Hamburg. Eine Band attackierte den Veranstalter wegen des Nahostkonflikts, Künstler sprangen ab. Jetzt meldet sich der Kultursenator zu Wort.

Man muss zunächst einmal sagen, dass Stefan Jonas-Stephany sich rhetorisch achtbar geschlagen hat. Und auch weltanschaulich lebt er, sagen wir es mal so: ganz und gar nicht hinterm Mond. Jonas-Stephany schrieb vor ein paar Wochen auf Instagram zum Beispiel folgende Sätze auf Englisch: „Der pazifistische Optimist in mir würde gerne zwei friedliche Staaten sehen und die Hamas inhaftiert, Netanjahu aus dem Amt und die Palästinenser frei, um zu reisen, zu arbeiten und zu lieben, wen sie wollen.“

Die derzeitige israelische Regierung unterstütze er nicht, teilte der Hamburger Veranstalter Jonas-Stephany dann noch mit. Vorausgegangen war diesem Statement der Frontalangriff einer britischen Punkband („Tripsun“), die Jonas-Stephany in den sozialen Medien als „confirmed Zionist and Genocide-Supporter“ tituliert hatte, als „bestätigten Zionisten und Genozid-Unterstützer“. Der Grund für diese Diffamierung? Jonas-Stephany folgt privat auf Instagram der NGO „Junges Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft“. Das darf man als Zeichen gegen Antisemitismus lesen.

Booze Cruise Festival: Ist der Veranstalter „Zionist“?

Die Band aus Großbritannien versuchte, Stichwort Cancel Culture, erfolgreich, die Punkrockszene gegen Stefan Jonas-Stephany zu mobilisieren. Jonas-Stephany ist Veranstalter des Booze Cruise Festivals, das seit Jahren in Hamburg und Bristol stattfindet. In diesem Jahr soll, unabhängig von den Vorgängen der vergangenen Wochen, vom 31.5. bis 2.6. die zehnte und letzte Ausgabe an Orten wie dem Hafenklang, dem Molotow und der MS „Hedi“ über die Bühne gehen. Allerdings muss das Programm nun umgestaltet werden: Einige Acts, unter ihnen der Headliner Jeff Rosenstock, haben ihre Teilnahme mittlerweile storniert. Unter anderem, weil sie, wie etwa aus einem Statement des New Yorker Musikers Rosenstock (Wikipedia-Auskunft: Mutter amerikanische Jüdin, Vater deutscher Katholik) hervorgeht, sich nun entschieden mit der Sache der Palästinenser solidarisieren wollen.

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Ein Umstand, der Jonas-Stephany nun zu weitreichenden Band-Umplanungen zwang. Der ihn überdies, die Äußerungen sind wie die ersten Angriffe auf ihn auch auf der Festivalseite dokumentiert, zu einer klaren Stellungnahme („Ich habe keine Ahnung, was Eure Großeltern zwischen 1933 und 1945 getan haben; meine waren in einige schreckliche Kriegsverbrechen verwickelt (...) – alles wegen Deutschlands Größenwahn. Ich trage die deutsche Schuld in mir und schäme mich zutiefst für unsere Vergangenheit. Ich bin dankbar, dass Juden heute in Frieden leben können, und ich verstehe, dass Israel das Recht hat, sich gegen die Hamas und andere zu verteidigen“) bewegte.

Booze Cruise Festival: Der Veranstalter wird im Internet heftig angefeindet

Jonas-Stephany („Ich wurde als Nazi, Nazijude und Schwuchtel beschimpft. Bemerkenswert finde ich, dass Homophobie jetzt auch wieder en vogue zu sein scheint“) wurde zuletzt, nachdem das Thema auf der Social-Media-Agenda aufgetaucht war, heftig im Internet angefeindet. Es gab Morddrohungen, Gewaltfantasien gegen ihn. Dem Abendblatt sagte er: „Auf der einen Seite gab es sehr viele Nachrichten von Menschen, die die Vorwürfe total sinnlos finden und sich mit mir und dem Festival solidarisch zeigen. Andererseits habe ich viele Hass-Botschaften, Fotos von toten Kindern und andere fiese Mails bekommen.“

Auch im Molotow sind Konzerte des Booze Cruise Festivals geplant.
Auch im Molotow sind Konzerte des Booze Cruise Festivals geplant. © Michael Rauhe | Michael Rauhe

