120.000 Hamburger Wohnungen müssen energetisch saniert werden. Mieter sind in Sorge. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.
Hamburg. Die Bundesregierung und der Hamburger Senat verfolgen bei der Klimaschutz-Sanierung von Wohngebäuden ehrgeizige Ziele. Doch Immobilienexperten und Politiker warnen vor zu hohen Anforderungen, die Hausbesitzer und Mieter finanziell stark belasten könnten.
Der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Andy Grote fordert, bei Energiesparvorgaben müsse deren Sozialverträglichkeit geprüft werden. Wie gestern berichtet, musste ein Rentnerehepaar aus Eimsbüttel rund 600 Euro mehr Monatsmiete bezahlen, nachdem das Haus, in dem es wohnte, nach neuen Umweltstandards modernisiert worden war.
Andy Grote: "Bei allem Verständnis für den Klimaschutz: Man muss aufpassen, dass er kein Mietpreistreiber wird." Das betreffe vor allem Menschen mit kleinem Geldbeutel, so Grote. Denn gerade in Hamburg sorge auch der schwarz-grüne Senat dafür, dass durch hohe Energiesparanforderungen im Neubau kaum noch günstige Wohnungen gebaut würden.
Der stadtentwicklungspolitische Sprecher der GAL-Bürgerschaftsfraktion, Horst Becker, plädiert bei der Sanierung von Gebäuden dafür, die Kosten "gerecht" auf Mieter und Vermieter zu verteilen. Schließlich profitiere ein Vermieter von der Wertsteigerung seiner Immobilie, argumentiert der GAL-Politiker. Dem widerspricht der Vorsitzende des Hamburger Grundeigentümerverbands, Heinrich Stüven. Etwa 80 Prozent der Vermieter in Hamburg kämen aus dem Mittelstand, hätten Häuser oft als Altersversorgung gebaut. "Die wollen ihr Haus behalten, eine Wertsteigerung ist da doch nur fiktiv und absurd." Auch sie seien von den hohen Klimaschutz-Kosten betroffen. "Da können schnell sechsstellige Summen zusammenkommen. Wer soll das einfach mal so aus der Privatschatulle bezahlen?", fragt Stüven.
Hintergrund der Diskussion: In Deutschland produzieren Heizungsanlagen von Wohngebäuden 40 Prozent der Treibhausgase. Die Bundesregierung will deshalb bis 2020 den Wärmebedarf aller Gebäude um 20 Prozent senken, 2050 soll Deutschland dann "einen nahezu klimaneutralen Gebäudebestand" haben. Dafür müssten jedes Jahr zwei Prozent aller Wohngebäude energetisch saniert werden, rechnet die Regierung vor. Um dieses Ziel zu erreichen, gibt es Energievorschriften. Aber auch die Rechte der Mieter sollen eingeschränkt werden. Die Bewohner sollen künftig Lärm, Dreck, Planen vor ihren Fenstern, die mit dem Umbau verbunden sind, entschädigungslos hinnehmen müssen. Aktuell können Vermieter elf Prozent der Sanierungskosten pro Jahr auf die Mieter abwälzen - was schon jetzt zu erheblichen Mietsteigerungen führen kann.
Wie viele Wohnungen sind in Hamburg betroffen?
In Hamburg gibt es nach Informationen der Stadtentwicklungsbehörde 875 529 Wohnungen in 237 101 Wohngebäuden, darunter sind 132 779 Einfamilienhäuser, 26 590 Zweifamilienhäuser und 77 732 Mehrfamilienhäuser (Stand: 2008). Rund 120 000 Wohnungen müssen nach Einschätzung des Mietervereins energetisch saniert werden. Von 2000 bis Ende 2009 sind in Hamburg laut Behörde schon jetzt rund 41 000 Wohnungen allein mithilfe von Zuschüssen des Senats saniert worden. Darüber hinaus sind 21 500 Wohnungen mit dem Programm "Wärmeschutz im Gebäudebestand" gefördert worden.
Das städtische Wohnungsunternehmen Saga/GWG hat indes in den vergangenen zehn Jahren 70 000 ihrer 130 000 Wohnungen saniert. Pro Jahr werden etwa 7000 auf neuen Stand gebracht. Kosten: fast 70 Millionen Euro jährlich. Die Umlage auf die Miete geschehe aber sozialverträglich.
Gibt es eine generelle Verpflichtung zur Klima-Sanierung?
Nach der Energiesparverordnung 2009 ja. Sobald zehn Prozent eines Gebäudeteils (etwas des Dachs) repariert oder modernisiert werden müssen, ist der Eigentümer gleichzeitig zu einer Wärmedämmung verpflichtet. Dabei müssen 30 Prozent des Energieverbrauchs eingespart werden. Ende 2011 müssen zudem die oberste begehbare Geschossdecke oder das Dach darüber wärmegedämmt werden. Eigenheimbesitzer sind laut Grundeigentümerverband weniger betroffen. Dort gelte eine Dämmpflicht für die oberste Geschossdecke erst zwei Jahre nach einem Verkauf.
Welche Maßnahmen zur Dämmung sind effektiv?
Die Dämmung der Fassade, des Dachs und des Kellers bringen am meisten. Doch selbst für ein Einfamilienhaus erwarten Experten dabei Kosten im fünfstelligen Bereich, die sich erst nach Jahrzehnten rechnen.
Für wen rechnet sich eine solche Sanierung?
Die Antwort des Grundeigentümerverbands dazu ist eindeutig: Weder für Vermieter noch für Mieter rechne sich die Sanierung. Profiteure sind Banken, die Dämmstoffindustrie und natürlich die Umwelt. Laut Energieagentur Dena kostet die 80-prozentige Reduzierung des Energiebedarfs in einem Altbau aus den 60er-Jahren etwa 322 Euro pro Quadratmeter. Die Energiekosten würden durch solche Maßnahmen um 83 Cent pro Quadratmeter pro Monat sinken, die anrechenbare Mieterhöhung zur Refinanzierung liege aber bei 97 Cent pro Quadratmeter.
Wie kann man selbst mit einfachen Mitteln Energie sparen?
Die Hamburger Verbraucherzentrale rät zu einem unabhängigen Energieberater (Infos: Telefon 24 83 22 50). Man könne aber auch selbst etwas machen: Jeder Grad Celsius Raumtemperatur weniger senke den Energieverbrauch um rund sechs Prozent. Wer in einem Raum die Temperatur von 24 Grad auf 20 Grad reduziert, spare dort gut 20 Prozent der Heizkosten. Wer mehr erreichen will, kann zum Beispiel die Kellerdecke von unten dämmen. Die Dämmung sollte mindestens sechs Zentimeter dick sein. Bei einem Keller von 100 Quadratmetern kostet das Material 1500 bis 2000 Euro. Es lohnt sich auch, im Keller und Heizungsraum alle Rohre zu dämmen, die sich warm anfühlen.