenautomaten abgebaut, um mehr Platz zu schaffen, so der Senat. Zudem seien zusätzliche Treppen errichtet worden.
Fazit: Der Hauptbahnhof bleibt das große Nadelöhr und ein potenzieller Brennpunkt, belastet nicht nur durch die täglichen Passagiermassen, sondern auch durch Kriminalität und viele obdachlose und drogenkranke Menschen, die sich hier durch die Nähe zum Drogenkonsumraum „Drob Inn“ häufig aufhalten. Dass auch die U5 durch den Hauptbahnhof führen soll, wird das Passagieraufkommen weiter erhöhen. Den Hauptbahnhof im laufenden Betrieb zu erweitern und ihn zugleich sicher, sauber und ansehnlich zu erhalten, das wird eine der größten Herausforderungen der kommenden Jahre – eine gemeinsame Herkulesaufgabe für die Stadt und die Deutsche Bahn.
Verkehr Hamburg: Bei der Sicherheit gibt es keine durchschlagenden Fortschritte
Wie aber steht es bei all dem um die Sicherheit im Hamburger Verkehr? Eines ist klar: Von der oft bemühten „Vision Zero“, nach der es null Verkehrstote geben soll, ist Hamburg meilenweit entfernt. Und es zeichnet sich bei den absoluten Zahlen auch keine Verbesserung seit 2010 ab, dem letzten Jahr der CDU-Regierung in Hamburg. Damals zählte die Polizei 22 Verkehrstote, im Jahr 2023 waren es 28. Auch die Zahlen der bei Unfällen Verletzten stieg leicht an, die Gesamtzahl der Unfälle dagegen ging moderat zurück: von 64.346 im Jahr 2010 auf 63.583 im Jahr 2023. Mithin: Es hat sich nicht wirklich viel verbessert an der Sicherheit auf Hamburgs Straßen und Wegen.
Besonders bedrückend ist der Anstieg bei der Zahl der verunglückten Kinder von 424 im Vor-Corona-Jahr 2019 auf 447 im Jahr 2023. Zwei Kinder wurden im vergangenen Jahr im Hamburger Verkehr getötet, 2019 war es eines. Die Zahl der Unfälle mit Radfahrern stieg zwischen 2019 und 2023 von 3543 auf 4037 – wohl auch eine Folge des zunehmenden Radverkehrs. Die Zahl der getöteten Fahrradfahrer sprang im selben Zeitraum von vier auf neun. Mit den E-Rollern gab es im vergangenen Jahr 727 Unfälle, deutlich mehr als im ersten vollen Jahr der Nutzungsmöglichkeit 2020 (220 Unfälle), aber weniger als 2022 (860). Zuletzt war die Nutzung der E-Roller etwas zurückgegangen. Die CDU spricht mit Blick auf die Unfallzahlen insgesamt von einer „düsteren Bilanz“, die Linke plädiert für Tempo 30 auf allen Straßen.
Die Innenbehörde dagegen bewertet die jüngsten Entwicklungen insgesamt positiv. „Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass sich das Verkehrsunfallaufkommen, trotz Schwankungen im Jahresvergleich, auf einem gleichbleibenden Niveau befindet“, so die Analyse aus dem Senat. „Da jedoch im Vergleichszeitraum sowohl die Einwohnerzahlen als auch die Kfz-Zulassungszahlen eine deutliche Steigerung erfahren haben, wird die Sicherheit im Straßenverkehr heute deutlich höher eingeschätzt.“ Diese Interpretation allerdings passt nur bedingt zu den Aussagen aus der Verkehrsbehörde, nach denen der Autoverkehr (trotz Anstiegs der Pkw-Zahlen) in den letzten Jahren kontinuierlich abgenommen habe.
Fazit: Man kann es sich nicht wirklich schönrechnen: In Sachen Verkehrssicherheit sind in Hamburg auch unter SPD- und rot-grünen Senaten keine echten Fortschritte zu erkennen. Um die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer zu gewährleisten und Fortschritte auf dem Weg zur „Vision Zero“ zu machen, muss der Senat deutlich mehr tun als bisher.
Und wie weit ist Hamburg nun also bei der viel beschworenen Verkehrswende?
Wie weit ist Hamburg also alles in allem bei der Verkehrswende weg vom Auto und hin zum sogenannten Umweltverbund (Öffentlicher Personennahverkehr, Radfahren, Zufußgehen), der weniger Platz pro Person beansprucht und weniger Energie verbraucht? Der Senat sieht eine positive Entwicklung, denn der Vergleich von umfangreichen Befragungen aus den Jahren 2008, 2017 und 2022 zum Mobilitätsverhalten zeigt: Der Anteil des „Motorisierten Individualverkehrs“ (MIV) am gesamten Verkehrsgeschehen ging von 39 Prozent im Jahr 2008 über 36 Prozent im Jahr 2017 auf 32 Prozent im Jahr 2022 zurück. Parallel stieg der Anteil des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) von 19 über 22 auf 24 Prozent.
Der Anteil des Radverkehrs wuchs von 13 über 15 auf 22 Prozent. Abgenommen hat dagegen die Bedeutung des Zufußgehens, sein Anteil sank von 29 über 27 auf 22 Prozent. Die Entwicklung dieses sogenannten Modal Split, der die Bedeutung der einzelnen Verkehrsträger zeigt, geht also in die richtige Richtung: Der Autoverkehr nimmt ab, dafür wird mehr mit Bussen und Bahnen und dem Rad gefahren. Ziel des Senats ist es, dass der Anteil des Autoverkehrs im Jahr 2030 bei nur noch 20 Prozent liegt und 80 Prozent der Strecken im Umweltverbund zurückgelegt werden.
