Hamburg. Mit der Installation „The Ephemeral Lake“ bezieht sich der dänische Künstler Jakob Kudsk Steensen auf Caspar David Friedrich.

Es rauscht und gluckert beständig im Kupferstichkabinett; immer wieder schwappen Klangfetzen in den altehrwürdigen Büchersaal, in dem auch an diesem Mittwochvormittag eifrig studiert wird. Alexander Klar hat diesen Raum ganz bewusst für das Pressegespräch gewählt, denn so bekommen die anwesenden Journalistinnen und Journalisten schon einen Vorgeschmack auf etwas, das es in der Form noch nie gegeben hat in der Hamburger Kunsthalle: Die Kuppel und die Rotunde sind komplett verdunkelt und werden von einer digitalen Sound- und Video-Installation bespielt.

Immersiv, das war schon vor ein paar Jahren das Zauberwort, das durch die Kunstwelt hallte, als das United Scene in der Gaußstraße eröffnete und seitdem von Van Gogh über Frida Kahlo bis Tutanchamun eine Show nach der anderen abspulte – mit regem Besucherinteresse. Versperren wollte sich der Kunsthallen-Direktor dagegen nicht, auch, wenn er damals im Interview skeptisch auf diesen Trend blickte. Aber auch er sieht eine neue „Medien-Romantik“ aufziehen. Und was läge da näher, als nach der extrem erfolgreichen Caspar-David-Friedrich-Schau dieses Thema weiter in die Gegenwart zu holen.

Neuheit: Hamburger Kunsthalle hat jetzt eine digitale Kuppel-Show

„Um uns herum flimmern Slideshows und immersive Kunstausstellungen am laufenden Band. Unsere Herausforderung sehen wir darin, eine eigene digitale Kunstausstellung mit hohem Anspruch zu entwickeln. Wobei: Museen sind ja ohnehin immersiv, das heißt, man taucht dort immer in die Kunst ein“, so Klar. Und so holte man sich Expertise ins Haus: in Form von Kurator Ulrich Schrauth, der international in der Ausstellung digitaler Kunst tätig ist und zuletzt in Hamburg das Virtual Reality & Arts Festival VHRAM! veranstaltete.

Szene aus der digitalen Installation „The Ephemeral Lake“ von Jakob Kudsk Steensen in der Kunsthalle. Grundlage hierfür war eine Reise ins Death Valley (Kalifornien), wo es immer wieder zur Bildung sogenannter „Temporärer Seen“ kommt.
Szene aus der digitalen Installation „The Ephemeral Lake“ von Jakob Kudsk Steensen in der Kunsthalle. Grundlage hierfür war eine Reise ins Death Valley (Kalifornien), wo es immer wieder zur Bildung sogenannter „Temporärer Seen“ kommt. © Courtesy the artist | Courtesy the artist

Mit „The Ephemeral Lake“ präsentiert er nun ein Kunstwerk, das eigens für die Kunsthalle produziert wurde und Landschafts­malerei mit neuester digitaler Medientechnologie wie 3-D-Animation, interaktivem Design, Virtual Worldbuilding und Ambisonic Sound verbindet. Erdacht hat es der dänische Künstler Jakob Kudsk Steensen (Jahrgang 1987). „Schon als Jugendlicher war ich von Videospielen begeistert, weil ich mich in einer fantastischen Welt frei bewegen konnte. Zur selben Zeit faszinierte mich auch früh schon Malerei wie ‚Das Eismeer‘ von Caspar David Friedrich“, erzählt Steensen, der als Designer für Videospiele begann und nun diese beiden Leidenschaften in seiner Kunst vereint.

Bei einer Recherchereise 2023 in die Mojave-Wüste des Death Valley (Kalifornien) entdeckte er das Phänomen der „Temporären Seen“: periodisch auftretende Wasseransammlungen in extrem trockenen, kargen, oft wüstenartigen Gegenden. Einen Monat lang beobachtete der Künstler die Bildung eines riesigen Sees, sprach mit Experten, nahm Geräusche auf, produzierte 3-D-Scans von Organismen, Steinen und Molekülen und machte mehr als tausend Fotos. Am Computer collagierte Steensen dann all diese sinnlichen Eindrücke zu einem raumgreifenden Gesamtkunstwerk – ganz im Sinne des Romantik-Malers Friedrich, der im Atelier ebenfalls Versatzstücke seiner Naturstudien zu Landschaftsgemälden zusammenfügte.

Protagonist der Videosequenzen ist eine überdimensionierte Libelle

Die sich ständig verändernde virtuelle Welt von „The Ephemerel Lake“ erzeugt in Echtzeit neue Variationen und interagiert mit eigens für die Installation angefertigten Glasskulpturen, die in Wellen wie glühende Steine aufleuchten. Als Protagonist der Videosequenzen, die in der Kuppel an einer großen Wand abgespielt werden, tritt eine überdimensionierte animierte Libelle auf, sodass man sich tatsächlich wie in ein Computerspiel versetzt fühlt.

Dazu kommt ein phänomenaler Raumklang, der in Kooperation mit der Künstlerin Okkyung Lee und dem Komponisten Lugh O‘ Neill entstanden ist. Die Audiospur reagiert auf atmosphärische Veränderungen in der virtuellen Welt und verbindet Tonaufnahmen aus dem Death Valley etwa mit Celloklängen, die die Verschiebungen der Erdschichten tief unter dem Tal des Wüstensees wiedergeben. Eine „Konversation mit der Landschaft“, nennt es Steensen.

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Und noch eine weitere Analogie zu Caspar David Friedrich zeigt sich: Auch „The Ephemerel Lake“ spricht die Beziehung zwischen Mensch und Natur an und setzt auf die sinnliche, emotionale Wahrnehmung von Landschaften. So ähnlich fasziniert wie man als Betrachter vor Friedrichs „Watzmann“ oder „Eismeer“ steht und sich von der Landschaft umschlossen fühlt, staunt man über den rauschenden und glucksenden See, der mitten in einer Wüste entsteht und in den man – ganz gefahrlos – in der Kunsthalle versinken kann. Apropos: Den „Wanderer über dem Nebelmeer“ können Besucher nun wieder in Ruhe und an gewohnter Stelle im Altbau genießen. Er ist zu Hause, kündigt ein Plakat an der Außenwand des Museums an. Und bleibt auch dort, bis die Jubiläumsausstellung in Dresden im August beginnt.

„The Ephemeral Lake“ 12.4.–27.10., Hamburger Kunsthalle (U/S Hauptbahnhof), Glockengießerwall 5, Di–So 10.00–18.00, Do 10.00–21.00, Eintritt 16,-/8,- (erm.); www.hamburger-kunsthalle.de