Neuenfelde. Obstbauern im Alten Land fordern ein Handeln der Umweltbehörde. Zuletzt hatten die Nager offenbar Kinder und Hunde angegriffen.
Die einen finden sie niedlich, den anderen jagen sie Schauer über den Rücken, auch weil sie sich in Hamburg bereits aggressiv gegen Kinder und Haustiere gezeigt haben: Nutrias sehen wie eine Mischung aus Biber und Ratte aus und werden dementsprechend auch als Biberratte bezeichnet.
Die invasive Art breitet sich in ganz Hamburg aus und – wie Anwohner und Jäger beobachten – fühlt sich auch im Alten Land zunehmend wohl. Der Bürgervertretung Neuenfelde-Francop-Cranz sind die Nager allerdings ein Dorn im Auge. Sie hält eine Reduzierung von Nutrias für dringend erforderlich – vor allem zum Schutz der Deiche. Von den zuständigen Behörden fühlen sich die Ortsvertreter im Stich gelassen.
Altes Land: Nutrias hausen in meterlangen Höhlensystemen
Mit einer Körperlänge bis zu 65 Zentimeter und einem Gewicht von bis zu zwölf Kilogramm können Nutrias eine echte Herausforderung für den Deichschutz darstellen. Die Nagetiere wühlen tiefe Löcher in den Boden, und ihre meterlangen Höhlensysteme sind für die Stabilität von Deichen und Dämmen eine Gefahr, ist zumindest die Bürgervertretung Neuenfelde-Francop-Cranz überzeugt. Zudem vernichteten die Pflanzenfresser große Flächen von Schilfgürteln, so dass es anderen Arten, wie etwa bestimmten Vögeln, an Lebensraum fehle.
„Die Nutrias sind im Hamburger Alten Land im Hinblick auf Hochwasserschutz, obstbauliche Landwirtschaft und die Wasserinfrastruktur ein Risiko“, sagt Manfred Hoffmann, Sprecher der Bürgervertretung.
Ohne eine konsequente Reduzierung der Nutria-Population im Hamburger Alten Land werde aufgrund ihrer starken Vermehrung die Gefahr für den Hochwasserschutz und für die Wasserinfrastruktur des Obstanbaugebietes zunehmen. „Fachleute sehen sogar negative Auswirkungen für die Biodiversität in von Nutrias bevölkerten Gebieten“, so Hoffmann.
Umweltbehörde konnte keine durch Nutrias verursachte Schäden feststellen
„Nutrias können prinzipiell verschiedene Schäden anrichten, insbesondere im Uferbereich und an Deichen, die nicht befestigt sind und direkt angrenzend an Gewässern stehen“, bestätigt Renate Pinzke, Sprecherin der Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft, auf Abendblatt-Nachfrage.
Die öffentlichen Hochwasserschutzanlagen in Hamburg würden bei der Deichschau gezielt nach Schäden durch Nutria begutachtet. „Dabei konnten bislang keine Schäden durch Nutria festgestellt werden“, so Pinzke. Das Hauptvorkommen der Nutrias liege in den Bezirken Bergedorf, Harburg und Hamburg-Mitte. „Aus den anderen Bezirken liegen uns keine oder nur Einzelmeldungen vor“, teilt die Behördensprecherin mit.
Nutrias: Behörde verweist auf ausstehendes Gutachten
Mit den der Umweltbehörde vorliegenden Daten sei eine Populationseinschätzung für Hamburg nicht möglich, man könne jedoch erkennen, dass sie in den letzten Jahren zugenommen habe.
Pinzke verweist auf ein ausstehendes Gutachten: „Ende letzten Jahres wurde ein externes Gutachten vergeben, welches unter anderem eine Populationsschätzung vornehmen soll. Die Ergebnisse dazu erwarten wir im Sommer“, so Pinzke: „Da der Behörde bislang nur wenige Schadensmeldungen vorliegen und eine Gefahrenabschätzung somit zurzeit nur sehr schwierig zu bewerten ist, soll dies ebenfalls Teil des beauftragten Gutachtens sein.“
Neuenfeldes Jägerschaft bemüht sich unterdessen um eine Reduzierung des Nutria-Bestandes im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten: „Es werden überwiegend Lebendfallen verwendet, um eine selektive Entnahme zu gewährleisten und es kommt kein Gift zum Einsatz“, bestätigt Manfred Hoffmann.
Maßnahmen gegen Nutria-Population lösen Problem bislang nicht
Doch durch die enorme Reproduktionsrate sei eine effektive Reduzierung des Bestandes nicht ohne eine signifikante Erhöhung der Mittel möglich. Präventivmaßnahmen, die das Grabensystem und die Wege in den Obstanlagen schützen könnten, würden zwar das Risiko einer Unterhöhlung der Deiche durch die Biberratten verringern, müssten aber, um wirksam zu sein, das gesamte Gebiet umfassen. „Dies wäre sehr aufwendig und somit auch ausgesprochen teuer“, so Hoffmann.
