Am Montag stehen in Deutschland erstmals seit Jahrhunderten wieder Seeräuber vor Gericht. Diesmal kommen die Angeklagten aus Somalia.

Hamburg. In Hamburg beginnt am Montag der wohl spektakulärste Seeräuber-Prozess seit den Tagen Klaus Störtebekers. Denn zum ersten Mal stehen mutmaßliche Piraten aus Somalia in Deutschland vor Gericht - in der Heimat der „Kiez-Piraten“, der Fußballer vom Kultclub FC St. Pauli mit seiner Piratenflagge. Es ist die Stadt, die im 15. und 16. Jahrhundert große Piraten-Prozesse erlebte – und den legendären Seeräuber Klaus Störtebeker enthaupten ließ.

Jetzt, mehrere Jahrhunderte später, betritt die Hansestadt Neuland in Sachen Piraten: Von diesem Montag (22. November) an wird hier erstmals in Deutschland mutmaßlichen Seeräubern aus Somalia der Prozess gemacht. Nach dem Überfall auf das Hamburger Frachtschiff „Taipan“ am Ostermontag müssen sich die zehn Angeklagten wegen Angriffs auf den Seeverkehr und erpresserischen Menschenraubs verantworten. Die schwer bewaffneten Männer sollen das Containerschiff rund 530 Seemeilen vor der Küste Somalias geentert und knapp vier Stunden in ihrer Gewalt gehabt haben. Ein niederländisches Marinekommando hatte sie dann überwältigt und festgenommen. Die Besatzung konnte sich in einen besonders gesicherten Raum retten, verletzt wurde niemand. „Wir finden den Sachverhalt überschaubar und gut eingrenzbar“, sagt Wilhelm Möllers von der Hamburger Staatsanwaltschaft. Die Anklageschrift etwa umfasst lediglich 33 Seiten, und die Behörde hat reichlich Beweismittel in ihrem Besitz – zum Beispiel Kalaschnikows, Granatwerfer, Pistolen, Messer und Enterleitern.

Dennoch wird ein zähes Verfahren erwartet. Das Gericht hat jedem Angeklagten zwei Pflichtverteidiger beigeordnet, insgesamt 20 Verteidiger kümmern sich damit um die Rechte der Somalier. Der Hintergrund: Das Gericht will vermeiden, dass der aufwendige Prozess platzt – etwa wenn einer der Verteidiger krank wird. Weil keiner der zehn mutmaßlichen Piraten Deutsch spricht, müssen Dolmetscher im Gerichtssaal alles übersetzen.

Und selbst Namen und Alter der Angeklagten stehen nur vage fest. Da heißt es dann etwa: „Geboren vor 1989“ oder „1993 oder zuvor“. Der Älteste soll nach bisherigen Erkenntnissen im Jahr 1962 geboren worden sein, der Jüngste 1993. Verhandelt wird vor der Kammer für Verkehrsstraftaten – also dort, wo es üblicherweise um Temposünder oder Trunkenheitsfahrten geht. Sie fungiert auch als Jugendkammer. Bei einer Verurteilung drohen den Erwachsenen Höchststrafen von 15 Jahren, dem Jugendlichen von 10 Jahren.

Die Somalier waren im Juni nach wochenlangem Tauziehen von den Niederlanden an die Bundesrepublik ausgeliefert und nach Hamburg in Untersuchungshaft gebracht worden. Somalia hat nach fast 20-jährigem Bürgerkrieg keine Möglichkeit, Piraten den Prozess zu machen. Und das Nachbarland Kenia hat vor kurzem ein mit der EU und anderen Staaten geschlossenes Justizabkommen beendet; es führt damit keine Prozesse mehr gegen Piraten, die von Schiffen der EU-Antipiratenmission „Atalanta“ gefangen werden. Wann das Hamburger Gericht die Urteile verkündet, ist völlig offen. Verhandlungstage sind zunächst bis Ende März angesetzt. Ganz anders ging es früher bei den Piraten-Verfahren in der Hansestadt zu: Mit den Seeräubern wurde meist kurzer Prozess gemacht. Zur Bestrafung von Piraten schrieb das damalige Recht vor, ihnen den Kopf abzuhacken und auf einen Stock zu nageln, wie Ralf Wiechmann vom Museum für Hamburgische Geschichte berichtet.

Hamburg hatte bereits seit 1359 das sogenannte Seeräuberprivileg zugestanden bekommen – also das Recht vom Kaiser, „ohne Rücksicht auf landesherrliche Gerichtsrechte“ selbst Piraten zu jagen und zu verurteilen. Erst von etwa 1600 an wurden in der Hansestadt immer weniger Piraten-Prozesse geführt. Von 1390 bis 1600 wurden nach Wiechmanns Recherchen mindestens 428 Seeräuber enthauptet.