Der Tumult um das im Übrigen rein privat finanzierte Booze Cruise Festival blieb auch der Kulturbehörde nicht verborgen. Auf Abendblatt-Anfrage teilte Kultursenator Carsten Brosda (SPD) mit: „Wenn wir der Lösung des Konfliktes näherkommen wollen, braucht es mehr Bemühung um Verständigung. Einige recht empathielose Posts oder aufgeregte Debatten gerade in den sozialen Netzwerken sind hier ebenso wenig hilfreich wie die schnellen Rufe nach Boykotten.“

Stefan Jonas-Stephany ist mit vielen Bands, die abgesagt haben, weiterhin im Austausch. „Ein Großteil der Bands hat weder wegen der Anschuldigung gegen mich noch wegen meines Statements abgesagt“, teilt er mit. Die meisten seien von „irgendwelchen anonymen Internet-Maulhelden bedroht und unter Druck gesetzt“ worden, „wir versuchen jetzt ein paar Bands umzustimmen, doch noch zu spielen und etwaige Anfeindungen gemeinsam durchzustehen.“

Veranstalter Stefan Jonas-Stephany: „Fand mich in der Rolle des Nahostexperten wieder“

Wie es um die Haltung der Konzertgängerinnen und -gänger derzeit in Hamburg steht, konnte man etwa zuletzt in der Sporthalle begutachten, wo einige Besucher von „Viva Palestine“-Rufen auf der Bühne irritiert waren. Auf Kampnagel wurde dagegen zuletzt ein Song, der der Hilfsorganisation Palestine‘s Children Relief Fund gewidmet wurde, mit lautem Applaus bedacht.

Jonas-Stephany berichtet, dass in seiner „Festival-Bubble“ gleichermaßen Israels Krieg und die Attentate vom 7. Oktober verurteilt würden. Er habe sich trotzdem in den letzten Wochen „in der Rolle eines Geschichtslehrers, Nahost-Experten und Vermittlers in einer Person“ wiedergefunden. Und sagt weiter: „Ich hoffe, dass ich zumindest dazu beigetragen habe, dass mehr Menschen verstehen, dass ich, wie viele Juden und israelische Staatsbürger, die israelische Regierung scharf kritisieren kann, ohne das Existenzrecht Israels in Frage zu stellen.“

Kultursenator Carsten Brosda: „Niemand darf Israel Existenzrecht absprechen“

Auch für Kultursenator Brosda ist die Eskalation – sie ist beileibe kein Einzelfall in der aufgeheizten Atmosphäre, die anlässlich des Kriegs im Nahen Osten auch in der westlichen Welt herrscht – durchaus ein Ärgernis. „Der Nahost-Konflikt ist einer der schwierigsten Konflikte in der Welt. Anscheinend verlieren da manche immer wieder die Orientierung“, sagte er dem Abendblatt. Selbstverständlich könne das Handeln der israelischen Regierung kritisiert werden. Dabei dürfe allerdings „auch das Schicksal der Geiseln nicht außer Acht gelassen werden, die immer noch in der Hand der Hamas sind“.

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Booze Cruise Festival bei Punkrock-Fans hoch angesehen

1000 Menschen sind zuletzt immer zum Booze Cruise Festival gekommen. Bei Punkrock-Fans ist es hoch angesehen. Jonas-Stephany („Viele Bands passen mittlerweile ihre Tourpläne an unser Festival an, und in Plattenrezensionen wird vom „Booze Cruise Sound“ gesprochen“) glaubt, dass die unabhängig von den Querelen getroffene Entscheidung, nach zehn Ausgaben aufzuhören, richtig ist. Man ist jetzt irgendwie doch auf dem Höhepunkt. Humor hat der gute Mann übrigens, er sagt: „Unser letztes Festival habe ich mir natürlich trotzdem anders vorgestellt, aber da würde ich gern mal unser aller Vorbild zitieren.“

Wer das angeblich ist? Der große Patrick Swayze. Der sagt in „Dirty Dancing“, wir erinnern uns: „Ich tanze immer den letzten Tanz der Saison. In diesem Jahr hat es mir einer verboten. Aber ich lasse mir nichts verbieten. Ich werde tanzen.“ Was für Patrick Swayze gelte, so Stefan Jonas-Stephany, „gilt dieses Jahr auch für uns, ‚The Time Of Our Lives‘ und los.“