Neuenfelde. Nutrias vermehren sich im Hamburger Süden rasant. Anwohner fühlen sich von der Stadt im Stich gelassen – und fordern Maßnahmen.
- Nutrias stammen ursprünglich aus Südamerika: In Europa werden sie deshalb als invasive Art bezeichnet
- Die kleinen Nagetiere leben immer in Wassernähe und graben sich dafür Höhlen im Uferbereich
- Viele Deichexperten sehen Nutrias als Gefahr für den Hochwasserschutz und fordern ihre Bejagung
Eine Ortschaft hinterm Elbdeich, Plantagen voller Apfelbäume, so weit das Auge reicht: Der Hamburger Stadtteil Neuenfelde in der sogenannten Dritten Meile des Alten Landes ist Ausflugsziel und dörfliches Wohnidyll zugleich. Doch diese Beschaulichkeit wird derzeit untergraben – von Nutrias, die weitläufige unterirdische Tunnelsysteme buddeln. Doch stellen die invasiven Nagetiere tatsächlich eine Gefahr für die Deiche dar? Und wie gehen die Menschen in Neuenfelde mit der Situation um?
Hochwasserschutz: Bewohner von Neuenfelde im Hamburger Alten Land schlagen Alarm
Und das ist für die Anrainer der Elbe ein Grund zur tiefen Besorgnis. Denn der Herbst ist da und mit ihm die Stumflutsaison. Wenn der Wind wütend übers Alte Land braust und das Wasser in der Elbe steigt, blicken Anwohner zu ihren Deichen hinüber, die sie vor Hochwasser schützen sollen.
„Mit einer Körperlänge bis zu 65 Zentimeter und einem Gewicht von bis zu 12 Kilogramm können Nutrias eine echte Herausforderung für die Deichstabilität darstellen.“
„Doch wenn Nutrias diese untergraben, ist der Hochwasserschutz gefährdet“, meint Manfred Hoffmann, Sprecher der Bürgervertretung Neuenfelde-Francop-Cranz. Die Nager, die aussehen wie eine Mischung aus Biber und Wasserratte, wühlen tiefe Löcher in den Boden. Ihre meterlangen Höhlensysteme könnten die Stabilität von Deichen und Dämmen einschränken oder im schlimmsten Fall zum Einbrechen bringen.
Anwohner in Neuenfelde fühlen sich von der Stadt im Stich gelassen
Die Nutria, auch Biberratte genannt, ist eine Nagetierart, die sich in ganz Hamburg rasant ausbreitet und sich auch im Alten Land zunehmend wohlfühlt. Das beobachten Anwohner und Jäger seit Jahren. Die Tiere vermehren sich rasch: Ein- bis zweimal pro Jahr bringen sie vier bis sieben Junge. Während im niedersächsischen Teil des Alten Landes massiv gegen die Tiere vorgegangen wird, sehen die Verantwortlichen auf Hamburger Seite das Problem bis dato legerer. Vor allem die Anwohner in Neuenfelde fühlen sich von den Behörden im Stich gelassen.
Der Bürgervertretung Neuenfelde-Francop-Cranz sind die gedrungenen Nager seit Jahren ein Dorn im Auge. Die Mitglieder halten eine intensive Reduzierung des Betstands für dringend erforderlich – vor allem zum Schutz der Deiche. Doch seither habe sich so gut wie nichts getan, so Manfred Hoffmann: „Aus Sicht der Bürgervertretung besteht in dieser Frage nach wie vor Handlungsbedarf für das Hamburger Alte Land seitens der zuständigen Behörde“, sagt er.
Auch Obstbauern im Hamburger Alten Land sind keine Freunde der Biberratte
Die Bürgervertretung halte eine Begrenzung der Nutria-Population nach wie vor für notwendig, und die Neuenfelder lassen auch nicht locker: „Wir haben einen Behördenvertreter zu unserer Novembersitzung eingeladen, der auch zugesagt hat, nach Neuenfelde zu kommen“, so Hoffmann.
Nutrias stellten grundsätzlich eine Gefährdung in Bezug auf Hochwasserschutz und die örtliche Wasserinfrastruktur dar – deshalb sei eine sinnvolle Unterstützung durch die zuständige Behörde dringend erforderlich, so Hoffmann. Das wäre in diesem Fall die Hamburger Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (BUKEA).
