Hamburg. Woher kommt die Empfindlichkeit? Im Nochtspeicher in Hamburg wurde über aktuelle Empörungskultur diskutiert.

Stößt die Kultur an immer engere Grenzen? Wie passiert es, dass – wie im Fall Lisa Eckhart beim Harbour Front Literaturfestival – eine kontrovers diskutierte Kabarettistin wegen Sicherheitsbedenken erst aus- dann wieder eingeladen wird? Ist die Freiheit der Kunst gar bedroht?

Der Begriff „Cancel Culture“ hat in den vergangenen Monaten eine ziemliche Wucht bekommen. Gemeint ist der Boykott von Personen, denen diskriminierende Aussagen oder Handlungen vorgeworfen werden. Immer wieder hatte es zuletzt Fälle gegeben.

Diskussion im Nochtspeicher: Jeder Fall ist anders

Grund genug für den Nochtspeicher – dort hätte Eckhart im September eigentlich aus ihrem Debütroman lesen sollen – zu einer Podiumsdiskussion nach St. Pauli einzuladen. Auf der Bühne: Regula Venske, Schriftstellerin und Präsidentin des deutschen PEN-Clubs. Aram Ockert, Mitbegründer der Grünen. Matthias Politycki, Schriftsteller, und „Zeit“-Redakteur Hanno Rauterberg. Die Moderatorin Friederike Moldenhauer bewies gleich am Anfang hellseherische Fähigkeiten: „Wir werden nachher mit mehr Fragen als mit Antworten nach Hause gehen.“

So war es dann auch, und das lag vor allem an einem Widerspruch. Denn die Debatte über dieses Thema sollte, so die Vorgabe, grundsätzlich und nicht nur anhand einzelner Skandale geführt werden. Zu Recht aber wiesen alle Diskutanten darauf hin, dass man sehr wohl immer unterscheiden müsse, weil jeder Fall anders liege.

„Ein Problem ist die Feigheit der Institutionen“

Der Autoren-Protest gegen Woody Allens umstrittene Biografie, die peinliche WDR-Entschuldigung für das Satire-Video „Meine Oma ist ’ne alte Umweltsau“ – da lässt sich nicht viel Grundsätzliches sagen.

Außer vielleicht, dass es in einer erhitzten digitalen Welt mehr Mut und Haltung der Handelnden braucht. „Ein Problem heute ist sicherlich die Feigheit der Institutionen“, sagte Aram Ockert. „Niemand möchte mehr falsche Entscheidungen treffen.“ Woher aber kommt die neue Hyperempfindlichkeit?, fragte Hanno Rautenberg.

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Wieso halten viele die Zwiespältigkeit nicht mehr aus, ohne gleich die Empörungskultur anzuschmeißen? Für Matthias Politycki, der zuletzt einige Zeit in Wien war, ist das auch ein deutsches Problem: „Wir neigen mitunter zu einer Schärfe, die uns weit über das Ziel hinausträgt.“ In Österreich hieße es am Ende einer lebhaften Diskussion eher mal: „Ja, das geht sich jetzt halt nicht aus.“

Bei der Frage nach der „Diskurs-Hygiene“ ist Hauen und Stechen für Regula Venske „keine Form einer Debattenkultur“. Sie sieht die Verantwortlichkeit in der Diskussion um grenzwertige Kultur bei jedem Einzelnen. „Wir müssen auch mal zugeben, dass wir in uns selbst widersprüchlich sind und deshalb permanent mit uns selbst aushandeln, was wir ertragen können – und was nicht.“