Lüneburger Heide. Sie haben Schlimmes erlebt: Die rund 90 Vierbeiner, die auf dem Hof der Ärztin Usha Peters leben. Zu Besuch an einem inspirierendem Ort.
Still ist es hier und richtig idyllisch, irgendwo zwischen Schneverdingen und Soltau im Herzen der Lüneburger Heide. Am Ende einer schmalen Straße durch Wald und Feld liegt das Ziel dieser Reise: „De Hun‘nenhoff“, eine Art Gnadenhof für Hunde, die in ihrem ersten Leben Schlimmes erlebt haben.
Dass sie in ihrer neuen Heimat ein neues, richtig schönes Leben führen dürfen – das ist direkt zu spüren. Gleich nach dem Verlassen ihres Autos wird die Abendblatt-Reporterin umringt von einer kläffenden, bellenden, vor Freude winselnden Hundemeute. Endlich was los hier, scheinen die selbstbewussten Tiere auf ihre Art zu sagen. Immer mehr von ihnen kommen angerannt. Dabei haben diese Vierbeiner nur zwei funktionstüchtige Beine. Die Hinterläufe sind verkümmert oder schleifen am Boden. Individuell gefertigte Rollstühle geben den Tieren ihre Beweglichkeit zurück. Und offenbar auch ihre Lebensfreude.
Heim für behinderte Hunde: Team aus rund 70 Mitarbeitern ist rund um die Uhr im Einsatz
De Hun‘nenhoff ist eine Stiftung. Und Hun‘nenhoff heißt nichts anderes als Hundehof auf Plattdeutsch, erklärt Dr. Usha Peters. Die 58-Jährige Ärztin ist Besitzerin und Gründerin der Einrichtung. Zum Hun’nenhoff gehören 50.000 Quadratmeter Land, 33 Angestellte und 40 ehrenamtliche Helfer. Diese betreuen neben 90 Hunden auch Pferde, Katzen, Schafe, Puten und Hühner.
Peters selbst arbeitet Vollzeit in ihrer Praxis für Humangenetik in Hamburg, davon zwei Tage im Home Office. In ihrer selbst gewählten Aufgabe als Tierschützerin wird sie von Saskia Wicke unterstützt. Die 38-jährige war früher Friseurin. Dann ließ sie sich zur Tier-Physiotherapeutin ausbilden, zog mit ihren beiden Töchtern auf das Anwesen.
Die Hunde verstehen, dass man es gut mit ihnen meint
Alle Tiere, auf dem Hun’nenhoff leben, gelten als schwer vermittelbar, denn sie haben eine körperliche Behinderung, eine chronische Erkrankung oder eine Verhaltensauffälligkeit, die meist auf Haltungsfehler zurückgeht. Selbst hartnäckige Angstbeißer können hier wieder ihren eigentlich sanften Wesenskern zeigen, denn hier versteht man sie und meint es gut mit ihnen.
„Wenn man erlebt, wie ein Häuflein Elend hier ankommt und sich dann zu einer Hundepersönlichkeit entwickelt, ist das enorm erfüllend.“
Gefunden wurden viele der tierischen Bewohner auf der Straße, meist in einem erbärmlichen Zustand. Andere wurden, nachdem sie eine Behinderung entwickelt hatten, von ihren überforderten Haltern abgegeben. Oder sie wurden von Tierärzten an De Hun‘nenhoff vermittelt.
Jedem Tier gerecht zu werden, täglich die Zimmer der Hunde zu reinigen, in denen sie in familienartigen Verbänden leben – eine Herkulesaufgabe. Bis in die späten Abendstunden ist das Team vom Hun’nenhoff ansprechbereit.
Notfälle, bei denen die Halter drohen, den unerwünscht gewordenen Weggefährten einschläfern zu lassen, sollte er auf dem Hun‘nenhoff kein Asyl finden, stellen die beiden Frauen auf eine harte Probe. „Das bricht einem das Herz, weil es so furchtbar ist“, bekennt Peters, „aber eigentlich können wir kein Tier mehr aufnehmen.“
Hündin Lia kam ohne Hinterbeine – und lernte im Rollstuhl wieder das Laufen
Angefangen hat alles im Jahr 2005 mit der kleinen Lia. Eine Hündin ohne Hinterbeine und ohne Schamlippen, die waren ihr abgeschnitten worden. Doch Usha Peters entschied sich trotzdem für sie. Alles klappte, Lia lebte auf, lernte im Rollstuhl wieder das Laufen und machte ihre Halterin glücklich.
