Hamburg. Ein Holocaust-Drama, das von einer Romanze im Angesicht des Todes erzählt: Das ist spannend, bewegend – und leider hochaktuell.
Rauchende Schlote hinter Bretterverschlägen und dem sie umgebenden Morast. Gaskammer, Krematorium, Wachleute, die ohne zu zögern Menschen erschießen: Willkommen im Deutschland der 1940er-Jahre. Hitlers Konzentrationslager in Osteuropa waren deutsche Vernichtungsanstalten, in denen sechs Millionen Juden umgebracht wurden, außerdem Kriegsgefangene, Sinti und Roma, Homosexuelle, Kommunisten. Wie eiskalt Nazis im Rassenwahn waren, erfuhr die Welt einmal mehr vor 30 Jahren in „Schindlers Liste“ – im Hollywood-Breitwandformat.
Jetzt gibt es mit der Sky-Produktion„The Tattooist of Auschwitz“ eine neue Holocaust-Erzählung. Eine, die wieder vom Licht berichtet, das es im Völkermord-Dunkel gab. Diesmal nicht in Person des einen Guten, der die Todgeweihten aus dem Lager holte. Sondern in Form einer Liebesgeschichte, wie sie sich zwischen den Slowaken Lale „Lali“ Sokolov und Gisela „Gita“ Fuhrmannova im Vernichtungslager Auschwitz abspielte. Sex im Schatten der Selektionsrampe, wenn man es denn knallig ausdrücken will: Die internationale Produktion erzählt auf Basis des Weltbestsellers „The Tattooist of Auschwitz“ die ganze, also auch körperliche Geschichte einer unmöglichen Liebe, in der die zarten, fürsorglichen Momente einerseits und die permanente noch gesteigerte Lebensgefahr durch die heimliche Liaison andererseits deutlich überwiegen..
Neue Serie „The Tattooist of Auschwitz“: Liebe in Zeiten des Völkermords
Wie die literarische Vorlage, die die neuseeländische Debütantin Heather Morris 2018 zwölf Jahre nach dem Tod Lale Sokolovs veröffentlichte, kommt aber auch der TV-Sechsteiler ohne jede Geschmacklosigkeit aus. Wegen Zweifeln an der Richtigkeit mancher Darstellung gab es Kritik am Buch. Dabei ist das romanhafte erste Leben Sokolovs, aus dessen Perspektive im Buch erzählt wird, vor allem ein dramatischer, fesselnder Stoff, der nun wenig überraschend auf die Leinwand kommt. Um absolute historische „Wahrheit“ muss es da nicht unbedingt gehen.
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Die Liebe in Zeiten des Massenmords muss unter den dramatischsten Umständen stattfinden. In den in die KZ-Handlung hineingeschnittenen Szenen der Erzählgegenwart im Australien des beginnenden Jahrtausends berichtet der alte Lale (berührend: Harvey Keitel, bald 85) der angehenden Autorin Heather (Melanie Lynskey, „Yellowjackets“) von seiner Auschwitz-Zeit. Die zweite Zeitebene in der Vergangenheit nimmt den weitaus größeren Raum ein. Auf hohem Produktionsniveau und mit guten Darstellern offenbart sich dort nicht nur die Anbahnung einer Lovestory, sondern auch der Lageralltag.
„The Tattooist of Auschwitz“: Hitlers Mordbrigade hier, Geschichten der Menschlichkeit da
Man könnte den Zynismus der Täter und die Nazi-Fürchterlichkeiten – in der Rolle des impotenten Waffen-SS-Mannes Stefan Baretzki: der Lübecker Jonas Nay – unter Klischee-Verdacht stellen. Was aber Blödsinn wäre, weil das Böse nun mal banal war und ein interessierter Blick auf Hitlers Mordbrigade die Aufmerksamkeit von den guten Geschichten der Solidarität und des Mitgefühls unter den Häftlingen gelenkt hätte. Die handeln nicht nur vom Tätowierer Lale (Jonah Hauer-King), der die Identifikationsnummern in die Unterarme der Ankommenden sticht und sich dabei in die lebenshungrige Gita (Anna Próchniak) verliebt, sondern auch von anderen Figuren in der Hölle Auschwitz.
Lale geht im Hinblick auf das Ausleben seiner romantischen Gefühle einen Pakt mit dem Teufel ein. Er ist fortan den Launen Stefan Baretzkis ausgesetzt, den Nay überzeugend als larmoyanten, innerlich verdorbenen und in seiner Unberechenbarkeit berechenbaren Mann spielt. Lale, der rege am Markt der Tauschgeschäfte – wertvoll ist das, was die Häftlinge unbemerkt aus den Habseligkeiten der im Lager eintreffenden und meist sofort ins Gas geschickten Menschen an sich nehmen können – teilnimmt, verdankt Baretzki jedoch auch sein Leben. Der Nazi hält seine Hand zudem schützend über Gita.
Jonas Nay in „The Tattooist of Auschwitz“: Was Menschen einander antun können
„The Tattooist of Auschwitz“ erzählt davon, was Menschen einander antun können. Und von tiefer Menschlichkeit, die sich in der Todeszone, wo sich allerdings oft jeder selbst der Nächste sein muss, immer wieder in kleinen und großen Gesten zeigt. „Hier gibt es keine Liebe, nur Hass und Schmerz“, sagt eine Frau einmal, die später als Kollaborateurin verurteilt und viele Jahre in einem Lager Stalins verbringen wird. Lale Sokolov widerlegt dies mit Gita und einer Liebesgeschichte, die im Grunde nie fad ist. Wie könnte Hoffnung je kitschig sein?
Die Hierarchien auch unter den Lagerinsassen rückt die Mini-Serie immer wieder in den Mittelpunkt. Der echte Lale Sokolov erzählte seine Geschichte lange Zeit nicht. Nicht, weil es mit Primo Levi oder Imre Kertész schon längst (literarische) Auschwitz-Zeugen gegeben hätte, die über ihre Zeit in der Todesfabrik und das Trauma der Überlebenden berichtet hätten. Sondern weil er Angst hatte, als privilegierter Tätowierer selbst als Kollaborateur angeklagt zu werden. Seiner Lebens- und Liebesgeschichte, die nach Auschwitz und den Wirren des Kriegsendes in Australien weiterging, auch das schildert „The Tattooist of Auschwitz“, wird nun zum zweiten Mal ein Denkmal gesetzt. Ein kraftvolles, leider hochaktuelles Statement in einer Zeit, in der Judenhass wieder an der Tagesordnung ist.
Barbra Streisand hat übrigens mit „Love Will Survive“ einen Song für „The Tattooist of Auschwitz“ aufgenommen. Neue Lieder von ihr gibt es nicht mehr oft. Veröffentlicht wurde er bereits im Vorfeld der Ausstrahlung, explizit als politische Aussage gegen Antisemitismus.
„The Tattooist of Auschwitz“ ist ab dem 8. Mai wöchentlich auf Sky/Wow abrufbar.