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Zudem vernichteten die Pflanzenfresser große Flächen von Schilfgürteln, so dass es bestimmten Vögeln an Lebensraum fehle. „Auch für den Obstbau sind die vielen Nutrias ein Risiko“, sagt Manfred Hoffmann. Landwirtschaftliche Fahrzeuge könnten in dem unterirdischen Grabensystem einbrechen. Außerdem nage die Biberratte die Rinde von Obstbäumen an, wie Altländer Landwirte klagen.
Im benachbarten Landkreis Stade werden Nutrias mit Lebendfallen bejagt
Unterstützung erhalten die Neuenfelder von den Nachbarn auf niedersächsischer Seite. „Ich wundere mich, dass Hamburg das Nutria-Problem mit Blick auf den Deichschutz so locker sieht. Mit einer Körperlänge bis zu 65 Zentimeter und einem Gewicht von bis zu 12 Kilogramm können Nutrias eine echte Herausforderung für die Deichstabilität darstellen“, sagt Wilhelm Ulferts, Oberdeichrichter des Deichverbandes II. Meile Alten Landes.
Der Landkreis Stade hat die dortige Jägerschaft bei der Bekämpfung der Nutria-Plage mit mehr als 100 modernen Lebendfallen unterstützt. Damit werden die schwer zu bejagenden nachtaktiven Tiere gefangen und anschließend getötet.
Gutachten rückt Nutria-Jagd zurück in den Fokus
„Die Eingänge zu ihren Höhlen liegen unter Wasser und sind daher nicht zu sehen, was es besonders gefährlich macht“, sagt Ulferts. „Der Nutria ist zwar keineswegs ein ,Deichkiller‘, wie ich neulich hören musste, aber so locker wie Hamburg würde ich die Problematik nicht bewerten“, sagt der Oberdeichrichter. „Aber das müssen die Hamburger selbst wissen. Sie müssen ja mit den Konsequenzen leben.“
Aber auch in der Hansestadt scheint das Problembewusstsein zu wachsen. Die Bejagung der Nutrias rückt offenbar weiter in den Fokus, basierend auf einem neuen Gutachten, das der Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (BUKEA) jetzt vorliegt und eine Bestandsschätzung der Nutria-Population im Süden Hamburgs enthält. „Die Schätzung geht von einer Mindestanzahl von etwa 8.600 und einer Höchstanzahl von etwa 57.100 mit einer mittleren Anzahl von 28.500 Tieren aus“, teilt die Behörde auf Abendblatt-Nachfrage mit.
Hamburger Umweltbehörde will Jägern Lebendfallen zur Nutria-Bekämpfung bereitstellen
Das Gutachten empfehle in Bezug auf die wirtschaftlichen Schäden eine „kontrollierte, bedarfsgerechte, flächendeckende Entnahme der Nutrias“ – vor allem, um die Uferstabilität zu erhalten. „Eine Beeinträchtigung des Hochwasserschutzes durch die Nutrias konnte im Rahmen der Untersuchungen aber nicht nachgewiesen werden“, so eine Behördensprecherin.
Trotzdem befinden sich laut BUKEA verschiedene Maßnahmen zur Eindämmung der Nutria-Population in Umsetzung: So sollen Jägern Lebendfallen bereitgestellt werden. Auch eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 7 Euro pro Tier solle gezahlt werden.
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Zudem ist die Einführung eines allgemeinen Fütterungsverbot vorgesehen. „Ohne Bekämpfungsansätze ist aufgrund der hohen Reproduktionsrate und dem Fehlen natürlicher Feinde davon auszugehen, dass sich die Nutria auch im städtischen Bereich weiter ausbreiten wird und auch Flächen, in denen die Nutria bereits durch Bejagung bekämpft wurden, durch zuwandernde Tiere erneut besetzt werden“, so die Behördensprecherin.
Ob die Eindämmung der Population auch durch die freiwillige Mithilfe der Jägerschaft in den Revieren möglich ist, lasse das Gutachten offen. In befriedeten Bereichen, also Gebieten, in denen das Jagdrecht ruht, sehe das Gutachten die Möglichkeiten der Reduzierung der Nutrias kritisch.