Hamburg. Direktor Klar sieht in Erlebnisausstellungen wie „Van Gogh Alive“ oder „Banksy“ keine Konkurrenz – vielmehr Inspiration.
„Van Gogh Alive“ in der Gaußstraße war ein großer Erfolg, unlängst ist „Banksy“ im ehemaligen Galeria Kaufhof gestartet, 2024 soll das Digital Art Museum in der HafenCity eröffnen. Ausstellungen, die auf Spektakel und virtuelle Erlebniswelten setzen. Was bedeutet dies für die Museen? Ein Gespräch mit Kunsthallen-Direktor Alexander Klar.
Wenn ich raten sollte, würde ich sagen, Sie haben sich bestimmt die Banksy-Show angeguckt. Zusammen mit Ihren Söhnen. Liege ich richtig?
Alexander Klar: Nein, bis jetzt noch nicht. Ich hatte vorgehabt, mir „Van Gogh Alive“ anzusehen, habe es dann aber verpasst. Ich habe Bilder und Filme davon gesehen.
Und wie fanden Sie die?
Auch immersive Ausstellungen sind eine Form von ästhetischer Bildlichkeit, und uns interessiert natürlich alles, was visuell ist. Dass das hochtechnoid und sehr ökonomisch aufgezogen ist, ist zunächst einmal nichts Schlechtes. Auch das monumentale Bild von Hans Makart wurde in den ersten beiden Jahren für Geld zur Schau gestellt. Kein Grund, um Berührungsängste zu haben. Es ist einfach ein anderes Genre. Insofern sehe ich Erlebnisausstellungen definitiv nicht als Konkurrenz, sondern als eine andere Form von visueller Überwältigung. Und natürlich interessiert uns, ob das Folgen hat für unsere Form von Kunst. Auch wir experimentieren gedanklich mit solchen Formaten.
Interessant. Nennen Sie mal ein Beispiel.
2024 feiern wir den 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich. Und dessen Bildstrategie ist ja, ähnlich wie bei Vincent van Gogh, eine auf Überwältigung angelegte Art Landschaft zu malen. Daher bietet es sich an, anlässlich seines Jubiläums mit immersiven Elementen zu experimentieren, dafür Künstler oder einen Regisseur zu beauftragen – zumal der Kuppelsaal dafür ideal geeignet ist. Unser Anspruch ist dabei, dass es besser wird als die ,Van Gogh-Experience‘. Ich hatte ein paar Scouts, die mir berichtet haben, dass diese Ausstellung schon sehr simpel gestrickt war. Wir würden gerne mehr tun, als wechselnde Details aus Gemälden auf großen Projektionsflächen in Nahansicht zu bringen und dazu esoterische Musik laufen zu lassen.
Sie spielen auf die Bremer Ausstellung zum selben Thema an. Das klingt jetzt fast ein bisschen überheblich. „Van Gogh Alive“ wurde, neben Hamburg, in 70 Städten weltweit gezeigt und von mehr als acht Millionen Menschen gesehen. Irgendetwas scheinen die Veranstalter ja richtig zu machen.
Wir suchen den Koeffizienten zwischen populär und qualitätvoll, der uns richtig erscheint. Und nicht alles, was immersiv ist, ist auch gut. Wir können heute mit Technik so unglaublich viel machen. Die Inhalte sollten aber über die reine Überwältigung hinaus besser sein, es sollte also das umgekehrte Prinzip von „Form follows function“ herrschen, nämlich „Function allows form“: die Technik nutzen, um etwas herzustellen, was aus dem kunsthistorischen Wissen gespeist besonders umgeht mit einer besonderen malerischen oder kompositorischen Methode des Künstlers oder auch der Künstlerin, und das eben in einer sogenannten Experience zeigen.
Klimt, Monet, da Vinci – häufig touren gleich mehrere Kunst-Erlebnis-Shows durch Europa. Einige Museen springen auf den Zug auf, Fotografiska in Stockholm etwa arbeitet mit Non Fungible Token, also digitalen Kunstwerken. In der Schweiz wurde für die immersive „Viva Frida Kahlo“-Schau die Lichthalle Maag geöffnet. Wie steht die Kunsthalle zu diesen Trends?
Wir glauben, dass es für Caspar David Friedrich eine sinnhafte Sache ist. Es muss einfach passen, das Verhältnis von Botschaft und Technik muss übereinstimmen, schließlich wollen wir stilbildend sein. Dass Leute reinkommen, 25 Euro gezahlt haben und dann glückselig lächelnd vor sieben riesigen Projektionen auf einem Fatboy (ein Sitzsack) sitzen, ist mir zu wenig. Bei uns sollten die Besucherinnen und Besucher das Gefühl haben, dass sie richtig eingetaucht sind in den Geist des Werkes eines Künstlers. Da gibt es zwei Möglichkeiten, entweder mithilfe einer erweiterten Filmtechnik oder künstlerisch-filmemacherisch wie etwa Ólafur Elíasson, der auch schon immersive Kunst gemacht hat, oder das Künstlerkollektiv teamLab aus Tokio, das das Museum in der HafenCity bespielen wird.
