Hamburg. Aktivist Gilbert Kallenborn wirft Joe Adade Boateng von Muslim Interaktiv „antisemitische Volksverhetzung“ vor. Wie er argumentiert.

Er bezeichnet sich selbst als „antifaschistischen Aktivisten“ und als einen „Kampfjuden“. Dass er in juristischen Auseinandersetzungen einen langen Atem hat, hat der 69 Jahre alte Gilbert Kallenborn in den vergangenen drei Jahrzehnten häufig bewiesen. Jetzt geht der Rentner aus Dillingen/Saar gegen die Islamisten-Szene in Hamburg vor. Kallenborn hat Strafantrag gegen den Top-Islamisten Joe Adade Boateng wegen „antisemitischer Volksverhetzung“ gestellt. Der 25 Jahre alte Boateng, Lehramtsstudent an der Uni Hamburg, ist Kopf und Stimme der als gesichert extremistisch eingestuften Gruppe „Muslim Interaktiv“, die hinter der Islamisten-Demonstration mit mehr als 1000 Teilnehmern am 27. April auf dem Steindamm (St. Georg) steht.

„Auf der Demonstration wurde die Schaffung eines Kalifats unter der Scharia gefordert. In einem Kalifat sind Juden und Christen wie alle aus muslimischer Sicht Ungläubigen zum Töten freigegeben. Ich bin als Jude davon persönlich betroffen“, sagt Kallenborn im Gespräch mit dem Abendblatt. Der Ruf nach einem Kalifat habe letztlich das Ziel, den Rechtsstaat und damit auch die Demokratie zu beseitigen. Der 69-Jährige, der fünf Jahre lang als Freiwilliger in einem israelischen Kibbuz lebte und zum Judentum konvertierte, sieht darin einen Verstoß gegen §130 StGB (Volksverhetzung). „Diese Demonstration hätte nie genehmigt werden dürfen“, empört sich Kallenborn.

Antisemitismus? „Kampfjude“ zeigt Hamburger Top-Islamisten nach Steindamm-Demo an

Kallenborn hat seinen Strafantrag an den Leitenden Oberstaatsanwalt Ralf Peter Anders, den Leiter der Staatsanwaltschaft, per Einschreiben gerichtet, das am 3. Mai ausgeliefert wurde, wie sich aus der dem Abendblatt vorliegenden „Sendungsverfolgung“ ergibt. „Der Zentralstelle Staatsschutz der Generalstaatsanwaltschaft liegt die Strafanzeige des Herrn Gilbert Kallenborn bislang nicht vor. Auch in der politischen Abteilung der Staatsanwaltschaft war eine solche Anzeige nicht bekannt“, sagte Oberstaatsanwältin Mia Sperling-Karstens am Dienstagnachmittag. Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft bestätigte allerdings, dass zwei andere Strafanzeigen gegen die Islamisten-Demo gestellt worden seien, ohne Details zu nennen. Außerdem hat die Anklagebehörde von sich aus Ermittlungen aufgenommen.

Kallenborn belässt es nicht bei dem juristischen Vorstoß, sondern will auch politisch gegen die Islamisten-Szene in Hamburg vorgehen. Der Saarländer hat zwei Petitionen an den Eingabenausschuss der Bürgerschaft gerichtet. Zum einen geht es ihm darum, dass keine weiteren „islamistischen Pro-Hamas-, Pro-Palästina- und Pro-Kalifat-Demonstrationen in arabischer Sprache, in jeder ausländischen Sprache“ genehmigt werden. „Die Amtssprache ist Deutsch, nicht Arabisch“, sagt Kallenborn. Anträge zu Genehmigungen für Demonstrationen müssten in deutscher Sprache eingereicht werden. „Das ist auch geschehen seitens Herrn Joe Adade Boateng, selbst ernannter ,Imam Racheed‘, für die skandalöse Pro-Kalifat-Demonstration am 27. April“, schreibt der Saarländer in der Begründung für seine Petition.

Saarländischer Aktivist Kallenborn hat auch zwei Petitionen an die Bürgerschaft gerichtet

Während der Demo seien dann aber Poster und Plakate in arabischer Sprache gezeigt worden. „Per Megafon wurden unzählige Rufe regelrecht geschrien, ebenfalls in arabischer Sprache“, so Kallenborn in seiner Petition. Polizeibeamte seien mit der Überwachung des Protestzuges auch mangels entsprechender Sprachkenntnisse und nur wenigen Arabisch-Dolmetschern überfordert gewesen. Boateng habe von einer Bühne aus per Lautsprecher einige Sätze auf Arabisch vorgegeben, die dann „sofort von 1250 Personen übernommen, erweitert und mit geballten Fäusten als Zeichen der Gewaltbereitschaft weitergebrüllt wurden“.