Weitere Hunde folgten. Bis 2015 schaffte Peters die Arbeit allein. 2016 zog sie auf den Hof in der Nähe des Dorfes Reimerdingen (Heidekreis), der seither ihr Zuhause ist. Mit einem Hundetrainer zusammen baute sie De Hun‘nenhoff auf.
Seit vier Jahren hat nun Saskia Wicke die Hofleitung übernommen. „Wenn man erlebt, wie ein Häuflein Elend hier ankommt, das Angst hat und sich nicht zu helfen weiß, und sich dann zu einer Hundepersönlichkeit entwickelt, ist das enorm erfüllend“, beschreibt sie.
„Hunde arrangieren sich mit der Situation, sie hadern nicht mit ihrem Schicksal“
Wer mit einem Rolli-Hund leben will, braucht Geduld, Pampers und die Bereitschaft, dem Hund die Blase auszuleeren, wodurch auch der Stuhlgang angeregt wird. Geschieht dies regelmäßig, bleibt der Hund sauber. Das bedeutet, er verschmutzt nicht die Wohnräume. Den Rollihunden, bei denen doch mal etwas danebengeht, legen die Tierschützerinnen Windeln um den Körper.
Die Vierbeiner stört das nicht, sagt Peters. Und Schmerzen haben sie auch nicht. Wenn doch, steht Physiotherapeutin Wicke notfalls auch im Schlafanzug mit helfenden Händen und Notfallkoffer bereit.
„Hunde arrangieren sich mit der Situation, sie hadern nicht mit ihrem Schicksal, sondern gucken, wie es weitergeht“, sagt Peters, die amüsiert beobachtet, wie jedes ihrer Tiere einen Weg findet, um seinen Willen durchzusetzen – beispielsweise den Willen, auf das Sofa gehoben zu werden, um dort zu schlafen. „Solange der Hund frisst, geht es weiter“, ergänzt Wicke.
Lesen Sie auch
- Mit Pool und Massage: Wie das Tierheim Buchholz seine Hunde verwöhnt
- Warum dieser TV-Star seine Rente im Landkreis Harburg verbringt
- Von der Mutter verstoßen: Zwergziege Lisa erobert die Herzen
Um diesen enormen Aufwand zu finanzieren, greift Peters tief in die eigene Tasche. Sie selbst gönnt sich wenig, lebt auf dem Hof in einem Bauwagen. Lange hat sie alles allein finanziert, seit 2018 gibt es die Stiftung De Hun‘nenhoff, die Spendenbescheinigungen ausstellen kann.
Stiftung „De Hun‘nenhoff“ bei Hamburg: Zahl der Spendenwilligen wächst
Noch immer bleibt die Hälfte der Unkosten von jährlich 800.000 Euro bei der Ärztin persönlich hängen. Doch die Zahl der Spendenwilligen wächst. Ebenso wie der Club der Gassigänger, die mit den Rolli-Hunden draußen unterwegs sind. Dank der Aufklärungsarbeit von Peters und Wicke entscheiden sich immer mehr Besitzer, ihren Hund zu behalten, selbst wenn dieser nicht mehr laufen kann. Die Expertinnen vom Hun‘nenhoff beraten, lassen maßgeschneiderte Hunde-Rollstühle bauen, bieten Reha-Maßnahmen, nehmen Hunde in Pension.
Und bewahren so viele Tiere vor der Spritze ins Jenseits. Dafür werden sie belohnt mit tiefer Zufriedenheit, einem Glück, das von innen kommt, und zunehmend auch mit äußerer Anerkennung: „Beim Hoffest im September hatten wir 1800 Besucher“, schwärmen die beiden Frauen mit leuchtenden Augen.