Sie haben sich kürzlich mit Caren Brockmann, der Geschäftsführerin des Digital Art Museum, getroffen. Was wurde besprochen?
Wir haben darüber gesprochen, wie sich unsere jeweiligen Planungen in den kommenden Jahren gestalten werden, wie wir etwa mit Besucherführung umgehen werden oder Marketing betreiben wollen; darin haben wir ja durchaus Expertise. Es war ein Austausch über Berührungspunkte, die wir haben. Und man kann jetzt sagen, dass die Kunsthalle deutlich mehr Berührungspunkte mit dem Digital Art Museum hat als mit dem MiniaturWunderland. Im besten Fall sagen Menschen, die in der HafenCity waren, dass sie im Anschluss noch Leinwände an der Wand sehen wollen. Wir wollen keinesfalls dem Digital Art Museum Konkurrenz machen und das noch staatsfinanziert. Wenn wir so etwas machen, dann würde es innerhalb des Museums immer ein Projekt sein, das ein eigenes Funding hat und eine Ergänzung ist zu unserem eigentlichen Auftrag. Die gerade laufende, mit der Hochschule für Musik und Theater entwickelte „Kandinsky-Experience“, bei der das Publikum das Kunstwerk digital erleben und mitgestalten kann, ist so ein Beispiel.
Und das Digital Art Museum will Ihnen auch keine Konkurrenz machen?
Das weiß ich nicht. Aber die Banksy-Schau hier um die Ecke macht uns auch keine Konkurrenz. Einen Original-Banksy findet man in Bristol an einer Häuserwand und nicht in der Hamburger Einkaufszone. Wer da reingeht, möchte vielleicht möglichst viele Werke des Künstlers sehen. Ich würde sagen: Man könnte sich auch einfach ein Buch über Banksy kaufen.
Nun ist Banksy kein Thema der Kunsthalle. Trotzdem sind das ja Leute, die eine Ausstellung besuchen. Und die theoretisch in die Kunsthalle oder in ein anderes Museum gehen könnten beziehungsweise, wenn es nach Ihnen geht, sollten.
Genau: Könnten. Allein schon anhand der Vielzahl an unterschiedlichen Ausstellungen kreiert man ja ein Feld, das sich selbst und gegenseitig bewirbt. Wer in Hamburg kulturell ausgehen möchte, weiß, dass er ins Museum für Kunst und Gewerbe, in die Kunsthalle, in die Banksy-Schau oder eben demnächst ins Digital Art Museum gehen kann. Je mehr wir werden, desto stärker werden wir. Ich finde Banksy übrigens auch interessant und werde sicherlich aus Neugier da mal durchlaufen. Da finde ich zum Beispiel spannend, wie eine Kunst, die in Vororten an Häuserwänden entstanden ist, in einen cleanen Kunstraum übertragen wird.
In einem früheren Gespräch positionierten Sie die Kunsthalle als Ort, an dem Kunst erlebbar wird, sich ein zunehmend jüngeres oder diverses Publikum trifft, das Museum als Wohlfühlort. Wie wollen Sie sich künftig von Erlebnis-Shows abgrenzen?
All diese Unternehmungen sind, da sie kommerziell sind, darauf angewiesen, dass sie einfacher lesbar sind als das, was wir tun. Bei Ausstellungen wie Banksy beruht der Effekt auf einem hohen Wiedererkennungswert. Wer in die Galerie der Gegenwart kommt, findet natürlich auch Mysteriöses, vielleicht erst einmal schwer Lesbares. Allerdings wird aber das meiste davon in zehn Jahren sehr wohl verständlich sein, weil es sehr viel von dem prägt, was jetzt gerade geschieht. Und den Anspruch haben wir, und den können wir auch nachhalten, weil wir anders finanziert sind. Durch den Erfolg der Sammlung können wir sehr experimentelle Projekte umsetzen. Aber zwischendurch mal auch etwas rasch Verdauliches, also einen etwas raffinierteren Burger als bei McDonald’s bieten – warum nicht? Im Übrigen sind unter unseren mehr als 30.000 Besuchern im Monat viele Menschen, die ebenso zu Banksy wie in die Kunsthalle gehen und sich bei uns eben über einen Rembrandt oder Renoir freuen. Es gibt hier weniger Gegensätze als man denkt, in jedem Falle aber kein hohes Ross, von dem die Kunsthalle herabsteigen müsste. Durch unsere Ausstellungssäle laufen Pärchen, die sich dabei fotografieren, es flanieren Familien mit Kinderwagen, und es amüsieren sich ältere Paare über das Treiben. Der Makart-Saal etwa ist immersiv im besten Sinne. Da kann man sich so richtig in die Kunst werfen.