Großer Faktencheck: Kann der Senat den Anteil des Autoverkehrs auf unter 20 Prozent drücken?
Die laufende Verkehrswende führt auch dazu, dass die Flächen in der Stadt neu verteilt werden. Für die Bezirke Mitte, Eimsbüttel und Nord hat der Senat dem Abendblatt Daten aus einer Feinkartierung vorgelegt, aus denen hervorgeht, wie sich die Flächenanteile zwischen 2019 und heute verändert haben. Demnach ist u. a. der Anteil der Straßenfahrbahnen um 4,7 Prozent gesunken, dafür gibt es 2,1 Prozent mehr Fläche für Radfahrstreifen, 1,4 Prozent mehr für Fußwege und 2,3 Prozent mehr Platz für Busspuren und Haltestellen. Interessanterweise hat die Fläche für Parkplätze hier angeblich auch um satte 5,6 Prozent zugenommen.
Fazit: In Sachen Verkehrswende ist Hamburg zwar schon ganz gut unterwegs. Es ist allerdings fraglich, ob der Senat sein eigenes Ziel erreicht, den Anteil des Autoverkehrs von zuletzt 32 Prozent in den nur noch sechs Jahren bis 2030 auf 20 Prozent zu drücken. Dafür müsste das HVV-Angebot etwa in den Außenbereichen und die Angebote für Pendler noch sehr schnell und massiv verbessert werden. Und man müsste das Autofahren wohl auch weiter erschweren – was vermutlich zu allerlei Unmut in Teilen des Wahlvolkes führen würde.
Was Wissenschaftler und Opposition zur Hamburger Verkehrspolitik sagen
Betrachte man die Hamburger Verkehrspolitik insgesamt seit der Jahrhundertwende bis heute, so müsse man konstatieren, dass das erste Jahrzehnt ein verlorenes gewesen sei, sagt Verkehrswissenschaftler Prof. Gertz. „Es wurden damals bis auf die U4 und die Einführung des Stadtrads keine wegweisenden Entscheidungen gefällt. Es gab keinen Verkehrsentwicklungsplan, der den Namen verdient, und die Verwaltung war noch stark auf den Autoverkehr fokussiert. Andere Städte waren damals schon weiter“, so Gertz.
Seit der Regierungsübernahme der SPD 2011 allerdings habe Hamburg dann einen Aufholprozess gestartet. „Das Bussystem wurde modernisiert, Anwohnerparken eingeführt und Hamburg hat sich als Testgebiet für neue Mobilitätsformen wie Moia und das autonome Fahren aufgestellt. Ab 2013 begann die Arbeit an einem Verkehrsentwicklungsplan.“
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Zugleich habe es nun plötzlich klare EU-Vorgaben zu Lärmschutz und Luftreinhaltung gegeben, und es sei zu einem Generationswechsel in der Verwaltung gekommen. Schließlich seien der Bau der U5 und weitere Ausbaupläne des Schnellbahnsystems und des Radwegenetzes beschlossen worden. Und der ambitionierte Hamburg-Takt wurde als Ziel ausgegeben. Demnach soll man bis 2030 überall in Hamburg binnen fünf Minuten ein „öffentliches Mobilitätsangebot mit optimalem Service bei hoher Qualität erreichen können“.
Mithin: Hamburg hat sich von einer in Sachen moderner Verkehrsentwicklung eher rückständigen Stadt in manchen Bereichen zu einem Vorreiter mit sehr ambitionierten Zielen entwickelt. Weil so viel nachgeholt werden müsse, passiere nun allerdings sehr viel gleichzeitig, so Prof. Gertz. „Das führt natürlich zu einer höheren Zahl von Baustellen und Verkehrsbehinderungen.“
Verkehr Hamburg: Der Streit wird weitergehen, denn das Thema geht alle an
Die Opposition hat naturgemäß einen etwas anderen Blick auf die Verkehrspolitik des rot-grünen Senats. CDU-Verkehrspolitiker Richard Seelmaecker vergleicht sie mit dem „Blick in einen Altglascontainer“. Zu sehen sei „ein einziger grüner Scherbenhaufen“. Und CDU-Fraktionschef Dennis Thering sieht „Stau und unkoordinierte Baustellen so weit das Auge reicht“.
Das Einzige, was der Senat gut organisiere, sei das „tägliche Verkehrschaos“. Linken-Verkehrspolitikerin Heike Sudmann dagegen wirft SPD und CDU vor, sich vehement „gegen eine Umverteilung des Straßenraums für den umweltfreundlichen Verkehr“ zu stellen. Beide Parteien hätten „die Klimazeichen der Zeit nicht verstanden“. Dennis Krämer dagegen, der Sprecher des grünen Verkehrssenators Anjes Tjarks, sieht „die Mobilitätswende in Hamburg in vollem Gange“.
So oder so: Es gibt viele Unwägbarkeiten, was die Entwicklung des Verkehrs in Hamburg in den kommenden Jahren und Jahrzehnten angeht. Eines aber ist sicher: Die Verkehrspolitik wird eines der am meisten diskutierten Themen bleiben, und der Streit um die besten Lösungen wird auch kommende Wahlkämpfe dominieren. Das ist auch gut so, denn im besten Falle ist Streit ja etwas Fruchtbares. Und der Verkehr in einer Metropole wie Hamburg geht schließlich alle an.