Auch Beobachtungen von Obstbauern und Jägern zeigten, dass die derzeitigen Maßnahmen zur Reduzierung der Nutria-Population das Problem nicht lösen, so Hoffmann. Es sei daher zwingend geboten, dass die Umweltbehörde das Problem unverzüglich aufgreife und gemeinsam mit den örtlichen Verbänden eine Strategie erarbeite, die eine verantwortbare Verringerung der Population garantiere – etwa durch eine Aufwandsentschädigung in Form einer Abschussprämie.
Landkreis Stade stellt moderne Lebendfallen bereit
Wenige Kilometer von Neuenfelde entfernt wurden die Nutria-Bestände auf niedersächsischem Gebiet konsequent bejagt und inzwischen stark eingedämmt, weil dort im Gegensatz zur Hamburger Einschätzung durchaus eine Gefahr für den Hochwasserschutz durch die Tunnel der Tiere gesehen wird, wie Wilhelm Ulferts, Oberdeichrichter des Deichverbands der II. Meile Alten Landes, dem Abendblatt bestätigte. „Ich habe schon einige bedenkliche Stellen gesehen. Wenn Hamburg das anders sieht, müssen sie mit den Konsequenzen leben“, sagt Ulferts.
Der Landkreis Stade hat die Jägerschaft bei der Bekämpfung der Nutria-Plage mit mehr als 100 modernen Lebendfallen unterstützt. Im Gegensatz zu Gitterfallen sind diese geschlossen und lassen kein Licht in die Falle eindringen, was die Panik des gefangenen Tieres eindämmen soll.
Die Fallen sind mit Sensoren ausgestattet und melden einen Fang direkt aufs Smartphone der Jäger, die das Tier nach einer Kontrolle gegebenenfalls vor Ort erschießen. „Unsere Jäger betreiben hier aktiven Deichschutz“, so Ulferts. Zwar gebe es in Niedersachsen eine „Schwanzprämie“. „Aber die ist so gering, dass sie sicher keine Motivation für die Jäger darstellt, die Tiere zu erlegen“, so Ulferts.
Abschussprämie galt in Hamburg nur für Bisamratten
Auch die Umweltbehörde bezweifelt die nachhaltige Wirksamkeit einer sogenannten Schwanzprämie zur Bestandsreduzierung: „Auch vor dem Hintergrund, dass die Nutria-Population deutschlandweit steigt und das auch in Regionen, in denen Verbände oder die öffentliche Hand eine Schwanzprämie bezahlen“, so Pinzke.
Für die Umwelt und die heimische Tierwelt insgesamt sieht die Behörde ebenfalls keine Gefahr durch die Nutrias. Sie könnten zwar Fraßschäden an landwirtschaftlichen Kulturen, Ufervegetation und Unterwasserpflanzen verursachen sowie in selteneren Fällen Schnecken und Muschelpopulationen dezimieren, aber naturschutzfachlich stellten Nutrias bislang kein Risiko dar.
„In Hamburg gibt es keine Beobachtungen, dass Nutrias ein Problem für weitere Tierarten sind“, so Pinzke. Eine Abschussprämie gibt es in Hamburg nicht mehr, und sie galt auch nur für Bisamratten, nie für Nutrias. Die eingewanderten Tiere dürfen aber dennoch bekämpft werden. Hamburgs Jägerinnen und Jäger haben im Jagdjahr 2021/2022 – also zwischen April 2021 und März 2022 – im Stadtgebiet fast 1200 Nutrias getötet.
Nutrias gingen in Neuallermöhe aggressiv auf Hunde und Kinder los
Wie das Abendblatt kürzlich berichtete, sorgen die Nutrias in anderen Hamburger Wohngebieten allerdings für Probleme in einer neuen Dimension: So berichtete eine Augenzeugin aus Neuallermöhe von aggressiven Verhaltensweisen der Nagetiere an den dortigen Fleeten. Sie hätten ihre Scheu verloren und gingen mit ihren scharfen Schneidezähnen auf Hunde, Katzen und auch Kinder los, sobald sie ihnen zu nahe kommen, so die Augenzeugin.
Gleichzeitig würden die Tiere aber leider auch von vielen Familien regelmäßig gefüttert. Dies sollte laut Umweltbehörde allerdings dringend unterlassen werden – auch, weil sich dadurch Ratten ebenfalls schneller vermehren könnten.
Andernorts in Deutschland gehen erste Metzger und Restaurants inzwischen neue Wege und verarbeiten das Fleisch der erlegten Tieren zu Ragout oder Braten. Vielleicht kommt ein Restaurant im Alten Land ja auch bald auf die Idee: Nutria-Fleisch gilt als besonders zart, mineralreich und ist praktisch cholesterinfrei.