Der 69 Jahre alte Gilbert Kallenborn (hier auf einem Foto aus dem Jahr 2018) kämpft seit Jahrzehnten mit juristischen Mitteln gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus.
Der 69 Jahre alte Gilbert Kallenborn (hier auf einem Foto aus dem Jahr 2018) kämpft seit Jahrzehnten mit juristischen Mitteln gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus. © picture alliance / Jasper Rothfels/dpa | Jasper Rothfels

„Das hohe Gut der Versammlungsfreiheit garantiert nach dem Versammlungsrecht Demonstrationen in deutscher Sprache, es garantiert nicht Hetze. Bei Islamisten kann man fundiert von einer gesicherten antisemitischen, antiwestlichen und antidemokratischen Hetze ausgehen“, schreibt der Saarländer. Die zweite Petition richtet sich gegen den bei der Demo begangenen Verstoß gegen das Vermummungsverbot. „Auf Fotos von der Demonstration sind etliche Frauen zu sehen, die den Niqab tragen, sodass nur ihre Augen zu sehen sind“, sagt Kallenborn, der sich auf ein Urteil des Oberlandesgerichts Dresden aus dem Jahr 2013 beruft, nach dem das Vermummungsverbot uneingeschränkt gilt.

Die Gruppe „Muslim Interaktiv“ hat für kommenden Sonnabend erneut eine Demo angekündigt

Der Saarländer kritisiert auch, dass die Polizei nicht gegen die Vermummung der Demonstrationsteilnehmerinnen eingeschritten ist, macht aber die politischen Vorgaben dafür verantwortlich. „Die Hamburger Polizei hat das Versammlungsrecht nicht durchgesetzt und sich dadurch zu Statisten gemacht“, sagt Kallenborn.

Massive Kritik an der Islamisten-Demo kommt auch vom Interreligiösen Forum Hamburg. „Wir verurteilen entschieden das martialische Auftreten von Extremisten, die unter dem Deckmantel der Religion antidemokratische und verfassungsfeindliche Ziele verfolgen. Diese Aufmärsche verfolgen das Ziel, Hass zu säen und die Gesellschaft zu spalten“, heißt es in einer Erklärung des Vorstandes des Forums, dem Bischöfin Kirsten Fehrs, Landesrabbiner Shlomo Bistritzky, Özlem Nas vom Rat der islamischen Gemeinschaft (Schura) und Nils Clausen von der Buddhistischen Religionsgemeinsaft angehören. Die Demonstrationen der Gruppe „Muslim Interaktiv“ diskreditierten insbesondere Musliminnen und Muslime, „die einfach nur friedlich ihren Glauben leben wollen“.

Die Gruppe „Muslim Interaktiv“ hat für den kommenden Sonnabend, 11. Mai, erneut eine Demonstration unter dem Motto „Gegen Zensur unserer islamischen Werte und Meinungsdiktat“ auf dem Steindamm aufgerufen. Noch ist nicht entschieden, ob die Protestaktion von der Polizei als Versammlungsbehörde genehmigt wird. Ein breites Bündnis von Parteien und Verbänden hatte bereits am vergangenen Sonnabend eine Gegendemo mit mehr als 1000 Teilnehmern abgehalten.

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Der Verein Säkularer Islam und die Kurdische Gemeinde, die mit zu der Gegendemo aufgerufen hatten, fordern Senat und Bürgerschaft jetzt auf, „dass die öffentliche Verhöhnung unseres Rechtsstaates nicht erneut stattfindet und ggf. durch Kontrollen festgestellt wird, wer gegen unseren Rechtsstaat demonstriert“. Außerdem sollten „die demokratiefeindlichen Aktivitäten von ,Muslim Interaktiv‘ und ähnlichen Organisationen, vor allem in den sozialen Medien wie TikTok, Instagram und Facebook unterbunden werden“. Zudem solle „Muslim Interaktiv“ als Nachfolgeorganisation der verbotenen Hisb-ut-Tahrir mit einem Betätigungsverbot belegt werden.